Vorwort
Das Atelier ist konkretisierter Raum — ein Ort, der historisch von bestimmten künstlerischen Arbeitsweisen hervorgebracht wurde und stets phantasmatisch aufgeladen war. Seit den sechziger Jahren stand er jedoch immer wieder unter Beschuss. War es zunächst sein privater Charakter, der ihn im Zuge einer generellen Kritik am Privaten („Das Private ist politisch") fragwürdig machte, so ging es in den neunziger Jahren eher darum, sich mit der Abkehr vom Atelier einer kritischen Auseinandersetzung mit der Forderung nach Flexibilität und Mobilität zu stellen. Es fällt auf, dass dieser Raum stets negativ bestimmt wurde und positive Bezugnahmen auf ihn prinzipiell unter Ideologieverdacht standen. Stattdessen wäre heute zu fragen, worin sein konkreter Vorzug in bestimmten Situationen und im Hinblick auf bestimmte künstlerische Vorgehensweisen liegen könnte. Das Ergebnis einer solchen Auseinandersetzung mit dem Atelier hängt allerdings immer davon ab, welchen Begriff man sich von ihm macht. Definiert man das Atelier als einen relativ autonomen Raum, der Schutz bietet und Privatheit ermöglicht, ohne deshalb gleich „Elfenbeinturm" sein zu müssen, dann gewinnt er an gesellschaftspolitischer Relevanz. Gerade vor dem Hintergrund neuerer Kapitalismustheorien, die von der unbegrenzten und allumfassenden Herrschaft eines „Empire" ausgehen, könnte mit dieser Atelierdefinition der Beweis für die Existenz „anderer Räume" angetreten werden. Denn die Tür des Ateliers lässt sich ja nach Bedarf schließen, und darin könnte — mehr denn je — sein Vorteil liegen. Die Entscheidung darüber, wem Zutritt gewährt wird, liegt in der Regel bei den Künstler/innen selbst, was nicht heißt, dass gesellschaftliche Zwänge in Form von Forderungen des Kunstmarkts etwa „draußen" bleiben würden. Auf deren Gegenwart hatte Daniel Buren in seinem kanonischen Text über die „Funktion des Ateliers" bereits hingewiesen, in dem er das Atelier als eine Mischung aus Produktionsort, Lagerhalle und Verkaufsraum treffend charakterisierte. [l] Statt jedoch die Grenze zwischen der (bedrohten) Privatheit des Ateliers und der in das Atelier vordringenden Logik des Kunstmarkts neu zu ziehen, deklarierte Buren das Atelier — nicht ohne Wehmut — für obsolet. Sein Hinweis auf Brancusi, der es noch vermocht hätte, den „authentischen" Zustand seines Werks im Atelier qua Verfügung zu erzwingen, zeugt von Trauer und Nostalgie. Wenn Buren fortan „in situ" arbeitete und seinen Arbeitsraum mit dem Ausstellungsraum fusionierte, dann könnte darin eine Fortsetzung seines zwiespältigen Verhältnisses zum Atelier gesehen werden. Seine ideologiekritische Verwerfung des klassischen Ateliers hielt ihn nämlich nicht davon ab, jeden Ausstellungsraum in eine Art Atelier zu verwandeln, wodurch die Arbeit des Künstlers scheinbar unmittelbar erhalten bleibt und nachvollziehbar erscheint. Die Arbeit vor Ort ist aber zugleich dem Misstrauen gegenüber einem Atelier geschuldet, das Buren ja vor allem init Kontrollverlust verbindet. Einmal aus dem Atelier entlassen, würde das Kunstwerk seinem wesentlichen Gehalt „entfremdet" und „manipuliert". Einmal abgesehen davon, dass Buren ganz offensichtlich von dem Vokabular der kritischen Theorie der sechziger Jahre angesteckt war, lässt sich diese Manipulationsthese heute kaum aufrechterhalten. Denn sie setzt einen authentischen Zustand des Kunstwerks jenseits der Manipulation voraus, einen Zustand, der in Wahrheit Fiktion bleiben muss. Dafür lässt Burens Begründung seines ortsspezifischen Verfahrens den ganzen Komplex Ortsspezifik in einem anderen Licht erscheinen. Es handelt sich nun um einen Versuch, die durch das Atelier nicht mehr gewährleistete Definitionsmacht des Künstlers über die eigene Arbeit wiederzuerlangen. Aus dieser Sicht wäre Ortsspezifik auch als ästhetisches Pendant zur psychischen Kontrollfantasie zu betrachten.
