SAMMELN AUS / ALS SOLIDARITÄT Sabeth Buchmann und Ana Hoffner ex-Prvulovic* über „No Feeling is Final. The Skopje Solidarity Collection“ in der Kunsthalle Wien
Die Schriften Igor Zabels (1958–2005) leisten eine beispielhafte Kritik der andauernden Ethnifizierungseffekte des kulturell dominanten Universalismus westlicher Prägung, die sich nach Ansicht des slowenischen Kunsttheoretikers und Kurators in Multikulturalismus- und Globalisierungskonzepten fortschreiben. [1] Der hiergegen in Stellung gebrachte Fokus auf kulturelle Austauschbeziehungen zwischen dem „ehemaligen Westen“ und dem „ehemaligen Osten“ bildet die Grundlage einer Analyse des globalisierten Kunst- und Ausstellungsbetriebs, die sich einer Re-Instituierung von Kunst sowohl in Abgrenzung zu einem homogenisierten Modernebegriff, aber auch einem postmodernen Identitätsdenken verschrieb. Zabels Versuch, kuratorische Praxis mit Institutionsanalyse und Kunstkritik zusammenzudenken, findet in der von dem Kuratorinnenkollektiv What, How & for Whom/WHW in der Kunsthalle Wien initiierten Ausstellung zur Geschichte eines solidarischen Museums, des Museum of Contemporary Art Skopje (MoCA Skopje), kongenialen Widerhall.
In einem sich erst seit Kurzem formierenden Diskursraum über Kunstinstitutionen, die aus dem Beziehungsnetzwerk der blockfreien Staaten entstanden sind – darunter die Wanderausstellungen „Southern Constellations: The Poetics of the Non-Aligned“ (Moderna galerija, Ljubljana, 2020), „Collections for a Solidary Future“ (Galerija Slovenj Gradec in Zusammenarbeit mit Contemporary Art Centre of Montenegro – the Laboratory of the Collection of the Non-Aligned Movement, 2022) oder „Rewinding Internationalism“ (Van Abbemuseum Eindhoven, 2022) –, stellt auch „No Feeling is Final. The Skopje Solidarity Collection“ eine Auseinandersetzung mit dem Potenzial des Schenkungsprinzips als Möglichkeit einer ebenbürtigen Sammlungspolitik dar.
Nach einem verheerenden Erdbeben im Juli 1963, bei dem 80 Prozent der heutigen nordmazedonischen Hauptstadt zerstört wurden, begann ein internationaler Wiederaufbau, der sich den politischen Aufteilungen der Nachkriegszeit erfolgreich entziehen konnte. Aus dem damals blockfreien Jugoslawien erging der erfolgreiche Aufruf an Künstler*innen in aller Welt, zur Sammlung des eigens gegründeten Museums für zeitgenössische Kunst beizutragen – darunter namhafte Zeitgenoss*innen wie Getulio Alviani, Maria Bonomi, Alexander Calder, Olga Jančić, Jasper Jones, Zoltán Kemény, Wifredo Lam, Sol LeWitt, Oto Logo, Meret Oppenheim, Pablo Picasso, Bridget Riley, Niki de Saint Phalle, Kumi Sugai, Dimo Todorovski, Victor Vasarely etc.
Die alles umspannende Klammer der „Solidarität“ als Basis transzendierender Austauschbeziehungen manifestiert sich in der Einladung der Kunsthalle Wien an die Künstler*innen Brook Andrew, Yane Calovski und Hristina Ivanoska, Siniša Ilić, Iman Issa und Gülsün Karamustafa, zeitgenössische Perspektiven auf das Museum zu werfen: Perspektiven, die von der Frage geleitet sind, ob Sammlungspolitik jenseits von akkumulativer Profitorientierung und im Sinne einer Überwindung ethnifizierter und hierarchisierender Differenzen dienen kann.
Den diesbezüglich konsequentesten Vorschlag machen Ivanoska und Calovski, insofern sie Arbeiten der mazedonischen Künstler*innen Dushan Perchinkov und Aneta Svetieva ausstellen, die Teil der Sammlung sind, obwohl die Künstler*innen nie eine Einladung zu einer Schenkung erhalten hatten. Als Antwort auf ethnografische Ein-/Ausschlussmechanismen und kolonialistische Selbstbereicherung im Museum orientiert sich Ivanoskas und Calovskis Raummodell an Oscar und Zofia Hansens offener Form: Das Museum als eine temporäre Gebrauchsarchitektur verstehend, welche die eigene Leerstelle verkörpert und sich selbst zum Verschwinden bringen kann, erscheinen Ivanoskas Texte und Grafiken wie Oberflächenstrukturen an der Grenze des Lesbaren. Dieser „spirituell“ zu bezeichnende Materialismus reflektiert sich auch in den elektronisch gesteuerten abstrakten Skulpturen Calovskis.
