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die neuen Zugangscodes

#WangRihCassPuffJayBeyKimAnna in der ersten Reihe der Yeezy Season 1 Show, 2015

Die Parameter der Modenschau – einst führenden Modejournalisten, Einkäufern und den zahlungskräftigsten und loyalsten Kunden vorbehalten – haben sich in den letzten Jahren dramatisch gewandelt: Ob Yeezys Präsentation im Stadionformat im New Yorker Madison Square Garden, Burberrys Laufsteg-Livestream unter dem Motto „See now, buy now“ oder Chanels Show während der Paris Fashion Week in diesem Frühjahr, bei der hierarchiefrei alle Zuschauer in einer einzigen ersten Reihe saßen – das Défilé de mode hat als Inszenierung der feinen Abstufungen von Macht innerhalb einer elitären Modewelt ausgedient.

Angesichts der zentralen Rolle, die das Exklusivitätsprinzip und das dadurch geweckte geweckte Begehren nach Zugang hier traditionell spielen, wirft das die Frage auf, mit welchen Strategien die Labels auf diesen Wandel antworten (und wie die Kunden ihrerseits darauf reagieren). Natasha Stagg, Modejournalis­tin und Redakteurin bei „V“ und „VMAN“, untersucht hier, wie Mode äußerst präzise die Zukunftssorgen und neuen Freiheiten eines sich verändernden Systems widerspiegelt.

Natasha Stagg

In diesem Jahr ist ein weiterer Versuch eines komischen wie aufschlussreichen Films über die Modewelt misslungen. „Zoolander 2“ – Ben ­Stillers selbstreflektierter Blick auf eben die Celebrity-besessene Welt, die sein Vorgänger „Zoolander“ in gewisser Weise vorausgesagt hat – war vielleicht etwas zu nah dran an der Wirklichkeit. Nicht dass er der Wirklichkeit zu sehr entsprochen hätte; er steckte vielmehr mit ihr unter einer Decke, enthielt zu viele Gastauftritte aus der Welt, über die er sich lustig machte. Er war das Ergebnis einer Fehleinschätzung: Niemand will die Geschichte komplett vorbuchstabiert bekommen. Zu verstehen, warum wir etwas wollen – im Modekontext also sich mit den kalten, marktorientierten Mechanismen, durch die Trends geschaffen werden, auseinanderzusetzen –, zersetzt die Beständigkeit dieses Wollens. Die Modewelt mag ihre Filme in der Art ihrer Modeschauen: als Paraden undurchdringlicher Verrücktheit in mindestens einer Armlänge Entfernung. Unser Begehren soll durch die Mode komplexer gemacht werden und umgekehrt – umso besser, wenn es zur Verzweiflung getrieben wird. Überrascht es da, dass Kreativdirektoren und -direktorinnen als Inspiration für ihre Kollektionen immer wieder „Grey Gardens“ oder „Gummo“ oder „Female Trouble“ angeben? Oder dass zu ihren größten Modeikonen durchweg die weiblichen Hauptrollen aus „Basic Instinct“, „Taxi Driver“ und „Lolita“ zählen – also Serienmörderinnen, Prostituierte und „gefallene Mädchen“? Denn es ist das Unbehagen, jener minimale Twist, der den Moralkompass irritiert, das tief liegende Wünsche freilegt. Im Film wie in der Mode steht die „Frau am Rande“ für Impulsivität – also genau für das, worauf der Handel abzielt. Und währenddessen wollen wir, stellen unser Wollen aus, geißeln uns für unser Wollen. Die Mode ist das Bild für diesen Zyklus; wir wissen, dass es falsch ist, uns nach neuer Kleidung zu verzehren, doch der Wunsch bleibt bestehen. Und schließlich ist dasselbe impulsive Verhalten, das die Mode beflügelt, ihre eigene kitschige Inspiration.

