WIDER DIE EINDEUTIGKEIT Chantal Kaufmann über Christian Egger in der Galerie der Stadt Schwaz
In der zum Jahresende 2021 eröffneten Ausstellung unter der Leitung von Annette Freudenberger in der Galerie der Stadt Schwaz zeigte der Künstler, Autor und Musiker Christian Egger unter dem Titel „Fwd: Disparate Threads, False Endings (Schere & Kette)“ ein Ensemble aus zwei Skulpturen, fünf Assemblagen, sechs gerahmten Zeichnungen und zwei fotografischen Arbeiten. In einem Nebenraum befand sich zudem eine Sounddusche, darunter ein Tisch mit vier Barhockern, die jeweils auf der Oberfläche verspiegelt waren. Aus trivialen Materialien produzierte Egger 16 Arbeiten, die hochgradig selbstreferenziell, fast hermetisch wirkten. Der Zusammenhang erschloss sich hier gerade aus jenen „Disparate Threads“, nämlich den verschiedenen medienspezifischen Methoden, mit denen der Künstler die jeweiligen Bezugssysteme seiner Werke untersuchte und damit auch deren mögliche Rezeption reflektierte. Auch die Werktitel, alle mit „DTFE (S&K)“, den Anfangsbuchstaben des Ausstellungstitels beginnend und jeweils um einen der zehn ersten Buchstaben des lateinischen Alphabets, a bis j, [1] ergänzt, verwiesen auf eine Systematik der sich formal zum Teil stark unterscheidenden Arbeiten.
Im Foyer wurde die Besucher*in von DTFE (S&K) b (2021), der Skulptur eines Betonsockels, auf dem ein roter Wachsklumpen lag, empfangen. Der Klumpen hätte aus der Holzkiste gefallen sein können, die dahinterstand und an einer Ecke in den Betonsockel eingelassen war. Das erzählerische Moment der eigentümlichen Platzierung dieses roten Objekts schien ein Indiz dafür zu sein, dass hier etwas preisgegeben wurde, das nur Eingeweihten vorenthalten ist: ein Geheimnis. Und tatsächlich klärte der Saalplan denn auch darüber auf, dass es sich bei dem Klumpen um einen „Geheimratskäse“ in einer roten Wachshülle handelte – ein Wortwitz, wie er für die Arbeit Eggers typisch ist.
Im gleichen Raum befand sich die Skulptur DTFE (S&K) k (2017), bestehend aus einem MDF-Sockel mit unverarbeiteten Außenwänden, der an zwei Seiten so beschnitten war, dass sich in sein mit weißer Dispersion grundiertes Inneres blicken ließ. Auf seiner Oberseite trug der Sockel einen Spiegel. Darüber war eine aus Spiegelfolie gefertigte Box an einem transparenten Nylonfaden angebracht. Das Objekt schien zu schweben, es hing über dem Sockel, ohne diesen zu berühren, womit es dessen unmittelbare Funktion, Träger zu sein, aufhob. Der Spiegel allerdings verdoppelte die Box und platzierte sie dadurch, wenn auch nur als Abbild, auf dem Sockel. Die schwebende Box war in der Mitte so geteilt, dass sich ein Schaumstoffkern erkennen ließ. An ihren Stirn- und Unterseiten waren Fotos von Händen aufgezogen, so als würden sie diese halten oder herzeigen. Indem sie auf sich selbst verwies, führte die Skulptur, mit anderen Worten, ihre eigene Gemachtheit vor.
Diese Selbstreflexivität schließt unmittelbar an Überlegungen der romantischen Ironie an. Indem Eggers Skulpturen das „Produzierende mit dem Produkt selbst“ darstellen, also eine Art ästhetische „Selbstspiegelung“ betreiben, reflektieren sie darin ihre eigenen institutionellen, öffentlichen und medialen Bedingungen. [2] Zugleich kann sich die Reflexion – darum weiß Egger nur zu gut – nie vollständig über sich selbst aufklären; vielmehr bleibt stets ein unverfügbarer Rest des sich seiner selbst bewusst werdenden Subjekts zurück.
Dies wurde auch im Hauptraum der Galerie deutlich. Auf dem Boden stand ein Paar unbenutzte Turnschuhe, deren Spitzen zur Wand zeigten und in denen zwei Steckdosen steckten – DTFE (S&K) a (2021) –, während schräg gegenüber ein Klopapierhalter an der Wand hing, der statt mit einer Klopapierrolle mit CDs bestückt war: DTFE (S&K) e (2005). Beide Assemblagen riefen erneut Assoziationen hervor, die eine schlüssige Folgerung nicht zuließen: Stromstecker, die eine kritische Infrastruktur andeuten; Schuhe, die gegen die Wand laufen; CDs, die sich drehen, aber nicht abrollen lassen; Musik auf öffentlichen Toiletten; Wertverlust digitaler Speichermedien.