Gülsen Karamustafa konfrontiert in der Tradition klassen-, geschlechter- und kolonialismusreflexiver Institutionskritik den fragmentarisch zitierten Präsentationsstil der Skopje Solidarity Collection mit ihrer persönlichen, Souvenirs und Nippes enthaltenden Objektsammlung. Ihre Geste rückt nicht nur die Dimension des Kommerzes und des Geschmacks, sondern auch infrastrukturelle Kategorien des Reisens und Transports in den sozioästhetischen Blick auf die Unterscheidungen und Schnittmengen von öffentlichen und privaten Sammlungen.
Iman Issa wiederum reagiert auf die Vorgabe von WHW mit einer an institutions- und diskursanalytische Rekontextualisierungen von Werken der klassischen Moderne erinnernden Verknüpfung von künstlerischer und kuratorischer Praxis: I, the Artwork (2023) besteht aus einer räumlichen Komposition eigener Arbeiten mit Exponaten von Bronisław Chromy, Josip Diminić, Ivan Sabolić, Gligor Stefanov, Olga Peczenko-Srzednicka und Beáta Széchy. Die hierarchielose Aneinanderreihung musealer Werk- und Vermittlungsformate (Objekt, Malerei, Video, Wandtext, Werklabel) legt sich dabei dem Anspruch der Museumssammlung als eines orts- und zeitübergreifenden Wissensspeichers quer.
Das räumliche Zentrum der als kollektives Rechercheprojekt konzipierten Ausstellung bilden nach dem Erdbeben von 1963 entstandene architektonisch-urbane Entwürfe, darunter der Masterplan von Kenzō Tange. Weil hiervon nicht alle umgesetzt wurden, sollte sich die Stadt Skopje lange Zeit in einem „unfertigen“ Zustand befinden, der, wie die nachvollziehbar aufbereitete Dokumentation zeigt, von der rechtsnationalistischen Regierung Nordmazedoniens im Rahmen des Architekturprojekts „Skopje 2014“ ausgenutzt wurde. In der mit zerstörerischen Mall-Architekturen autokratisch verfügten Innenstadtbebauung zeigt sich nicht nur ein für das 20. Jahrhundert typischer Antagonismus zwischen progressiver und konservativer Stadtpolitik, der sich an modernistischer Formgebung und ihren Anfeindungen bis heute abarbeitet. Skopje steht zudem auch exemplarisch für die Folgen massiver Privatisierung und Liberalisierung im Postsozialismus und zumeist unsichtbare Kämpfe und Engagements seitens der zivilen Bevölkerung. Diese Bewegung ging hier von den Architekturstudierenden unter dem Namen „Prva Arhi Brigada“ (First Archi Brigade) aus und entwickelte sich zu einem über viele Jahre andauernden Protest. Leider vermögen es die selektiven und stellenweise improvisiert gehängten Fotos von Elfie Semotan nur selten, den im Zeichen der sozialistischen Moderne begonnenen Wiederaufbau und im Zeichen des konservativen Neoliberalismus vorangetriebenen Umbau Skopjes zu transportieren.
Zugleich bleibt in der Ausstellung das Verhältnis von künstlerisch-ästhetischer Produktion und sozioinstitutioneller Reproduktion, das Sammlungspolitiken als besitzindividualistische Praxis bestimmt, tendenziell außen vor. So erzeugt die mit originalen Museumsmöbeln bestückte Podestlandschaft von Siniša Ilić den Eindruck nostalgischer Authentizität, die einer kritiklosen Reproduktion gegebener Repräsentationsverhältnisse, vor allem aber einer Festschreibung von Gewalterfahrung in der Skulptur der Nachkriegszeit gleichkommt. Auch wenn das von Wiradjuri-Schnitzereien inspirierte Display, darunter eine buchstäblich aufgeblasene Riesenskulptur von Brook Andrew, das museale Setup der kolonialen Moderne aufzubrechen sucht, vermag es dennoch nicht, die damit verbundene Geschlechterrepräsentation der Skopje Solidarity Collection historisch-kritisch zu vermitteln.