Burens Text sollte der „post-studio art" als zentrale theoretische Grundlage dienen. „Post-studio art" ist die Bezeichnung für eine Kunst, die sich — wie ihr Name schon sagt in erster Linie über die Überwindung des Studios bestimmt. Ganze Generationen von Künstler/innen haben sich mit dieser Designation identifiziert — angefangen von Dan Flavin über „den post-studio artist" par excellence Robert Smithson bis hin zu Andrea Fraser. Nebenbei bemerkt bleibt eine Kunst, die das Atelier mit dem Präfix „post" hinter sich lassen will, natürlich auf seine Existenz („studio") angewiesen. Was stand jedoch in der „post-studio art" oder „post-studio practice", wie sie zu Beginn der neunziger Jahre wie zur Illustrierung einer angestrebten Gleichsetzung von Kunst mit gesellschaftlicher „Praxis" genannt wurde, auf dem Spiel? Sehr viel. Bei der Abgrenzung zum Studio ging es um nichts Geringeres als um die Etablierung respektive Verteidigung einer anderen Vorstellung von künstlerischem Arbeiten, das sich so seine Apologeten — vom traditionellen Selbstverständnis des „artist in the studio" erheblich unterscheiden sollte. Als ihr notwendiger Gegensatz war die „post-studio art" allerdings auf das Klischee des besinnungslos und in totaler Einsamkeit im Atelier fuhrwerkenden „Malerschweins" angewiesen. Craig Owens' 1981 formulierte Kampfansage gegen die von ihm befürchtete Rückkehr zum Atelier („Back to the Studio") ist in dieser Hinsicht symptomatisch. [2] Das Atelier diente ihm als Metapher für all das, wogegen die politisch und theoretisch ambitionierten Künstler/innen und Kritiker/innen der späten siebziger und frühen achtziger Jahre angekämpft hatten: gegen den Mythos des kreativen, originellen Künstlers und für eine Praxis, die kritisch in die Gesellschaft intervenierte. Gegen die modernistische Privilegierung des Mediums und für ein Arbeiten in allen Disziplinen. Gegen eine Kunst, die in der Zurückgezogenheit des Studios entsteht („studio-bound art") und für eine Kunst, die vor Ort ihre Entstehungsbedingungen transparent macht. „Studio-bound art" war für ihn notwendig Malerei oder Skulptur, so als wären Gattung und Raum identisch. Dass das Studio ein relativ abgegrenzter Ort des „Studiums" ist, in dem alle möglichen künstlerischen Artikulationen — auch Performances entstehen können, ist ein Gedanke, der seinen Feldzug unnötig verkompliziert hätte. Das Atelier wird bei Owens zum Synonym für die „self expression" des zu bekämpfenden „Neoexpressionismus" unter dieses Label fielen zu Beginn der achtziger Jahre sämtliche malerischen Praktiken, die von den Kritikern im Umfeld der Zeitschrift October undifferenziert über den einen Kamm geschoren wurden. Diese pauschalisierende Verwerfung war aber auch dem Eindruck geschuldet, dass die Malerei wieder auf dem Vormarsch sei und sich erfolgreich auf dem Kunstmarkt etabliere. Dagegen galt es nun, einen anderen Kanon in Stellung zu bringen: Namen wie John Baldessari, Douglas Huebler, Michael Asher oder Robert Morris stehen bei Owens für konzeptuellere oder ortsbezogene Ansätze, die sich vom Studio losgesagt haben. Besonders Smithson wird von Owens dafür gelobt, seine Arbeit aus dem „studiogallery nexus" herausgehoben zu haben. Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Behauptung jedoch als fragwürdig. Denn auch Smithson hat schließlich seine Arbeiten in einer studioähnlichen Situation vorbereitet, hat die vor Ort gefundenen Erdhaufen in bestimmter Weise ästhetisch gestaltet und letztlich in Galerien präsentiert. Festzuhalten bleibt indes, dass Owens u. a. mit ihrem Bekenntnis zur „post-studio art" ihre Differenzen mit anderen Kunstformen gleichsam räumlich ausgetragen haben: Die Auseinandersetzung verlagerte sich auf die räumliche Ebene. Man signalisierte auf diese Weise, dass man aus dem bisherigen Raum der Kunst herausgetreten sei. Dem Anspruch auf einen „anderen Raum" auch im Sinne eines neuen „Systems von Öffnungen und Schließungen" (Foucault) wurde dadurch Nachdruck verliehen. [3]
Heute sieht man sich indes mit einer anderen Situation konfrontiert. Wollte man eine Typologie des Ateliers erstellen, dann müsste man lauter fließende Übergänge konstatieren, Sowohl im Modell des aufgehobenen bzw. ausgelagerten Ateliers (von Daniel Buren bis zu Rirkrit Tiravanija) als auch im Modell der vollständig automatisierten Atelier-Firma (Warhols „Factory", Jeff Koons, Mark Kostabi) wird man Reste von Handwerk und malerischer Signatur finden. Umgekehrt produziert der viel beschworene „artist in the studio" bei genauerer Betrachtung weder „einsam" noch verzichtet er gänzlich auf serielle, automatisierende oder fordistische Arbeitsweisen. Auch solche Ateliers, die arbeitsteilig organisiert sind und den /die Künstler/in in eine/n Manager/in verwandeln (Auguste Rodin, Rembrandt, Frank Stella, Joseph Kosuth), übernehmen zwar auf den ersten Blick kapitalistische Standards, um diese jedoch auf den zweiten Blick durch den Sonderstatus ihres Produkts (Kunst) zweckzuentfremden (Allen McCollum). Auch hier hat man es mit einer „Sonderzone" zu tun, die noch in ihrem Aufgreifen und Überbieten industrieller Methoden eigene Gesetze etabliert. Das Atelier könnte tatsächlich als ein Ort angesehen werden, der einen anderen Umgang mit der kapitalis-tischen Verwertungslogik und eine andere Zeitökonomie erlaubt. Nur sind diese Differenzen oftmals kaum wahrnehmbar, was die strikte Einhaltung „professioneller Standards" in zahlreichen Künstlerateliers beweist.
An die Stelle des in den sechziger und siebziger Jahren noch normativen Loftateliers sind unterschiedlichste Atelierformen getreten: Büro, Wohnung, Laptop, Hotelzimmer, Museumsräume oder Kneipen können Atelierfunktionen übernehmen, Die Grenzen, die dabei zu einem „Außen" eingezogen werden, verlaufen jeweils ganz unterschiedlich. Während zu Beginn der neunziger Jahre zahlreiche Künstler/innen wieder Wert darauf legten, in Offenen kollektiven Situationen an „Projekten" zu arbeiten, um die Privatsphäre des Ateliers programmatisch aufzugeben, nutzen heute wieder viele das Potenzial des in diesem Raum möglichen relativen Rückzugs. Das Atelier scheint außerdem jenen künstlerischen Verfahren entgegenzukommen, bei denen sich gezielt dem Material überlassen wird, anstatt dass ein vorab feststehendes „Anliegen" umgesetzt oder Ideen visualisiert würden. „Gezielt" ist hier der springende Punkt: Dort liegt der Unterschied zum mythischen „artist in the studio", der einsam auf die leere Leinwand starrend auf Eingebungen wartet. Ein solches Anstarren der leeren Leinwand hat sich historisch immer erst in dem Moment als interessant erwiesen, wo es sich einer gezielten Versuchsanordnung verdankte. Das aktuelle Potenzial einer so programmatischen wie forcierten Inspiration könnte darin liegen, dass sie sich der allgemeinem Tendenz zur Instrumentalisierung des Künstlers entgegenstellt. Oftmals aktualisiert sich ein Potenzial erst unter veränderten Bedingungen.