Und hier kommen Pseudo-Celebrities und soziale Medien ins Spiel, statten den Ouroboros namens Konsum mit Schuppen aus. Doch Mode ist nicht einfach history repeating itself; sie studiert die Geschichte, sie findet Identität in der Wiederholung. Sie ist die unsicherste aller Kunstformen, berücksichtigt mit einem Seitenblick jedes gefällte Urteil, gibt selbst Urteile ab, registriert die Gipfel und die Täler der Kulturproduktion. Sie ist passiv aggressiv. Designer/innen geben mit Liebe ihre Unzufriedenheit mit dieser Welt zu, wie auch ihre selbstauferlegte Abschottung gegenüber negativer Presse. Aus Prinzip ist Mode elitär, wird daher zwangsläufig immer hässlich sein – und scheinheilig. Doch gerade diese Unfähigkeit, sich in etwas moralisch Richtiges oder Falsches aufzulösen, macht sie so unwiderstehlich. .. class:: image

Burberry Flagship Store in Peking / Beijing, 2011

1. Show

Die Modenschau ist auf aggressive Weise isolierend. Das war sie schon immer, und das war stets Teil des Plans. Im 19. Jahrhundert war die „Mode-Parade“ eine für Presse und Käufer/innen veranstaltete Präsentation: ein soziologischer Apparat, konstruiert rund um das Versprechen der Exklusivität, gewissermaßen geschaffen als Darstellung von Hierarchie. Die Eingeladenen durften die Kleidung zuerst sehen; als Gegenleistung für eine mögliche bessere Platzierung in Medien und Geschäften wurde sie ihnen exklusiv angeboten.

Doch seit ihren Anfängen hat sich die Modenschau drastisch verändert, hat ihr ursprünglicher Zweck viel von seiner Gültigkeit verloren. Zu den wichtigsten Neuerungen gehört die Frage, wer heute an der Spitze der genannten Hierarchie erscheint: Auf jeder Modenschau in jeder Modehauptstadt der Welt erlebt man heute, wie die einst zuverlässig in der ersten Reihe platzierten Gäste sich empören, dass ihnen ein Sitz eine oder zwei Reihen weiter hinten zugewiesen wird – hinter den Promis und den „Bloggern“. Gleichzeitig wird die Wichtigkeit ihrer Anwesenheit zunehmend infrage gestellt: „Bekunden wir hier nur noch Unterstützung?“, raunt es in den hinteren Rängen. Schließlich haben Branchen­medien wie Women’s Wear Daily in der vergangenen Saison eben jene Marken mit Aufmerksamkeit überschüttet, die ihre Onlineprojektionen sofort shoppingfähig gemacht haben, und selbst auf der Webseite der Vogue erscheint nun ein Symbol mit einer kleinen roten Handtasche neben jeder Bildstrecke, das zur jeweiligen Kollektion führt. Womit sich also die Frage stellt: Was wird den Showbesuchern geboten, das den Millionen Menschen, die die mediale Verbreitung der Show in Echtzeit verfolgen können, nicht ebenfalls zugänglich ist? Wie der Film „Prêt-à-porter“, Robert Altmans satirischer Blick auf die Modewelt von 1994, mit seiner Nackt-Laufsteg-Szene konstatierte, sind wir da, um des Kaisers neue Kleider aus der Nähe zu betrachten. Aber vor allem sind wir da, um sagen zu können, dass wir da waren. (Oder um hinter einem Promi Verstimmung vorzugaukeln, wohl wissend, dass der Gesichtsausdruck auf einem Paparazzi-Foto landen könnte.)

Céline-Werbeanzeige / Céline advertisement in „Artforum“

Wenn ein Showbesuch aber nur eine Loyalitätsbekundung gegenüber einer Marke wäre oder es wenigstens irgendwann sein wird: Warum sollte sich dann nicht jede/r Kreativdirektor/in dafür entscheiden, die Show für alle zugänglich zu machen, wie etwa Riccardo Tiscis erste New Yorker Givenchy-Show? Oder gigantisch, wie Kanye Wests Event im Madison Square Garden für Yeezy Season 3, Hedi Slimanes Show im Palladium in Los Angeles oder eine von Karl Lagerfelds wandernden Chanel-Präsentationen? Eine mögliche Antwort: Unter weniger sensationsträchtiger Leitung würde eine solche Show nie ein großes Publikum finden. Wenn so eine Fanfare für eine Marke, die eher überlebensfähig ist als ein Spektakel für sich zu sein, also schwer machbar ist – warum dann nicht die Showsitze ganz abschaffen? Viele Marken bewegen sich tatsächlich allmählich in diese Richtung, zeigen ihre Kollektion über Periscope oder Snapchat, schon bevor sie den Backstage-Bereich verlassen hat, inszenieren Shows exklusiv für Onlinebetrachter/innen, indem sie Virtual-Reality-Headsets für iPhones als Einladungen verschicken, oder bieten die Laufstegkollektion unmittelbar nach der Vorstellung online an statt eine Saison später und lassen die traditionellen Ladengeschäfte so vollständig außen vor. Seit den 90er Jahren sind Modenschauen immer wieder live gestreamt worden, und doch wird in jeder Saison irgendeine „Innovation“ angekündigt, die die High Fashion angeblich noch näher in Reichweite rückt – ein Paradox: das Versprechen auf Zugang zu einer absolut elitären Welt.