Der Ausstellung fehlen zuweilen die gerade in feministischen Diskursen zusammengedachten Implikationen von Subjektivität, Tausch und Schenkung, die in Differenz zu herrschenden kulturellen Ökonomien bereits oft reflektiert wurden. [2] Auch die Idee transnationaler Verwandtschaften, die sich nicht zuallererst durch Nation, das heißt durch heteronormative Reproduktionsketten und Erbschaften konstituiert, hätte nahegelegen. Schließlich gilt es ja auch, die naive Auffassung zu revidieren, derzufolge Rassismus durch humanistisch-freundschaftliche Verhältnisse überwunden werden kann. Rassistische, nationalistische und heteronormative Strukturen können ohne Weiteres in einer multikulturellen Gesellschaft und vermeintlich gerechteren institutionellen Ökonomie fortbestehen. Diese Hinweise dienen nicht als Einwand gegen den in jeder Weise hoch spannenden und unterstützenswerten Vorschlag, solidarische Sammlungskonzepte aus der Zeit sozialistischer Nonalignment-Politik in zeitgenössische Ausstellungspraxis zu übersetzen; sie dienen eher Möglichkeiten einer Weiterentwicklung historisch-materialistischer Ansätze und Perspektiven: Schließlich beginnt „No Feeling is Final“ mit einem Hinweis auf die brutale Zerstörung Skopjes durch die Habsburger als Racheakt am Osmanischen Reich im Jahr 1689. Dass WHW diese Ausstellung in Wien platziert, kommt daher einem buchstäblich ortspezifischen Blick auf imperialistisch-rassistische Verheerungen gleich, die auf der Orientalisierung des „ehemaligen Ostens“ aufbauen.
In diesem Sinne stellt die Präsentation der Skopje Solidarity Collection ein höchst vielschichtiges, weil die Geschichte des Kolonialismus der Habsburgermonarchie mit jener der sozialistischen Nonalignment-Politik und des restaurativen Neoliberalismus verbindendes Unterfangen dar. Es gibt im gegenwärtigen Ausstellungsgeschehen derzeit wenig, was derart relevant wäre: Zumal „No Feeling is Final“ ein Gefühl für die Notwendigkeit einer solidarisch geteilten Gegenwart in einer Zeit schafft, in welcher die Narrative des Kalten Krieges nicht mehr nur Geschichte sind.
Die Ausstellung erinnert nicht zuletzt an das kriegerische Ende der Sozialistischen Föderation Jugoslawiens und jene Renationalisierung, die bekanntlich auch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine kennzeichnet. In dieser Situation das Schenkungsprinzip als ästhetische, ethische und ökonomische Matrix des Kunstsammelns vorzuschlagen, verleiht schließlich auch der Hoffnung Ausdruck, dass der (angemaßte) Besitz von kultureller Identität mit dem (angemaßten) Eigentum von Objekten nicht notwendigerweise übereinstimmen muss.
„No Feeling is Final. The Skopje Solidarity Collection“, Kunsthalle Wien, 20. April 2023 bis 28. Januar 2024.
Sabeth Buchmann ist Professorin für Kunstgeschichte der Moderne und Postmoderne an der Akademie der bildenden Künste Wien und Mitherausgeberin von PoLYpeN, einer Reihe zu Kunstkritik und politischer Theorie (b_books, Berlin). Ihre aktuellen Veröffentlichungen: Kunst als Infrastruktur (Verlag Walther König, 2023) und Broken Relations: Infrastructure, Aesthetic, and Critique (Mitherausgeberin, Spector 2022).
Ana Hoffner ex-Prvulovic* ist Künstlerin*, Forscherin* und Autorin*. Ihr* besonderes Interesse gilt Themen wie Queerness, Darstellungen des globalen Kapitals, Kolonialität und der Osten, Formen der Flucht, frühe Psychoanalyse sowie Erinnerungs- und Kriegspolitik. Zu den jüngsten Ausstellungen zählen „Active Intolerance“ im Kunstverein Braunschweig (2023) und „Ana Hoffner ex-Prvulovic*“ in der Kunsthalle Wien (2021). Zur Ausstellung in der Kunsthalle Wien erschien der Katalog Contemporary / Unconscious 2023 bei Sternberg Press. Sie* ist Professorin* für Künstlerische Forschung an der Universität Mozarteum Salzburg.
Image credit: 1+2. Kunsthalle Wien, photo www.kunst-dokumentation.com; 3. © Elfie Semotan
Anmerkungen
[1] | Siehe Igor Zabel, Contemporary Art Theory, Zürich: JRP Ringier, 2012. |
[2] | Zum Beispiel hier: Gayle Rubin, „The Traffic in Women. Notes on the ‚Political Economy‘ of Sex“, in: Toward an Anthropology of Women, hg. von Rayna Reiter, New York: Monthly Review Press, 1975; Anne McClintock, Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Contest, New York: Routledge, 1995; Rosalyn Diprose, „Women’s Bodies Giving Time for Hospitality“, in: Hypatia, 24, 2, 2009, S. 142–163. |