Sowohl aus rezeptionstheoretischer als auch aus produktionsästhetischer Sicht wäre das Atelier also durchaus vielversprechend, zumal es in seiner relativen Abgeschlossenheit die Konfrontation der Künstler/innen mit ihrem Material begünstigt. Somit könnte man das Atelier zum idealen Raum für ergebnisoffene und prozesshafte Versuchsanordnungen erklären, die ja einen bestimmten Abstand zum öffentlichen Raum benötigen. Was ist jedoch heute aus der geschlechtsspezifischen Kodierung des Ateliers geworden? Lange Zeit wurde das Atelier als ein Raum angesehen, der sich durch die Relation zwischen männlichem Künstler und seinem weiblichen Modell strukturierte. Ein Raum mithin, der ausschließlich männlichen Künstlern vorbehalten sein sollte. Und tatsächlich waren Künstlerinnen in ihm nur als Ausnahmen vorgesehen: Die Position des Malers im Atelier vermochten sie nur in seltenen Fällen einzunehmen. Dies hat sich jedoch — spätestens seit dem abstrakten Expressionismus — geändert. Niemals zuvor haben sich derart viele Malerinnen selbstbewusst in ihren Ateliers inszeniert. Man denke nur an all die Fotos, die Helen Frankenthaler, Elaine de Kooning oder Lee Krasner bei der Arbeit zeigen. Auf diese Attraktivität des Studios für Künstlerinnen haben Fred Orton und Griselda Pollock zum ersten Mal hingewiesen. [4] Frauen hätten sich danach gesehnt, dieser Körper im Studio zu sein, ein Körper, der sich dort in relativer Abgeschiedenheit den Forderungen
seiner Arbeit überlässt. Seither haben Künstlerinnen diesen Raum selbstverständlich in Anspruch genommen, sich die mit ihm verbundenen Arbeitsweisen Von einem männlichen Privileg oder einem exklusiv männlichen Raum kann somit keine Rede mehr sein. Künstlerinnen nutzen ihn — je nach Bedarf — ebenso wie ihre männlichen Kollegen. Die Fotos der sich im Atelier inszenierenden Künstlerinnen aus den sechziger und siebziger Jahren — Lynda Benglis, Eva Hesse, Isa Genzken — sprechen in dieser Hinsicht Bände. Um Missverständnissen vorzubeugen: Nicht das, was „wirklich" im Atelier passiert, sollte bei der Frage nach dem Atelier im Vordergrund stehen. Den auf diesem Gebiet bereits existierenden Mystifizierungen ist keine weitere hinzuzufügen. Produktiver wird es hingegen, wenn die Überlegungen zum Aspekt „Atelier" bei den künstlerischen Arbeiten ansetzen, von ihnen ausgehen. Man kann das Genre „Atelierbesuch" reaktivieren, ohne der eigentlichen Vorgehensweise des Künstlers auf die Spur kommen oder die Wahrheit finden zu wollen. Der Weg, der einzuschlagen wäre, ist ein umgekehrter. Von den künstlerischen Arbeiten ausgehend könnte die in ihnen zum Ausdruck kommende künstlerische Methode nachgezeichnet werden, die ihrerseits über eine räumliche Komponente verfügt. Jedes Kunstwerk lässt sich topografisch (in einem bestimmten Kontext, in einem bestimmten Arbeitsraum) verorten. Dies heißt jedoch nicht, dass sich die authentischen räumlichen Bedingungen aus Kunstwerken etwa ablesen lassen könnten. Eher ist es möglich, die Aufmerksamkeit dafür zu schulen, ob und inwiefern künstlerische Arbeiten bestimmte räumliche Situationen suggerieren. Was heißt es, wenn das Atelier zum Material, Thema und Gegenstand einer künstlerischen Arbeit wird, wie im Falle von Bruce Nauman? Es gibt andere Beispiele, wie die Bilder von Christopher Wool, wo von den Entstehungsbedingungen nur gesprochen wird, um sie zu verdecken, sie auszulöschen. Die wechselseitige Überlagerung all dieser Ansätze kann in anderen Fällen, etwa bei Jonathan Meese oder Elke Krystufek, angetroffen werden. Der Vorteil einer auf das Atelier bezogenen, kunstkritischen Herangehensweise ist letztlich darin zu sehen, dass sie die Aufmerksamkeit unweigerlich auf die „Gemachtheit" der künstlerischen Arbeit lenkt. Sie nötigt es einem auf, vom Objekt ausgehend eine räumliche Situierung vorzunehmen.
[1]Vgl. Daniel Buren, „Funktion des Ateliers", in: Gerti Fietzek/Gudrun Inboden (Hrsg.), Daniel Buren. Achtung! Texte 1967—1991 , Dresden/Basel 1995, S. 152—169.
[2]Vgl. Craig Owens, „Back to the Studio", in: Art in America, 1982.
[3]Vgl. hierzu Michel Foucault, „Andere Räume", in: Karlheinz Barck, Peter Gente, Heidi Paris, Stefan Richter (Hrsg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1990, S. 34—46.
[4]Vgl. Fred Orton/Griselda Pollock, Avant-Gardes and Partisans Reviewed, Manchester/New York 1996, S. 239—245.