Die neuen Bedeutungsebenen, die sich dadurch ergeben, dass Egger seine Objekte ihren Funktionen im Alltag beraubt, deuten Fährten an, die sich rasch als Sackgassen herausstellen, als „falsche Enden“, da die Objekte keinem unmittelbaren Zweck folgen, sich vielmehr grundsätzlich einer vereindeutigenden Lesart entziehen. Dieses Spiel mit der Bedeutung, das bei Egger stets ein scherzhaftes ist, erinnert abermals an das Konzept der romantischen Ironie. Die unschlüssigen Zusammenhänge, die „disparaten Fäden“, lassen sich so gesehen als intendierte Differenz auslegen, als ein bewusstes Offenbleiben für Alternativen. Damit bleibt das jeweils Ausgeschlossene implizit vorhanden.
Zudem fiel auf, dass zahlreiche der ausgestellten Arbeiten reflektierende Flächen, vorwiegend Spiegel, aufwiesen. Anders als beispielsweise Michelangelo Pistolettos Mixed-Media-Arbeiten, in denen der Spiegel primär dazu dient, die Betrachter*in in das Bild miteinzubeziehen, oder bei Heimo Zobernig, wo der Spiegel teils selbst zum Objekt wird, reflektieren und adressieren Eggers Spiegel immer Unterschiedliches: mal Menschen, mal Gegenstände, mal Räume. Durch ihre Positionierung lassen die Spiegelflächen immer neue Perspektiven entstehen, beleuchten Objekte auch von Seiten, die sonst nicht zu sehen wären, wie zum Beispiel bei DTFE (S&K) c (2021), einer Arbeit im Hauptraum der Galerie. An einem in die Ecke geschobenen halbrunden Stahlgerüst mit Sprossen, einem Rosenbogen, wie er auch das Eingangstor des Gebäudes der Stadtgalerie schmückt, hingen elf weiße T-Shirts. Durch den darunter am Boden liegenden Spiegel ließen sich Buchstaben auf dem Rücken der Shirts erkennen, aus denen sich u. a. das Wort U N V E R N E H M E N kombinieren ließ. Der insbesondere von Jacques Rancière im Sinne eines produktiven Konflikts geprägte Begriff kann als weiterer Angriff Eggers auf die Idee der abschließbaren Bestimmbarkeit einer Sache gelesen werden. [3] Indem der Begriff erst in seiner Spiegelung sichtbar wird, kommt die intendierte Differenz hier gleichsam zu sich.
So sprach etwa auch aus der Sounddusche der eingangs beschriebenen Arbeit DTFE (S&K) f (2021) eine Stimme, die erst dann hörbar wurde, wenn man sich über den Tisch lehnte und sich dabei selbst im Spiegel sah: „If we come to this exhibition with an empty head, a lack of empathy or too distracted, we won’t see much.“ In diesem siebenminütigen, von Egger verfassten und von einer Frauenstimme eingesprochenen Text adressierte der Künstler die Betrachter*in und ihre Erwartungen an die Ausstellung und reflektierte sich konsequenterweise selbst, indem er eine mögliche Rezeption der Ausstellung vorwegnahm und die Schwierigkeit ihrer Versprachlichung thematisierte. Und doch ist es vor allem das Medium der Sprache, in dem Eggers Gesten sich artikulieren: Von ihren falschen, da Mehrdeutigkeiten vernachlässigenden Enden (Schere) her begründet, spinnt er jene Wahrnehmungsfäden weiter (Kette), die den alltäglichen Gebrauch von Gegenständen, ob Schuhe, Steckdosen oder Klopapierhalter, als Sinnproduktion begleiten. Die Entgrenzung der Kunst in der Kulturindustrie, die Kunst-Nichtkunst-Frage also, ist zentraler Ausgangspunkt für Eggers Werk. Dass dies auch immer das Resultat einer Rezeptionsleistung ist, der Betrachter*in wie des Künstlers, führte Egger mit dieser Ausstellung spielerisch vor Augen.
„Christian Egger: Fwd: Disparate Threads! False Endings! (Schere & Kette)“, Galerie der Stadt Schwaz, 17. Dezember 2021 bis 5. Februar 2022.
Chantal Kaufmann ist Künstlerin und lebt zwischen Wien und Zürich.
Image credits: Fotos Verena Nagl
Anmerkungen
[1] | Von den 16 Werken werden sechs Zeichnungen unter demselben Titel, DTFE (S&K), k zusammengefasst. |
[2] | Friedrich Schlegel, Charakteristiken und Kritiken I (1796–1801), hg. von Hans Eichner, in: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett/Hans Eichner, München/Paderborn/Wien1967, Bd. 2 (35 Bd.) = KFSA, 1. Abt. Bd. 2, S. 204. [238]. |
[3] | Vgl. Jacques Rancière, Das Unvernehmen, Frankfurt/M., 2002, S. 9f. |