Cookie Warnung
Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Akzeptieren

David Joselit und Hanna Magauer über die 9. Berlin Biennale Short Cuts: Berlin Biennale 9

Im Subtext verschiedener Beiträge zum aktuellen Poesie-Heft schwingt die Annahme mit, dass die neue „Poetik“ als Sprache individueller Erfahrung und persönlichen Tons in direkter Verbindung steht zu den Regeln des globalen Kapitalismus (mittels englischer Sprache und des ungezwungenen „Du“ der neoliberalen Konsumwelt). Diese intime Stimme gab auch auf der vom amerikanischen Kollektiv DIS kuratierten 9. Berlin-Biennale den Ton an.

Hier ziehen die Kunsthistoriker/innen David Joselit und Hanna Magauer Bilanz der Ausstellung und fragen, welche Signale sich aus der Flut mediengerechter Sprache und visueller Brandingstrategien isolieren.

David Joselit: Vier Thesen zum Branding

[1]

Beim Spaziergang in meiner Wohngegend in Manhattan fällt mir auf, dass in den letzten zehn Jahren nicht weniger als drei Generationen von Frozen-Joghurt-Läden aufgetaucht und wieder verschwunden sind. Markenbildung ist nicht so leicht, geht es mir durch den Kopf. Eine Marke schafft Aufmerksamkeit, indem sie ein instrumentalisiertes Bild erzeugt und in möglichst weitreichenden Umlauf bringt. Für die Kunst ist Branding interessant, weil es veranschaulicht, wie in einer Aufmerksamkeitsökonomie kollektive Identitäten und Öffentlichkeit durch Images erzeugt werden, durch Bilder, die Produkte oder Erfahrungen repräsentieren. Viele Dimensionen des Brandings sind im Endprodukt nicht mehr erkennbar: Sie reichen von der Marktforschung bis zur Untersuchung von Mustern in Verbraucherdaten. Entsprechend reicht es nicht, sich die rhetorischen Oberflächen von Werbung und kommerziellem Design anzueignen, um Branding in seiner vollen Komplexität zu erfassen. Anders gesagt: Branding ist kein Stil, sondern ein Vorgang. Für die Markenbildung braucht es sowohl einen klugen ersten Zug, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, wie auch eine langfristigere, dabei immer prekär bleibende Strategie, um die „Konsumententreue“ aufrechtzuerhalten. Dass man diese Verfahren bei so vielen der Künstler/innen auf der diesjährigen Berlin Biennale (bb9) aufgegriffen sieht, deutet auf ein dringliches und anregendes Problem hin – vor allem für eine Generation, die bereits mit dem Erstellen diverser Onlineprofile aufgewachsen ist. Doch allzu oft geht es bei den Arbeiten auf der bb9 nur um die Oberflächen von Marken – deren Stil, und nicht deren Tiefenstruktur.