„Dior Eyes“, Virtual Reality Headset, Christian Dior, 2015

2. Soziales

Als die Modeindustrie verspätet doch noch Wind von den sozialen Medien bekam, waren die Reaktionen durchwachsen. Einige Moderedakteure und -redakteurinnen sahen nur eine weitere erste Reihe, hinter der sie Platz zu nehmen hatten. Andere sahen dies als ihre Chance, die Logenplätze zurückzugewinnen, und stellten sicher, dass ihr Output so nah dran und aktuell wie möglich war. Einige Marken passten sich an ein technikaffines Publikum an, indem sie Kollektionen mit Slogans durchsetzten, als wären es Bildbeschriftungen. Andere, wie Céline von ­Phoebe Philo, scheinen für diese Strategie nur Hohn und Spott übrigzuhaben und verweigern jede Art von social feed oder auch nur einen Onlineshop. Wenn Philo eines ihrer seltenen Interviews gibt, spricht sie stets über ihre Aversion gegen Wegwerftrends (und gegen jene Standardfrage, was ihre Kundin definiere). Fehlende Präsenz in den sozialen Medien – das Fehlen von Verzweiflung – kann hier gar luxuriös wirken, wenn es Vertrauen in die Beständigkeit der eigenen Marke ausdrückt.

Das Londoner Unternehmen Burberry Prorsum hingegen setzt moderne Marktstrategien ein und sieht sich in jedem Rennen um mediale Reichweite weit vorn. Doch das Label, bekannt für seinen britischen Nationalstolz sowie für die Kreation des perfekten Trenchcoats, war lange quasi ein großer Fisch in einem kleinen Becken und stellte seine etablierten signature styles und prunkigen Hochglanzwerbekampagnen vor allem vor den Hipster-Studenten der Designschule Central Saint Martin’s und deren Alumni auf der Insel zur Schau. Obwohl Burberry problemlos die Zelte abbrechen und in Paris oder Mailand präsent sein könnte, entschied sich die Firma nun, die Marke durch andere Aktivitäten auszubauen: durch eine Show in L.A. (wie Slimane mit Saint Laurent), mit der sich bequem Hollywoodgäste anlocken ließen; durch alle erdenklichen Methoden des Live-Zugangs für ihre Fans; und dadurch, dass sie als eine der ersten Marken überhaupt die komplette Laufstegkollektion jedermann zum Kauf anbietet, sobald sie auf der Fashion Week erschienen ist. Auch Proenza Schouler, ein künstlerisch großer Fisch im weitgehend schlichten Becken New Yorks, bot in der vergangenen Saison einige „See now, buy now“-Stücke an (wie dies auch ein paar erschwinglichere Labels taten).

Und doch: Blogger und Trendbeobachter tun sich jetzt schon seit Jahren mit High- und Low-Fashion-Marken zusammen, schon seit Jahren werden optimales Timing und optimale Platzierung recherchiert, schon seit Jahren wird der point of access zum erwerbbaren Look immer wieder neu verschoben. Und auch als Modebetrachter/innen sind wir unmittelbare Befriedigung mindestens gewohnt, seit die Streetstyle-Fotografie so populär ist, wie die Berichte vom Runway es sind. Als die Online-Sofortkaufoption vonseiten des Massenmarkts und der Branchenzeitschriften nun endlich als die Zukunft der Mode abgenickt wurde, wirkte dies daher wie eine längst überfällige Anpassung.

