Status Quo Vadis Alain De Botton und Seine "Statusangst"
"Fast 2000 Jahre lang trösteten derartige Legenden", schreibt der Bestseller-Autor Alain de Botton, und er meint hier Legenden, nach denen Armut so schlecht nicht sei, "über den Makel eines geringen Status hinweg". Diese Legenden enthalten eine Art populäres Wissen, dass "die Armen nicht selbst schuld sind an ihrem Schicksal" und außerdem "nützliche Mitglieder der Gesellschaft" und dass "geringer Status keine Schande" sei. Was de Botton Legenden nennt, schließt sogar das Kommunistische Manifest mit ein, in dem impliziert werde, dass "die Reichen verdorben und sündig" seien und "ihr Reichtum Raub an den Armen". "Um die Mitte des 18. Jahrhunderts bildeten sich jedoch leider drei neue Legenden heraus", bedauert de Botton, "die weniger tröstlich klangen, die stetig an Einfluss gewannen und den Konsens über die früheren Legenden unterminierten." Jetzt plötzlich werden die Reichen als nützlich angesehen, die Armen nicht, es sei eben doch eine Schande, arm zu sein, und darüber hinaus hält man sie für sündig, verdorben und selbst schuld an ihrem Schicksal. Dumm gelaufen. Und weil wir nun alle diese sich widersprechenden Legenden gleichzeitig in unserem Kopf haben, die sich gegenseitig in Schach halten, schreiben wir so verquarkte Bücher und, wie de Botton nicht schreibt, laufen durch unseren Diskursbaukasten wie mittelmäßig motivierte Hamster ohne Ausgang. Jeden- falls macht de Botton das.
Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, das derart naiv ein universalisierendes "Wir" verwendet wie de Botton in seinem gerade erschienenen Buch "StatusAngst". Dabei geht es hier um genau die Dinge, die falsche Diskussionen vom "Kampf der Kulturen" genauer machen könnten, nämlich materielle Werte, Waren, Glücksversprechen, Liebe und Liebesprojektionen, gesellschaftliche Position. Als gäbe es nur Christentum und seine Derivate, nicht aber eine weit zurückreichende weltweite Amalgamierung unterschiedlichster Einflüsse, die sich keineswegs am Modell der Kleinstadt orientiert, in der die Größe des Mercedes vor der Garagentür das Maß diktiert, in dem man gegrüßt wird.
Das Höchstmaß an Dialektik findet sich in Bottons Report über Präsident Nixons Besuch 1959 in der Sowjetunion, wo Nixon auf einer Industrie-Messe ein so genanntes amerikanisches Durchschnittshaus vorstellte. Es hatte Teppichboden, fließend Wasser, tv, Waschmaschine, eben Standard. In der Sowjetunion wollte das keiner glauben, eine elektrische Zitronenpresse, meinte Chruschtschow, der Gastgeber, sei doch albern, die wolle niemand kaufen.
De Botton erzählt von der damaligen Entrüstung der sowjetischen Presse, auch in den usa könne sich kein Arbeiter das Haus leisten, und überführt diesen Einwand locker der Propaganda. Doch, ein solches Haus habe sich schon damals ein Durchschnittsarbeiter sehr wohl leisten können, und das sei es eben, das Wirtschaftswunder. Die ideologiekritische Gegenrede, dass aber auch in den usa nicht alle Arbeiter sind, sondern als Arbeiterinnen, Arbeitslose, Junkies, Kriminalisierte etc. auch kein Haus hätten, das würde Botton wohl als irrelevant betrachten, denn es geht ihm darum, das Ausmaß dingfest zu machen, das der Wohlstand angenommen hat, und kritisch will er dann ja auch selbst sein, aber auf seine Weise. Denn, so fragt er, hat dieser Wohlstand uns was gebracht? Bringt er nicht mehr Angst mit sich als Genuss? Was macht Status? Und wie? Ein bmw, eine Barbiekollektion oder ein Diamant? Alles schöne Dinge. Aber auch ein Urlaub an der Cote d'Azur. Oder, in den sechziger Jahren, in der proletarischen Welt von Inge Meysels "Die Unverbesserlichen", auch Mallorca: Dort will die Nachwuchs-Familie (Monika Peitsch) unbedingt hinfahren und partout nicht in den Schwarzwald. Aber wer ihn hat, den Status (das Symbol), der hat Angst, es zu verlieren, das Symbol und damit den Status. Und deshalb: "StatusAngst", wie das Buch nahe legt. Status kann man nicht essen, und richtig "leben" kann man ihn auch nicht.
Das Buch mäandert durch diese West-Welt, Beispiele reichen vom Altertum bis gestern, und dabei bleibt diese Welt doch immer am gleichen Doppelpunkt: Irgendwie machen Statussymbole krank, und irgendwie machen sie auch ganz schön was her. Das Interessanteste ist noch, wenn man Bottons mentales Labyrinth als Karte eines Ideologiespeichers ansieht, in der aller Meinungs-Junk sich anhäuft, ungenutzt, um aber doch immer auch initialisierbar zu sein, und irgendwo wieder Ansichten und Urteile erzeugt. Parallel, gleichzeitig, gegeneinander, paradox, symbiotisch kann vielleicht jeder und jede gegebenenfalls jede Meinung annehmen: Boheme (die auf den Reichtum verzichtet), Revoluzzer (die den Reichen das Geld wegnehmen wollen), softer Pragmatist und Hard-boiled-Kapitalist. Kunst nimmt im Junk-Archiv de Bottons eine besondere Rolle ein, in ihrer kritischen Wertsetzung des einfachen Lebens, der natürlichen Landschaft, der stillen Gegenstände, ihrer Ästhetik, die alle Formen materiellen Werts hinter sich lässt. Gegen Ende des Buchs soll die künstlerische Boheme sogar als Token herhalten: Hier, solange sie es nicht übertreibe, zeigen doch Leute, dass sie auf Statussymbole verzichten. So-viel Naivität hätte vielleicht sogar die Ökobewegung irritiert, die letzte große Bewegung mit Trans-Status-Status. Gut, dass es heute keine Avantgarde mehr gibt, sondern nur Großkünstler und -künstlerinnen, zwar nicht immer als solche anerkannt, aber doch verkannt. De Botton wird nie verstehen, dass es auch passieren kann, dass das Statussymbol uns liebt, dann erst bekommt wir eigenen Sinn.
- Alain de Botton, StatusAngst, Frankfurt/M.: S. Fischer Verlag, 2004.