Die Mode bildet Marken, indem sie ständig Neuheit generiert – ein Verfahren, das auch der Kunstwelt nahe ist. Dabei lassen sich letzten hundert Jahren mindestens vier ästhetische Modelle herausarbeiten, mit denen Künstler/innen dasjenige mobilisiert haben, was wir nun Marke nennen. Dazu gehört: (1) Der Plan der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts, durch das Branding der Revolution zur Veränderung des politischen Subjekts beizutragen – wie in den Arbeiten von Aleksandr Rodtschenko, Varvara Stepanova und Liubov Popova und vielen anderen, die das Reservat der Bildenden Kunst hinter sich ließen, um neue, den Idealen der UdSSR angemessene Formen von Werbung, Mode und Theater zu schaffen. (2) Der Künstler/die Künstlerin als Celebrity, der/die eine wiedererkennbare „Produktlinie“ herstellt (Siebdruckblumen, Punktmalereien, „superflache“ Variationen japanischer Comics und aufblasbare Spielzeuge, nun aber aus Edelstahl). Wert wird dabei nicht durch Verknappung geschaffen, wie es traditionell der Fall war, sondern durch mediale Sättigung. Andy Warhol ist hier die historische Referenz (der sozialistische Realismus sowjetischer oder chinesischer Prägung brachte es allerdings zu einer ähnlichen Verschleifung von Kunst und Massenkultur, jedoch ohne die entsprechende Fixierung auf die Persönlichkeit des Künstlers). Diese Tradition wurde seit den 60er Jahren von Myriaden anderer Künstler/innen enthusiastisch aufgegriffen, darunter Damien Hirst, Takashi Murakami und Jeff Koons. (3) Die Simulation kommerzieller Sprache durch Künstler/innen in den 80er Jahren (deren Relevanz für die Post-Internet-Praktiken, die in Berlin zu sehen sind, verdrängt wird), wie etwa das bissige Mobilmachen von Werberhetorik durch Barbara Kruger und Jenny Holzer, die Branding unterwandern wollten, indem sie die Erwartung einer affirmativen Botschaft aufriefen und diese dann stattdessen mit einer kritischen enttäuschten. Und außerdem: (4) Die Strategie, Aufmerksamkeit als die Währung in unserer gegenwärtigen Erfahrungsökonomie, durch schiere physische Präsenz zu erzeugen (im Gegensatz zum Auftreten als simuliertes oder ein anderweitig mediatisiertes Bild). Das bekannteste Beispiel dafür ist Marina Abramovic, an deren Arbeit sich zeigt, dass Performancekunst und Hollywood keinen Widerspruch bilden müssen in einer Zeit, in der bildschirmsüchtige Menschen sich wie ausgehungert nach face-to-face-Begegnungen zu sehnen scheinen.

Debora Delmar Corp., "MINT," Akademie der Künste, Berlin Biennale 9, 2016, Bildschirmfoto

Ich stelle diese Genealogie nicht so sehr deswegen zusammen, weil ich die Entscheidung des Kollektivs DIS kritisieren möchte, diese Vorgänger zu ignorieren, sondern eher um eine kritische Perspektive zu ermöglichen, von der aus sich ihre Behauptung prüfen lässt, die Kunst fiele mit solch konsumentenorientierten Operationen wie Branding zusammen. Ich möchte die Idee ernst nehmen, dass sich Kunst produktiv mit Branding beschäftigen kann, und ich möchte hinterfragen, wie diese Beschäftigung auf der „The Present in Drag“ betitelten Biennale inszeniert wird. DIS wie auch andere Kunst-Unternehmen wie e-flux, Reena Spaulings und K-Hole stellen ein weiteres Modell für ästhetisches Branding bereit: (5) Sie strukturieren ihre Kunstpraxis als Infrastruktur, die ein Netzwerk an Plattformen für eine große Vielfalt an Aktivitäten schafft: Ausstellungen, Veröffentlichungen, Mode, Performance und auch traditionelle Objektproduktion.

Die Berlin Biennale von DIS ist nicht in erster Linie deswegen enttäuschend, weil der Geschichte kein angemessener Stellenwert eingeräumt wird; das könnte auch eine ethische Entscheidung sein, um die Art historisierender Bestandsaufnahme von Gegenwartskunst zu umgehen, die die Kritik kommerzieller Erfahrungsstrukturen gegenüber etwa der Erforschung ihrer affektiven Eigenschaften privilegiert. Vielleicht ist es auch eine bewusste Provokation zu einem Zeitpunkt, an dem viele Künstler/innen zu glauben scheinen, dass Geschichte irrelevant geworden ist, weil das Internet als unendliches Archiv an deren Stelle getreten ist. Was ich wirklich befremdlich finde, ist dagegen die Oberflächlichkeit, die viele der ausstellenden Künstler/innen in ihrem Umgang mit Branding an den Tag legen. Da wird vor allem der „look“ unternehmerischen, geschäftlichen Sprechens mimetisch reproduziert, ohne dass eine tiefere Auseinandersetzung mit der quasi-imperialen Struktur erkennbar würde, mit der Aufmerksamkeit im Lauf der Zeit akkumuliert und aufrechterhalten wird.

