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Hauke Brunkhorst, Helmut Draxler, Gertrud Koch and Kathrin Thiele

Vier Kommentare zur Sloterdijk-Debatte

Ein bisschen Repression muss sein

Kritik lässt sich wunderbar genießen, solange sie einen nicht selber trifft. Tut sie dies, und es reicht schon, dass sie auf jemanden in einer wie auch immer imaginierten Nähe zielt, dann scheint jede Art von Gegenwehr legitim. Es muss mit der symbolischen Form der Kritik zu tun haben, dass sie im Subjektmodus ein hohes gesellschaftliches Ideal, im Objektmodus hingegen ein verabscheuungswürdiges Vergehen gegen Anstand und Moral, gegen die elementaren Regeln der Verwandtschaft, darzustellen scheint. Wichtige Beobachtungen oder Argumente und verständliche Verletztheiten verlieren ihren Sinn, weil es im Modus des unmittelbaren und ungehemmten Zurückschießens kein Halten mehr gibt.

Unübertroffen in dieser Hinsicht ist Karl-Heinz Bohrers Intervention in die sogenannte Sloterdijk-Debatte. Als rechts- bzw. postadornitischer Nietzscheaner überzieht er Sloterdijks Gegner mit einer Tirade von Beschimpfungen, die sie sowohl moralisch als auch sachlich vollständig diskreditieren sollen. Der tiefsitzende Groll gegen die Kritische Theorie lässt ihn nicht nur übersehen, wo diese tatsächlich heute steht – nämlich am äußersten Rand des intellektuellen Geschehens, sondern auch dazu hinreißen, Axel Honneth und Christoph Menke die Verteidigung des Sozialstaats vorzuwerfen – was diese wohl kaum als Vorwurf verstehen werden – allerdings als Inbegriff ressentimentgeladener, „absolut verlogener“ Sklavenmoral. Nichts ist freilich ressentimentgeladener als solch ein Ressentiment-Vorwurf. Denn gerade in dieser Allgemeinheit unterstellt dieses Argument, dass jede Kritik eine Anmaßung sei und daher ein „Ressentiment“ gegen den uneingeschränkten Selbstbezug. Und um diesen „wohlverdienten finanziellen“ Selbstbezug geht es, den einem der Sozialstaat stehle. Auch hier übersieht Bohrer auf tatsächlich prekäre Weise, dass es nicht der Sozialstaat und das diesen begründende Gleichheitsdenken, sondern gerade das neoliberale W-Besoldungsschema ist, dass die Professorengehälter auf einen historischen Tiefststand gebracht hat. Von daher lassen die FDP-Bekundungen von Sloterdijk und Bohrer nicht einmal in ihrem eigenen Interesse etwas Gutes erwarten – und schon gar keine Utopie.

Um das intellektuelle Gleichheitsdenken final zu erledigen begibt Bohrer sich in die Abgründe der französischen Revolution und lässt in freier Phantasie Saint Just für den Satz „Das Brot ist das Recht des Volkes“ vom „seriösen“ Robespierre aufs Schafott geschickt werden. Der von Heine zitierte Satz Saint Justs ist inzwischen mehrfach kommentiert worden, nicht jedoch die eigentliche Fehlleistung Bohrers. Hier geht es nicht um die historische Wahrheit des Thermidor, vielmehr zeigt sich das Ressentiment als Wunscherfüllung – in dem Sinne, dass sich die Gegner schon selbst abschlachten werden. Doch alleine die ohnehin äußerst gemäßigten Girondisten Honneth und Menke in die Nähe von Saint Just und Robespierre zu bringen, zeigt bereits, welch ein Geist hier weht: Gleichheit, Wahrheit und Kritik sind nichts als Zumutungen, die selbst ein Robespierre nicht erträgt.

