Unfreundliche Übergabe. Gottfried Fliedl über den Umzug der Generali Foundation nach Salzburg und die strukturelle (Teil-)Privatisierung öffentlicher Museen
Räume der Generali Foundation, Wien. Foto: Margherita Spiluttini
Mitte Januar 2014 wurde die Öffentlichkeit von einer Pressekonferenz überrascht, in der Vorstandsmitglieder des Generali Versicherungskonzerns und Politiker des Landes Salzburg den Transfer der Sammlung der Wiener Generali Foundation an das Museum der Moderne in Salzburg ankündigten. Mitgeteilt wurde, dass die etwa 2100 Werke der Sammlung von rund 250 Künstlern und Künstlerinnen auf 25 Jahre befristet verliehen würden; außerdem die Bereitstellung von Personal, die Übersiedlung auch des zur Foundation gehörigen Archivs und der Bibliothek sowie die Übertragung der Verwaltung eines Ankaufsbudgets in bisheriger Höhe an die neue, die Sammlung beherbergende Institution.
Das zentrale Argument für die Kooperation nannte Dr. Dietrich Karner, Initiator und Präsident der Generali Foundation: "Die Sammlung war für unser Unternehmen immer ein bedeutender Imageträger. Aber in Wien sind wir an Grenzen gestoßen. In Salzburg wissen wir sie in guten Händen, da gibt es viel mehr Platz, große Teile der Sammlung der Öffentlichkeit häufiger zugänglich zu machen." (Die Presse, 17.01.) Die Initiative zur Kooperation mit dem Museum der Moderne erfolgte ohne Not. Dr. Karner räumte ein, dass die Foundation nicht akut gefährdet gewesen sei und dass es keinen Druck des Konzerns gegeben habe.
Die Vereinbarung, deren vertragliche Grundlage der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht wurde, lässt sich dennoch in groben Umrissen auf Grund der verschiedenen öffentlichen Äußerungen darstellen. Der Konzern spart drei Viertel seines Foundation-Personals – nur drei von zwölf Personen könnten nach Salzburg wechseln -, er trägt die Übersiedlungskosten sowie die der Versicherung der Sammlung während der Leihgabe. Durch Vermietung oder Verkauf des Wiener Standortes hingegen kann der Konzern nun eine beträchtliche Summe erwirtschaften. Die wichtigste Frage bleibt offen: Was geschieht mit der Sammlung nach den 25 Jahren und gibt es dazu im Vertrag eine Regelung?
Die Marke ‚Generali Foundation‘ bleibt erhalten und werde, so kündigte Dr. Karner an, in Salzburg sichtbar werden. Die aus Steuermitteln gespeiste Infrastruktur des Museums der Moderne kommt nun auch dem Konzerninteresse zugute: Ausstellungen, bauliche Investitionen wie die Errichtung des neuen Depots, die unter anderem durch die Sammlungsübernahme notwendig geworden ist, Forschung, Öffentlichkeitsarbeit, Vermittlung, Publikationen und Marketing.
Dabei geht es um einen Ort, an dem man sich kritisch mit Politik, (Kunst)Markt, Ökonomie auseinandergesetzt hat und an dem – um nur ein Beispiel zu nennen – mit Hans Haacke die direkte Institutionenkritik am Museum und an seinen ökonomischen und machttechnischen Rahmenbedingungen einen prominenten Platz hatte. Die Generali Foundation ist ja keineswegs nur eine Sammlung und ein Ausstellungsort, sondern ein Milieu, das sich entwickelt hat und nun als ein fast einzigartiger Raum der Erprobung, der Debatten, des Austausches hervorragend funktioniert.
Die Andockung an das Museum der Moderne in Salzburg folgt dagegen neoliberalen Maximen der Effizienz und des Erfolges, etwa wenn die weitaus höheren Besucherzahlen des Salzburger Museums gegen den Wiener Kunstraum ins Treffen geführt werden.
Museum der Moderne, Mönchsberg, Salzburg. Foto: Andreas Praefcke
In den Äußerungen der zuständigen Landespolitiker vermisst man die Achtsamkeit und Wachsamkeit genau gegenüber diesen Qualitäten. Der Landeshauptmann von Salzburg, Wilfried Haslauer, begründete den Nutzen, den das Land habe, einerseits mit der wachsenden Möglichkeit Leihgaben zu akquirieren und andererseits ‚touristisch’, mit der Hoffnung auf „Kunstfreunde aus aller Welt". (Austria Presseagentur, 17.01.).