Nehmen wir zum Beispiel „MINT“ (2016) von Debora Delmar Corp., eine Saftbar in der Berliner Akademie der Künste, einem der fünf Hauptorte, an denen die bb9 stattfindet. Die Arbeit möchte den Widerspruch zwischen überteuerten, aber angeblich hypernahrhaften Getränken und dem Umstand sichtbar machen, dass solche luxuriösen Gesundheitsprodukte fast unweigerlich zu den ausbeuterischen Handelsdynamiken in Entwicklungsländern beitragen (der Name MINT ist folgerichtig nicht nur eine Anspielung auf den „grünen Saft“, den es bei Delmar Corp. zu kaufen gibt, sondern ein Akronym für Mexiko, Indonesien, Nigeria und Türkei). Die Implikation ist, dass auch „grüne“ Firmen für die Herstellung dieser gesunden Produkte Lieferanten dafür bezahlen, dass sie Rohstoffe für solche Endprodukte zweckentfremden, die der weitaus größte Teil der Bevölkerung in den Entwicklungsländern sich niemals leisten könnte.

Und auch wenn Delmar bei dieser Arbeit sicher die besten Absichten hat, bleibt die visuelle Auflösung banal und amateurhaft im Vergleich mit der tatsächlichen Markenführung von Fast Food-Ketten in aller Welt (auch von „gesunden“). Es ist schwer, mit solchen Formen kommerzieller Kunst – vom Design der Verkaufsflächen bis zur Mode – in Wettbewerb zu treten. Man hat es dabei mit hoch raffinierten Formen ästhetischer Überzeugungsarbeit zu tun, von denen die Künstler/innen nur blasse Imitate herstellen können. Delmars Ähnlichkeitsgeste kommt über die Oberfläche des Brandings nicht hinaus. Sie zeigt den Stil, und nicht dessen prozesshafte Struktur. Das hat damit zu tun, dass solche Simulationen nichts von der Dringlichkeit vermitteln, mit der eine tatsächliche Marke ständig auf immer neue Marktbedingungen reagieren muss. Kurz, eine Marke ist ein dynamischer Organismus, nicht ein Idiom, das man sich aneignen kann. Vor diesem Hintergrund erscheint mir als die einzig wirklich erfolgreiche Firmenmarke in der Biennale das Kollektiv DIS selbst; und das hat viel damit zu tun, dass sie die eigene Marke auf dem Markt der Kunstwelt getestet haben – nicht zuletzt in den Debatten, die auf diesen Seiten geführt werden.

åyr, "Architecture," Kunst-Werke, Berlin Biennale 9, 2016, Bildschirmfoto

Es gibt jedoch ein weiteres Modell, das in „The Present in Drag“ viel überzeugender präsentiert wird: (6) Das Subjekt als Marke, dessen Beziehung zu sich selbst durch den Imperativ der Selbstoptimierung und -perfektionierung vermittelt wird (was Michel Foucault als unternehmerisches Selbst identifiziert hat, und was nun, durch DIS, besser als kuratorisches Selbst zu verstehen wäre). Solche Formen von Selbstanreicherung sind dicht verwebt mit der ebenso gegenwärtigen Überidentifikation zwischen Personen und Produkten. Diese zwei Dynamiken – die Anreicherung des Selbst und die Konsument/innen-Identifikation – schaffen eine Art Feedback-Loop, dessen Pole Entfremdung und Verkörperung, Selbst-als-Oberfläche und Körper-als-formbare-Masse sehr eloquent in dem Wort „drag“ im Titel der Biennale gefasst werden. Es ist die kaum greifbare Unerbittlichkeit dieses Teufelskreises (oder dieser Erfolgsschleife) aus beschleunigtem Konsum und eskalierendem subjektiven Wert, die einen Unterschied zu früheren Untersuchungen des Subjekts als Marke markiert – wie etwa zur politisierten Figur Reena, die (durch den Roman und andere verwandte Projekte) von Reena Spaulings“ entworfen wurde.