Gisele Bündchen, Victoria‘s Secret, 2001

3. Shopping

Derweil scheinen selbst diese „New Commerce“-Marken irgendwie desinteressiert an den sich entfaltenden Werbeprozessen. Es ist weniger ein begeistertes Annehmen mit offenen Armen als vielmehr ein „Das wollt ihr also? Na schön!“, das jede Aufmerksamkeit für die merkwürdige Künstlichkeit, die die Mode ausmacht, vermissen lässt: die merkwürdige Künstlichkeit, dass jede Saison eine imaginierte Essenz, ein weiterer Bestandteil des parfümierten Erbes einer Marke durch ein ganzes Team neu erschaffen wird. Die Modenschau lässt sich in diesem Sinn mit den unfassbaren Engelsflügeln vergleichen, die man an jenen Katalogmodels sieht, die in die Ränge der Victoria’s-Secret-Engel aufsteigen dürfen und zur Weihnachtszeit für das Unterwäschelabel laufen: Die Flügel stehen nie zum Verkauf. Und tatsächlich steht auch vieles aus den Laufstegkollektionen einer Luxusmarke nie zum Verkauf.

Sobald sich der wahre Wunsch einer Marke, gekauft zu werden, offenbart, löst sich alles in Luft auf. Was Burberrys Strategie daher fehlt, ist das glamouröseste aller Statements: falsches Selbstvertrauen. Vielmehr ist die Firma von so großem Vertrauen in die eigene Marke erfüllt, dass sie keinerlei Bedenken hat, die Bonität ihres symbolischen Werts aufs Spiel zu setzen. Denn nach der Premiere der „See now, buy now“-Shows lautete die Frage, die allen sogleich im Kopf herumschwirrte, nicht: „Wie bekomme ich diese Kleider?“, sondern: „Wie gut hat der Plan funktioniert?“ Allzu schnell rückten die Verkaufszahlen in den Blick. Die Strategie musste scheitern, denn sollten die Zahlen nicht skandalös sein, würde sich einfach keiner darum scheren; und sollten die Zahlen tatsächlich mies sein, wäre das schlicht ein schlechtes Geschäft. Burberrys „Shop the Runway“-Modell verspricht „Exklusivität“ und rechtfertigt diese Behauptung, indem den Kunden (über Livestream und Twitter) eine begrenzte Zeit zum Kaufen eingeräumt wird, bevor alle anderen Zugang im Laden erhalten. Doch in der Mode ist Exklusivität nicht durch ein privilegiertes oder erweitertes Shopping-Zeitfenster definiert. Wohl oder übel bleibt Luxus nur so luxuriös, wie er unerreichbar ist – aufgrund des Preises, des beschränkten Angebots oder des Markenstatus. Und dieser Status hängt – so hat es der Rest der Welt entschieden – am Verhältnis von Vertrauen zu Solvenz, oder mit anderen Worten: Höhe des Risikos mal echte Verzweiflung. Selbst wenn die Modewelt in die Richtung steuert, die Burberry so stolz vorgegeben hat, stellen diese Ansätze (wie auch etwa J. W. Andersons Livestream in der schwulen Dating-App Grindr) im Augenblick Fallstudien dar. Tatsächlich könnten sie daran scheitern, dass sie jedem VIP-Zugang gewähren – und somit niemand mehr very important ist.

Andy Warhol, Lauren Hutton, Brooke Shields, Patricia Kennedy Lawford, Donald Brooks in der ersten Reihe bei / front row at Valentino, 1982

4. Stil

Doch im Innersten der Pläne der großen Marken, das Onlineshopping zu infiltrieren, lässt sich ein bewusstes menschliches Zentrum ausmachen – oder zumindest eine gewisse materielle Basis. Für Onlinekäufer/innen ist Branding (einschließlich Branding durch Anti-Branding) von entscheidender Bedeutung: Im Bild eines Produkts auf dem Bildschirm findet man nur schwerlich einen Wert, wenn seine Luxusherkunft nicht eindeutig erkennbar ist. Zugleich ist dieser Trend eine Reprise der Logomanie der späten 1990er Jahre, wie etwa Louis-Vuitton- und Gucci-Symbole, die in großem Stil auf die Taschen zurückkehren. Er ist auch eine Fortsetzung der antikapitalistischen Reaktion darauf, wie die kreideartig aufgemalten Chanel-Logos, die fingierten Markenallianzen à la Adbusters, der Paramount-Pictures-Verschnitt von Hood By Air oder die Trainingsanzüge von Vetements mit falschen Champion-Logos zeigen. Kaum überraschend ist Maison Martin Margiela bei Weitem der wichtigste Einfluss auf die heutige Modeszene – das 1988 gegründete Haus hat das „Anti-Branding-Branding“ quasi erfunden, indem es unbedruckte weiße Etiketten mit vier groben, von außen deutlich erkennbaren weißen Stichen an den Innenseiten der Kleidungsstücke applizierte.