Das Unverständnis der Politiker zeigt sich daran, dass sie nur den Transfer einer Sammlung im Auge haben und nicht, dass die in jahrelanger Arbeit aufgebauten Qualitäten des besonderen sozialen und kulturellen Ortes nicht so einfach „übersiedelt“ werden können. Eine Sammlung mag im Kontext und Kanon der Gegenwartskunst „wertvoll“ oder „wichtig“ sein – ihre gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung gewinnt sie erst durch ihre „Aufführung“, in welchem situativen oder diskursiven Kontext auch immer. Die Politik handelt und denkt aber schatzbildnerisch, possessiv, verdinglicht. Und denkt an den touristischen Mehrwert.
Auch in den Äußerungen der neuen Museumsdirektorin Sabine Breitwieser, die ja die Foundation ursprünglich geleitet hatte, bevor sie dann nach New York ans MoMA wechselte, um schließlich nach Österreich zurückzukehren, bleibt offen, wie deren Qualität innerhalb der neuen Bedingungen erhalten oder formiert werden könnte. Es ist erstaunlich, dass über diese zentrale Frage geschwiegen wird. Stattdessen gibt es sammlungspolitische Argumente und solche, die das Image des Museums auf dem Markt der Aufmerksamkeit betreffen: „Wir können mit einem Schlag Defizite der internationalen Kunst der 1960er-Jahre bis zur Gegenwart ausgleichen.“ (Sabine Breitwieser in Die Presse, 17.01.)
Kurz zusammengefasst erweist sich die Vereinbarung als beachtlich asymmetrisch: Der große Konzern spart sehr viele Kosten ein, entledigt sich der Sorge um die Sammlung und ihre Betreuung und profitiert symbolisch und materiell von der Leihgabe. Symbolisch über die Sichtbarkeit als Marke, materiell durch die Wertsteigerung der Sammlung während der Leihgabe.
Sabine Breitwieser hatte einige Monate zuvor genau das ausgeschlossen. Anlässlich ihrer Bestellung zur Museumsleiterin im Interview mit der Tageszeitung Der Standard, (13. August 2013) sagte sie: "Es gab an diversen österreichischen Museen, auch am MdM, Ausstellungen privater Sammlungen und Institutionen. In den USA ist es Tabu, eine Privatsammlung auszustellen, wenn einem nicht Werke auf Dauer zur Verfügung gestellt oder im Idealfall geschenkt werden. Das ist auch grundsätzlich richtig so: Eine private Sammlung zu zeigen, sozusagen zu ihrem Upgrading beizutragen und sie dann wieder ziehen zu lassen, ist nicht Aufgabe eines öffentlichen Museums. Mein Ziel ist es, eine wichtige Sammlung an das Haus zu binden und im Dialog mit den bestehenden Sammlungen zu entwickeln, welche weiteren Impulse für die Sammlung sinnvoll zu setzen sind."
In den Reaktionen der Medien in den Tagen nachdem der „Deal“ veröffentlicht wurde zeigte sich durchaus Bewunderung gerade für den neoliberalen Surplus, den die Generali lukriert: "In Salzburg kann die Sammlung der Generali Foundation“ – schreibt Ann Katrin Feßler unter dem Titel Generalis schlauer Umzug (Der Standard, 17.01.) „für sich und die Stadt als Kunststandort zum heutigen Zeitpunkt noch wesentlich mehr erreichen. Sie kann einen luftleeren Raum (Sabine Breitwieser) im Museum der Moderne füllen und die Standortvorteile eines bekannten Landesmuseums für sich nutzen. Schließlich sollte das finanzielle Engagement des Generali Konzerns von Anfang an auch der Imagepflege dienen."