Eine Reihe von Erfahrungen des Selbst, das zur Marke wird, sind in der Ausstellung künstlerisch vertreten: Cécile B. Evans etabliert die multidimensionale Figur „Hyper“ als Chiffre des Unternehmens als Person in „What the Heart Wants“ (2016); John Rafman zeigt in einer Reihe von Skulpturen mit dem gemeinsamen Titel „L’Avalée des avalés“ (The Swallower Swallowed, 2016) Tiere, die sich gegenseitig auffressen, und eine Virtual-Reality-Präsentation per Oculus Rift, „View of Pariser Platz“ (2016). Und Korakrit Arunanondchai/Alex Gvojic schaffen in ihrem Film „There’s a world I am trying to remember, for a feeling I’m about to have (a distracted path towards extinction)“ (2016) Zyklen von Evolution und Devolution zwischen menschlichen und Tierformen und umgeben sie mit Konsumismus. Hier finden sich Modi der Verkörperung von „drag“, die spezifische affektive Beziehungen zwischen digitaler Animation und Animalität, Selbstbesessenheit und Selbstkannibalisierung stiften. Genau in diesen Fragestellungen, was es für eine Person heißt, ein dominantes und dominierendes Bild – also: eine Marke – zu werden, wird Kunst relevant. Sie kann das Gebot untersuchen, sich selbst zu kuratieren und Subjektivität aus einem Aggregat von Bildern zu konstruieren.

Übersetzung: Bert Rebhandl

Hanna Magauer: Mantras der Gegenwart

[2]

Es ist fast schon in Vergessenheit geraten, dass das Gebäude, das DIS zum Hauptstandort ihrer Biennale erkoren haben, einmal Anlass heftiger Debatten war: Günter Behnischs Entwurf für die Akademie der Künste entsprach so gar nicht der Baupolitik der „kritischen Rekonstruktion“, mit der die Stadtplanung des wiedervereinten Berlins sich gegen die „amerikanische Büro-City“ stellte (und in deren Folge auch heute noch jede Bau-lücke, in preußischer Manier, strengen Fassaden in Marmor weicht). In einer ironischen Wende, bewusst oder nicht, werden nun Behnischs gläserne Hallen am Pariser Platz von einer US-amerikanischen Künstler/innen-Gruppierung zum Messe- oder Kongresszentrum umgedeutet und statt mit der Rekonstruktion formelhafter Biennalen-Kritik mit Corporate Aesthetics bespielt. Bereits im Eingangsfoyer zeigt sich dies pointiert: etwa am Merchandise-Stand des New Yorker Designers Telfar, wo dem Publikum T-Shirts mit der Aufschrift „Publikum“ angeboten werden, an der Kaffeetheke, die nun auch grünen Detox-Saft für 5 Euro führt (Debora Delmar Corp., „MINT“, 2016), und an Timur Si-Qins Zengarten („A Reflected Landscape“, 2016), der an die Lobbybepflanzung einer Versicherungsgesellschaft erinnert. Leuchtkästen im Foyer zeigen Laufstegdesigns von Hood by Air neben brennenden Trump-Baseballkappen (Torbjørn Rødland); fährt man mit dem Aufzug ins vierte Obergeschoss, kann man durch Jon Rafmans Oculus-Rift-Animation („View of Pariser Platz“, 2016) auf die am Brandenburger Tor aufgereihten Pferdekutschen blicken und zusehen, wie sich die Tourismus-Hochburg in eine düstere Weltuntergangsfantasie auflöst.

Wie bei jeder Berlin-Biennale geht es dabei stets auch um eins – Berlin, und diesmal: um die Stadt in der Sinnkrise. Die „ersten Tage von Berlin“ sind allzu lange her und zur Genüge vermarktet. Die letzten beiden Berlin-Biennalen – Juan Gaitáns Blick auf die Peripherie der ethnologischen Museen in Dahlem, Artur Zmijewskis plakative Occupy-Aktion in den Kunst-Werken – machten schon deutlich, dass die kuratorische Intention, eine kritische Öffentlichkeit zu mobilisieren, sich schnell an ihrer steten Wiederholung abnutzt. Und so positionieren DIS ihre BB9 als direkte Antithese zu den Vorschlägen ihrer Vorgänger/innen: Statt Protestbanner bemalt die junge Frau im Business-Dress auf den Bildschirmen am Eingangsbereich der Kunst-Werke nun ein White Board mit Mind-Maps. „It’s exactly what you expect“, verkündet die Website: hier das Problem einer verstaubten Biennale, die mit ihrer 90er-Jahre-Nostalgie nur die Werterzeugungsmühlen von Kunst und Real Estate bewässert, dort ein Künstlerkollektiv-als-Unternehmen, das den ästhetischen Output des Marktes besetzt.