Hood By Air, Galvanize collection, SS 2016, Foto: Pascal Gambarte

Die klaren Design-Reverenzen an Dekonstruktion und Sportbekleidung sind auch Reverenzen an das, was auf der Fashion Week oft zahlreiche Paparazzi-Fotografen lockt. Das Streetstyle-Phänomen, das in den 2000er Jahren von Blogs wie „The Sartorialist“ auf die Spitze getrieben wurde, wird inzwischen beinahe als Witz betrachtet: Die buchstäblichen Poser außerhalb von Modenschauen sind die Rodeoclowns der Fashion Week; offenbar nicht populär oder engagiert genug, selbst in den Ring zu steigen, wirken sie verzweifelt. Mode für einen innovations­gierigen Konsumenten muss dieses unbehaglich verzweifelte Gefühl, dieses nervöse Augenlid, zum Zwinkern bringen. Sie muss das Missbehagen der Gesellschaft reflektieren – so wie es die Kleinstadt-Metal-Fans in „Gummo“ taten, die Hautevolee-Parias in „Grey Gardens“ oder die ruhmeshungrigen High-School-Abbrecher/innen in „Female Trouble“. Und wie Margiela, der Kleidung aus Alltagsgegenständen fabrizierte, oder Jean-Paul Gaultier, der Innenfutter nach außen wandte, muss sie die Dinge sehen, wie sie sind.

5. Selbst

Was macht unsere Zeit nun im Allgemeinen aus? Wir sind Promi-besessen und allesamt potenziell selbst prominent; wir werden begutachtet und überwacht und geben unsere Meinungen durch narzisstische Beiträge in den sozialen Medien der Vermarktung preis; wir fürchten uns vor Angriffen und misstrauen der Art, wie uns diese Angriffe erklärt werden; immer hoffen wir, sexier zu erscheinen, als wir uns eigentlich fühlen, und beizeiten können wir die Bilder von uns so manipulieren, wie wir sie gerne hätten.

Die Runways reflektieren zumindest diese Selbstbild-Dysmorphophobie. Geschichten über die Reimagination des Selbst: Shayne Oliver (Hood By Air) lässt in BDSM-Accessoires und sportinspirierten Drucken die Qualen durchblicken, als schwuler Schwarzer in New York aufzuwachsen, während der russische Designer Gosha Rubchinskiy und der Georgier Demna Gvasalia (Vetements und Balenciaga) mit Acid-Wash-Jeans und siebbedruckten Jacken an die einstmalig revolutionären 80er und 90er denken lassen. Es sind Entwürfe wie Erinnerungen an eine Maskulinität in unerreichbarer Ferne: an Wettkampf und Patriotismus, wie sie von den Designern in ihrer Jugend erwartet wurden und sie einschüchterten. Es ist keine Sportkleidung fürs Fitnessstudio, sondern vom Sport beeinflusste Abendbekleidung mit Reverenzen an die Trikots professioneller, gesponserter Teams. Welches Spiel gespielt wird, liegt allein in unserer Vorstellungskraft. Diesen Vormarsch tragbarer Tech- und Sportkleidung hat so manche/r Modejournalist/in schnell mit dem verschärften Überwachungsstaat erklärt, wobei die Laufstege den Massen die Rüstung bieten sollen, sich vor dem allgegenwärtigen Auge des Staates zu schützen. Doch High Fashion war niemals wirklich der Ort, wo praktische Gegenstände vorgestellt werden.