Ein Museum ist dann öffentlich, wenn es von der öffentlichen Hand (Staat, Land, Stadtgemeinde) erhalten und verwaltet wird, in einem gesellschaftlichen Interesse an egalitärem Zugang zu Bildung und an einem sozialen und zivilisierenden Raum, an dem die permanente Auseinandersetzung mit den Grundlagen und Grundfragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und Zusammenhalts stattfinden kann. Dazu ist die Öffentlichkeit des Museums zusätzlich noch bestimmt, nämlich als liberale, also als allgemein zugängliche Sphäre des Diskurses, der Argumentation, der Willens- und Erfahrungsbildung. Materiell sind dafür die staatliche Finanzierung und das allgemeine Eigentum an den Sammlungen und deren Unveräußerlichkeit zwingend. Jede Partikularisierung, d.h. jede Privatheit steht im strikten Widerspruch zu den Aufgaben und zur Struktur des öffentlichen Museums. Es ist durch eine Art von Sozialvertrag an allgemeine gesellschaftliche Ansprüche gebunden und ist diesen treuhänderisch verpflichtet. Wie andere Institutionen auch (Universitäten, Schulen, Krankenhäuser usw.) erfüllt es eine „wohlfahrtsstaatliche“ Aufgabe. Deswegen nennen wir so etwas eine öffentliche Einrichtung und nicht bloß deswegen weil sie, wie das Museum, jedermann (dem Anspruch nach) zugänglich sein müssen. Dieses Recht auf allgemeine Nutzung unterscheidet im Übrigen das moderne Museum strikt von allen Sammelpraktiken des 16. bis 18. Jahrhunderts, wo die private Verfügung die Regel ist und der Zutritt auf einem je individuellen Gunsterweis des Besitzers beruht.
Museum der Moderne, Mönchsberg, Salzburg. Foto: Kanakari/Wikimedia Commons
Auch wenn man die Einzelheiten des für Salzburg ausgehandelten aber nicht veröffentlichten Vertrages nicht beurteilen kann, so lassen einzelne deklarierte Vereinbarungen und die Sprachregelung der Initiatoren keinen Zweifel daran, dass es sich um die (Teil)Privatisierung eines öffentlichen Museums handelt, denn ein Teil der Museumsarbeit, der Öffentlichkeitsarbeit und des Marketing, die Sammlungsstrategie und anderes richten sich ab nun auch an den Interessen des Konzerns aus. "Ein Deal, den man durchaus als Coup bezeichnen kann," nennt das eine Journalistin. Ein Coup ist, so lese ich es in Wikipedia nach, ein "frech und kühn angelegtes Unternehmen", ein "Handstreich". Ja, und das auch deswegen weil mit ihm die Leiterin der Foundation, die inzwischen gekündigt hat, samt ihrem Team uninformiert und im Regen hat stehen lassen.
Dr. Dietrich Karner verhielt sich so, wie sich Sammler seit je her verhielten. Sie schenkten, vererbten oder stifteten ihre Sammlung der Öffentlichkeit immer dann, wenn sie deren Bestand transgenerationell zu sichern wünschten – und oft auch um sich selbst ein dauerhaftes Gedächtnis zu schaffen. Das Museum dagegen inkorporiert Elemente privatwirtschaftlichen Verwertungsdenkens und begibt sich in die Rolle des Förderers privater Interessen. Es bricht mit dem „Sozialpakt“, mit dem es als öffentliche Einrichtung an das Gemeinwohl gebunden ist. Mit dem Effekt, dass es sich selbst beschädigt – aber auch die Idee des Museums allgemein.
Der „Coup“, der in die Zeit passt (und der ja auch nicht der einzige ist, den man in den letzten Jahren im Zusammenhang mit öffentlichen Museen registrieren konnte), beschädigt widerspricht generell der Idee des Museums als öffentlichem Ort. Es geht um kostbare Gefäße öffentlicher und reflexiver Debatten, um die scheibchenweise Preisgabe eines kulturellen Projekts, das untrennbar mit liberaler und diskursiver Öffentlichkeit, öffentlicher Verwaltung und sorglicher Erhaltung, egalitärer Nutzung im Interesse aller ohne jeden Ausschluss und um Gemeinbesitz an den kulturellen Gütern verbunden war. Es geht um jenes „zivilisierende Ritual“, in dem demokratisch verfasste Gesellschaften analytisch und kritisch ihre Verfasstheit darstellen und bearbeiten konnten. So etwas kann und darf nicht privatisiert werden.
Gottfried Fliedl