„It’s exactly what you expect“ – erfüllt werden die Erwartungen im besten Sinne, und so überrascht es zunächst, dass die Biennale überhaupt derartige Empörung hervorrufen konnte, wie man sie im Guardian-Artikel „Welcome to the LOLhouse“ von Jason Farago [3] findet, der Melancholie und Camp der Arbeiten mit einem Mangel an Ernsthaftigkeit verwechselte. Denn die Vorschläge der meisten Künstler/innen sind bei genauerem Hinsehen weder unbedingt neu noch unbedingt „antikritisch“ oder gegen „politische Kunst“ -positioniert, auch wenn die omnipräsente Pop-Ästhetik dies vermuten lassen mag. Simon Fujiwara errichtet in der AdK ein Museum des deutschen Glücksgefühls („Happy Museum“, 2015), ein Arrangement verschiedener Objekte vom akkuraten Mülltrennsystem für die Küche im Eigenheim über eine Gartenzwerg-Gussform bis hin zu vor sich hin rottenden Stangen weißen Spargels (Dieter Roth lässt grüßen), säuberlich aufgereiht neben der Kinderschokolade-Sonder-edition mit den Kinderfotos der Fußball-Nationalmannschaft, die Pegida & Co. im Frühsommer zu rassistischen Kommentaren veranlasst hatte. Korpys/Löffler beschäftigen sich in der Feuerle Collection, Berlins neuestem Kunstbunker, mit den Architekturen der Macht am Beispiel von Coop Himmelb(l)aus EZB-Gebäude in Frankfurt. In Form eines Start-ups mit passendem Werbefilm entwirft Christopher Kulendran Thomas ein Modell der Staatsbürgerschaft in Zeiten höchster Mobilität, und auch Simon Dennys Präsentation der Geschäftsmodelle von Ethereum und Bitcoin legt fast utopische Hoffnung in neue Unternehmensformen (die, im Fall von Ethereum, etwa freies und unkorrumpierbares Internet versprechen).