Bohrers Ästhetizismus ist ja generell von der feinen Art. Im Gegensatz zu Sloterdijks „Sachen“lesen sich die seinen immer mit Gewinn. Und doch lässt sich diese affektgeladene Zuspitzung nicht als Abirrung einer im Grunde anerkennenswerten Position, sondern nur als konsequente Fortschreibung von deren Logik beschreiben. Wenn der Affirmation des ästhetischen Ereignisses ein solch grundlegender Stellenwert zugeschrieben wird, wie es Bohrer seit den späten 1970er Jahren durchaus virtuos vorexerziert, dann erledigt sich tatsächlich jeder andere Anspruch ans Ästhetische. Im Unterschied zu Lyotard oder Badiou meint Affirmation hier tatsächlich Affirmation, eine Kunst des erhabenen Rühmens, und nicht ein taktisches Kalkül, das eben immer auf ein anderes zielt. Und im Unterschied zu Adornos Affirmation einer Ästhetik der Negation lässt Bohrer das darin enthaltene gesellschaftskritische Moment fallen und ersetzt es komplett durch das der Intensität. Wobei wiederum bei den französischen Philosophen Intensität als gesellschaftlicher Normierung und Disziplinierung entgegengesetzt gedacht wird. Das heißt, die Gegensätze, die Bohrer begrifflich aufwirft, sind grundsätzlich von enormer Bedeutung. Sie werden auch zu Recht gegen einen generellen Immoralismus-Vorwurf verteidigt; nur genau In der polaren Zuspitzung verlieren sie ihr analytisches wie produktives Potenzial. Christoph Menke hat demgegenüber zweifellos Recht, die Begriffe der Wahrheit, der Gleichheit und der Kritik nicht gänzlich zu opfern. Das ästhetische Ereignis in Rechnung zu stellen heißt nicht, es gänzlich aus jedem sozialen Sinnzusammenhang zu lösen. Es geht doch, in Anlehnung an Michael Walzer formuliert, um „komplexe Wahrheit“, um das Aushalten der Spannung zwischen Ästhetik und Moral und nicht um die Auflösung dieser Spannung in die eine oder die andere Richtung.

Auch der universale, kritische Habitus hält diese Spannung nicht aus, nämlich die einfache Tatsche, dass Ästhetik und Moral nicht zu versöhnen sind. Den immanenten Widersprüchlichkeiten des kritischen Diskurses auf der Spur zu bleiben, ist auch deshalb wichtig, weil es das besondere Risiko dieser Kritikform ist, dass sie ihre Effekte nicht kontrollieren kann, und dass, sobald sie erwartbar wird, leicht aufgerufen werden kann, um eben genau solche Effekte des Unkontrollierbaren, insbesondere das Kippen ihrer Absichten ins Gegenteil zu erzielen. Aus der Geschichte der Avantgarden ließen sich solche Taktiken der Provokation gewinnen, die längst konstitutiv geworden sind für die Geschichte des modernen reaktionären Denkens und seiner Rekuperations-Strategien. Peter Sloterdijk ist sicherlich ein Meister dieses Fachs. Kaum eines seiner neueren Bücher verzichtet auf jene Reizwörter, mit denen er hofft, eine publizistische Lawine lostreten zu können. Zu schade nur, dass er die kynische Position des bellenden Hundes, mit der er einmal angetreten war, mit der zynischen des Peitschenknallers vertauscht hat.

Sich provozieren zu lassen, das wäre demnach der Fehler, den man Honneth und Menke vorwerfen könnte, da sie mit ihren Interventionen Sloterdijk wieder einmal ein Forum geschaffen haben. Bis hin zum Cover der linken Jungle World hat er es geschafft - ein Triumph durch Dämonisierung, der zu denken geben sollte. Doch was soll Kritik da machen? Sie muss sich dem Risiko aussetzen, zum Anlass neuer „Provokationen“ genommen zu werden. Dennoch macht es einen Unterschied, blind im eigenen Universalismus gefangen in die „Falle“ solch strategischer Manöver zu tappen oder genau diese zu thematisieren. Im Kontext der grassierenden rechtspopulistischen Offensive in fast allen Ländern Europas, die sich zumeist aus einer Reihe von kruden „Anti“-Haltungen speist und doch eigentlich, wie gut bei Sloterdijk und Bohrer zu sehen, nur die narzisstische Behauptung des Eigenen meint, kommt es zunehmend darauf an, ein kritisches Diskursniveau zu verteidigen und gleichzeitig dessen Effekte hinsichtlich einer möglichen Gegenmobilisierung zu reflektieren. Kritik ist dabei gefordert, sich ihres double binds als aufklärende und als repressive Instanz bewusst werden, und die Spielräume zwischen der emanzipatorischen Ausrichtung und der durchaus repressiven Absicherung dieser Spielräume zu reflektieren. Ein gesellschaftlich notwendiges Repressionsniveau kann allerdings aus linker Perspektive nur dann sinnvoll verhandelt werden kann, wenn sowohl der implizite Repressionsgehalt der eigenen Geschichte erkannt als auch der imaginäre Akt absoluter Freiheit, der unter den heutigen Bedingungen nur mehr offen reaktionär auftritt, in die Schranken gewiesen wird. Denn es ist gerade diese Form der Freiheit, die jede Kritik als Zumutung erfährt. Demgegenüber ist das Einstecken-Können von Kritik Bedingung dafür, Öffentlichkeiten zu generieren, die ein Abwägen unterschiedlicher Wertorientierungen erst erlauben.

HELMUT DRAXLER