Vorwort
Über die Herkunft des Begriffs »Institutionskritik" herrscht Unklarheit Zweifellos handelt es sich hierbei um ein krudes Wortgebilde, das der ten Übersetzung des englischen Ausdrucks „Institutional Critique" ist und in dem gleich zwei schwere Geschütze - Kritik und Institutiongeschuldet gefahren werden. Aber wie steht es um seine Geschichte? Befragt man ler/innen, deren Arbeiten unter diesem Label subsumiert wurden, dann mögen sich viele beim besten Willen nicht zu erinnern. Vieles spricht dafür Institutionskritik auf die Entwicklungsarbeit zurückzuführen, die arbeitende Künstler/innen Ende der sechziger Jahre bei ihren Bemühungen um einen technologischen Bedingungen angemessenen Begriff von Öffentlichkeit und Kommunikation geleistet haben. Versucht man, ein Entstehungsklima zu skizzieren, dann böte sich neben einer kunstimmanenten Rekonstruktion vielleicht auch ein genauerer Blick auf die pragmatischen Versuche an, nach 1968 ideologiekritische Einsichten in Institutionen hinein zu tragen und so auf bildungspolitischer Ebene weiter zu arbeiten. Schließlich fällt beim Wiederlesen von Peter Bürgers „Theorie der Avantgarde" (1974) auf, dass aus der Analyse von Institutionen nicht nur Einblicke in die Divisionen der bürgerlichen Gesellschaft, sondern auch Maßgaben für die Gestaltung von Curricula gewonnen werden sollten. Bürgers systematisches Interesse an der Analyse allgemeinerer Produktionszusammenhänge ließ den Begriff der „Institution" verheißungsvoll nach Möglichkeiten klingen, tatsächlich etwas aushandeln und verändern zu können.
Angesichts Bürgers konkreter Definition der Institution Kunst als „Apparat, in dem Kunst produziert und distribuiert wird" schien die Bezugnahme aufden Museumsraum — mit der Gesamtheit der von ihm verwalteten Ausschlüsse und Repräsentationsregister — für eine kritische Kunstpraxis sehr nahe zu liegen. Mit Institutionen in einem engeren Sinn als Ausgangspunkten einer Expansion kritischer Methodiken haben Künstler wie Daniel Buren und Michael Asher eine erste „Generation" institutionskritischer Praxis gestellt.
Heute sind all diese Prämissen eher fragwürdig, die aus ihnen abgeleiteten Kriterien der Selbstreflexivität nicht mehr ausreichend für die Begründung irgendeiner kritischen künstlerischen Praxis. Und nicht die scheinbare Autonomie der Kunstinstitutionen ist das Problem, das es zu hinterfragen gilt, sondern die Tatsache, dass nun auch noch die letzten Reste ihrer Autonomie durch Privatisierung, Sammlermonopolismus und die neue Definitionsmacht des Kunstmarktes massiv bedroht werden. Hinzu kommt, dass zahlreiche Institutionen gerade jene Kunst, die sich an ihre Architektur wie auch an ihre Hierarchien regelrecht „anschmiegt", sehr willkommen heißen, wenn sie sich als Institutionen nicht sogar auf Prinzipien der Institutionskritik gründen. Gerade hier lässt sich in den letzten Jahren beobachten, wie Deregulierungstendenzen auf den kulturellen Sektor übergreifen und sich die Arbeit von Künstler/innen, Kurator/innen, aber auch Kritiker/innen mit immateriellen Produktionsformen verbindet -- wenn man nicht gleich davon ausgehen will, dass sich die kulturelle Logik des Spätkapitalismus mit besonderer Prägnanz in Kunstinstitutionen zu erkennen gibt. Entgegen der verbreiteten These von einer unvermeidlichen „Vereinnahmung" wäre die zunehmende Annäherung der Milieus von Kunst, Mode und Medien als Indiz dafür zu sehen, dass man es eher mit einem komplexen Beziehungsgeflecht zwischen Kunstmarkt und Fashion Industries zu tun hat.
Dies alles heißt jedoch nicht, dass jede Form eines Rekurses auf Institutionskritik heute vergeblich wäre. Hinter deren historische Errungenschaften gibt es kein Zurück. Wichtiger erscheint vielmehr, ein den aktuellen Veränderungen angemessenes Verständnis von „Kritik" und „Institution" zu entwickeln. Begreift man Kritik im Sinne von „Einwände erheben" und setzt man zugleich voraus, dass diese Kritik nie von einem neutralen Standpunkt aus geschieht und per se kompromittiert ist, dann lässt sich hier bestimmt neu ansetzen.
Eine weitere in dieser Ausgabe immer wieder aufgegriffene Frage: Sind, wie das die „klassische" Institutionskritik eines Daniel Buren nahe legte, tatsächlich Museen noch die maßgeblichen Institutionen? Haben nicht vielleicht Ansätze wie die von Michael Asher oder Hans Haacke mehr als nur Spuren einer Kritik in sich getragen, die sich auf ein viel weiteres Spektrum von Institutionalität bezog?
Die Beiträge dieser Ausgabe, die in Zusammenarbeit mit Benjamin H. D. Buchloh und Sabeth Buchmann entstanden ist, versuchen ein erweitertes Verständnis dessen, was unter dem Begriff „Institution" in gewandelten Bedingungsfeldern verstanden werden könnte zu formulieren und modifizierte Modelle von „Kritik" zu diskutieren, die genau dem Rechnung tragen können. In einem Text und einem Interview — und zudem in „Augenzeugenberichten" — beschäftigen wir uns eingehend mit der institutionskritischen Praxis des Künstlers John Knight seit Ende der siebziger Jahre, deren Bedeutung für eine strategische Aktualisierung unseres Themas in ihrer Vorwegnahme veränderter kultureller und institutioneller Parameter liegt. Weitere Schwerpunkte gelten der Frage nach dem Verhältnis von Kritik und Design sowie der Analyse zeitgenössischer Anknüpfungen, wie sie sich in den Beiträgen von Tino Sehgal und de Rijke/de Rooij zur Biennale von Venedig manifestieren. Zwei Statements, die Isabelle Graw und die Künstlerin Andrea Fraser auf einer Tagung in Los Angeles gegeben haben, Gespräche mit dem Galeristen Christian Nagel, dem künstlerischen Leiter der Documenta 12, Roger M. Buergel, sowie mit der Künstlerin und Kuratorin Marion von Osten runden die Bestandsaufnahme ab. Dass sich eine neuere Generation von Institutionskritik auch neuerer Organisations- und Öffentlichkeitsformen bedient, das zeigt Melanie Gilligans Bericht über das kürzlich gegründete Galerieprojekt Orchard, an dem sich ein entropischer Zustand nicht mehr trennbarer Vermischung von Markt und Kritik anzudeuten scheint.