bb9.berlinbiennale.de, Internetseite

„Deine politische Einstellung fühlt sich mal wie eine U-Bahn-Werbung, mal wie eine Massenbewegung und mal wie eine Mogelpackung an“, heißt es in einem der einführenden Texte von DIS. Genau dies vermittelt die Kombination der Arbeiten: Eher als dass sie tatsächlich ein kohärentes Bild ergeben würden, aus dem man etwa historische Gleichgültigkeit herauslesen könnte, wie dies Farago tut, werden die unterschiedlichen Positionen unter ein starkes kuratorisches Konstrukt zusammengefasst, einem (digitalen, kommerziellen) Style, der die Biennale zusammenhält. Verstärkt wird dies nicht nur durch die omnipräsenten (und amüsanten) Werbeclips, die Website, das Pressematerial, sondern vor allem durch die Beschwörung einer Gegenwart und eines zeitgenössischen Besucher/innen-Subjekts, die am deutlichsten in den einführenden Saaltexten wird. Am Anfang jeder Station adressieren diese Texte die Besucher/innen mit einem unbestimmten „Du“ (auch dies von der Start-up-Rhetorik abgeschaut): „Du äußerst heftige Kritik an der Sharing Economy – während Du auf Deine Uber-Fahrt wartest.“ „Du verbringst Stunden mit Synchronisation und versuchst, das Innenleben von Objekten zu verstehen.“ „Du bist MarxistIn, aber im tiefsten Inneren respektierst Du Angela Merkel.“ „In diesem Zeitalter der totalen Spekulation ist keine Gegenwart sichtbar, von der aus Du Dir eine Zukunft vorstellen kannst.“ Mantra-artig werden hier die Widersprüche einer Gegenwart, einer „Generation“ beschworen, zu der Besucher/innen und Künstler/innen gleichsam gezählt werden. Derart didaktisch aufbereitet lesen sie sich als selbsterfüllende Prophezeiung. Muss man sich in diesen Texten wiederfinden? Sprechen sie nicht eher von dem wachsenden Bedürfnis, „Generationen“ zu definieren, als dass dies selbst notwendigerweise die Charakterisierung einer ganzen Generation wäre? Verallgemeinert eine solche Rhetorik nicht die sehr spezifischen kulturellen Kontexte, mit denen sich die Arbeiten durchaus befassen? Die kuratorischen Setzungen fordern ein, dass man sich zu dieser Biennale im Sinne einer Identifikation oder Nicht-Identifikation verhält – doch machen dann schnell bei der Wiedergabe eines bestimmten „Lebensgefühls“ halt. Mit der betont persönlichen Ansprache wird dabei ebenso Universalität behauptet, wie der Konflikt ins Subjektive verlagert wird. [4] Man könnte dem allen eine andere Art der Adressierung entgegen setzen: „Du bist Teil eines Netzwerks, das sich v. a. zwischen New York und Berlin, LA und Frankfurt bewegt und dies als globale Perspektive betrachtet.“ „Du siehst dich wachsender politischer Polarisierung gegenüber und flüchtest dich in die Inklusionsrhetorik der Kunstwelt.“ (Diese Perspektive als „amerikanisch“ oder „Expat“ zu beschreiben, wie man dies derzeit oft hört, wäre eine erneute, zu einfache Generalisierung.)

Durch die Überpräsenz des Kuratorischen (eine Starkuratoren/-kuratorinnenposition, wie sie heute wohl nur noch von Künstler/innenseite kommen kann) konstruiert die Biennale strategisch einen kohärenten Look. Der Auseinandersetzung mit den Einzelwerken und angesprochenen Inhalten (cryptotechnologische Erfassung des Lebens, Emotion als Ware etc.) kommt dies nicht immer zugute. Doch zeigt sich auch, dass DIS mit diesem Instrumentarium erfolgreich ist: Denn an denjenigen Orten, die selbst ihre institutionellen Widersprüche an die ästhetische und architektonische Oberfläche tragen, erreicht die Biennale gerade durch ihren entschiedenen Style eine gelungene Überzeichnung des öffentlichen Raums, eine Perversion finanzialisierter Strukturen. In der ESMT (European School of Management and Technology) im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR bohrt sie sich mit Arbeiten von Simon Denny, Katja Novitskova und GCC in den Raum, der sich zwischen Friedenstaubenmosaik aus den 1960ern, den Bildschirmen mit dem Frankfurter Börsenkurs und der Schlossbaustelle vor den Fenstern aufspannt. Letztere erinnert an Berlins eigenen Wunsch der (historischen) Konfliktbefreiung. Und auch in der bereits erwähnten Akademie der Künste, die sich nun als Architektur der Macht, als Messehalle oder Kongresszentrum gibt, vermittelt die Ausstellung eine Erinnerung daran, dass Biennalen eben Festivals sind. Vor allem im Vergleich zur parallel stattfindenden Zürcher Manifesta findet sich hier zumindest die Möglichkeit, dem immer gleichen Biennalen-Zirkus eine entscheidene Antwort zu geben.

Berlin Biennale 9, 4. Juni bis -18. September 2016.

Anmerkungen

[1]Christopher Kulendran Thomas, "New Eelam," Akademie der Künste, Berlin Biennale 9, 2016, installation view
[2]Telfar, “Retrospective,” 2016, Akademie der Künste, Berlin Biennale 9, Installationsansicht
[3]Jason Farago,„Welcome to the LOLhouse: How Berlin’s Biennale became a slick, sarcastic joke", The Guardian , 13. Juni 2016. https://www.theguardian.com/artanddesign/2016/jun/13/berlin-biennale-exhibition-review-new-york-fashion-collective-dis-art
[4]Vgl. Texte zur Kunst, 101, 2016.