Yeezy Season 3 Show, Madison Square Gardens, New York, 2016

In allererster Linie reflektieren die Laufstege auf komische, unterhaltsame, exquisite Weise uns selbst – so wie wir eben sind. Ein überzeugenderes Argument für den Anstieg von Sportswear-inspirierten Linien könnte man in der größeren Popularität exhibitionistischer Fitness-Enthusiasten und deren wachsende Zuschauerschaft suchen, haben doch Reality-TV und die sozialen Medien den Akt des Trainierens weitaus geläufiger gemacht: Die schweißtreibenden Übungen sind sexy, weil sie Verletzlichkeit andeuten (und weil sie mit eng anliegender Kleidung verbunden sind). Die Leute „liken“ Gym-Selfies. Nicht neu ist die darauf abgebildete Ausrüstung, wohl aber die Zugänglichkeit, die die Bilder behaupten. Dabei sind diese sexy Gym-Fotos surreal: Das Make-up ist makellos, die Übung sieht einfach aus (was ihrem Zweck widerspricht, wie man annehmen darf). Ich habe meine Facebook-Freunde nach dem Kleidungsstück gefragt, das sie am häufigsten auf Instagram, aber nie in Wirklichkeit sehen, und die überwältigende Antwort lautete: „Trainingskorsetts“. Als ich bei der letzten Modenschau von DKNY also feststellte, dass die Kollektion sportlich, aber eng geschnürt aussah, dachte ich an die trainierende Prominenz der sozialen Medien. In den Besprechungen tauchten Wörter wie „praktisch“ und „New Yorker Streetstyle der 90er“ auf – im High-Fashion-Kontext sicher nicht ganz falsch. Doch jenseits des Laufstegs, in der wirklichen Welt, sieht ein Seidenkleid mit dicken Tressen nun mal eher nach Couture als nach Unimannschaft aus. Richtig ausgeführt wird die Sache ein Insiderwitz darauf, was Sport und Uniformen – die symbolische Abwesenheit von Individualität – bei uns, den Fashion Victims, auslösen. Das sind dann vielleicht Erinnerungen an die Versuche, sich einzugliedern, als Individuum mit mehr Interesse an der Kunst als am Sportwettkampf, gepaart mit den klassischen Reaktionen auf eine weichere Silhouette. Anders als Malerei oder Skulptur kann die Mode sich nicht allzu weit vom Körper lösen, wenn sie an dem für sie bestimmten Ort (den Geschäften) noch eine Rolle spielen will. Darauf, Gefühle des sexuellen Begehrens zu evozieren, zumindest bei einem Teil des Publikums, kann ein/e Designer/in nicht vollständig verzichten, wenn das Ziel die Vermarktbarkeit ist. Und auch Fragen der Sexiness haftet Konkurrenzdenken an.

Harmony Korine, „Gummo“, 1997, Filmstill / film still

6. Sex

Sex sells. „Die größte Intensität von sinnlicher Leidenschaft“, schrieb Freud, „wird die höchste Wertschätzung des Objekts mit sich bringen.“ Unser sexuelles Begehren, intensiviert durch unsere Unsicherheit, verbindet sich leicht mit Konsumbedürfnissen. Vom Verlust geht der Geist zum Bedürfnis über, von der Depression zur unerwiderten Liebe. Sex selbst ist ein fetischistischer Akt. Über den Umweg der Verzweiflung macht er das Banale interessant. Wenn Kleidung sexy ist, bewegt sie sich auf beiden Seiten der Grenze zwischen Verzweiflung und Begehren, eines nur unwesentlich näher am Wahnsinn als das andere. Die Modewelt – die Branche, die Fans und die Kleidung selbst – ist verrückt und verzweifelt. Sie liebt verrückte, verzweifelte Darstellungen, auf dem Laufsteg wie im Film. Und so bin ich gespannt, wie sich Nicolas Winding Refns Horrorfilm „The Neon Demon“ an der Kinokasse machen wird, ein Film, in dem Models, Fotografen und Makeup-Artists gegen noch nicht zynisch gewordene Mode-Möchtegerne antreten. Er ist ebenso campy wie jeder andere Lieblingsfilm der Modewelt, und sein Thema ist die Verzweiflung. Aber ist er damit womöglich, wie „Zoolander 2“, zu nah dran? Oder teilt er doch zu wenige echte Schläge gegen die Mode aus, um diese ewiggleiche, allzu offensichtliche Zielscheibe zu Fall zu bringen? Der Unterschied zwischen „fabelhaft“ und „tragisch“ ist in der Modewelt jedenfalls ein sehr, sehr feiner: fein wie das Garn in des Kaisers Kleidern.

Natasha Stagg

Übersetzung: Robert Schlicht