Gerhard Richter auf der Leinwand, Hubertus Butin zum Kinofilm „Gerhard Richter Painting“ von Corinna Belz
Standbild aus „Gerhard Richter Painting“: Im Atelier. © Piffl Medien
Über zeitgenössische Fotografien, die Künstler in ihren Ateliers zeigen, äußerte der Kunstkritiker Brian O’Doherty einmal: „Der Künstler bei der Arbeit ist zu einem Fetisch der Moderne geworden. Statt dass wir einen Künstler hätten, der ein Bild malt, haben wir ein Bild, das den Mythos von einem Künstler malt. Das macht die schlichte Beobachtung eines Malers bei seiner Arbeit so kompliziert.“ _1 So kann es nicht verwundern, dass es wenige Fotografien und auch nur wenige Dokumentarfilme über lebende Künstlerinnen und Künstler gibt, die keine strategische Imagebildung und Mystifizierung betreiben (bezeichnenderweise nannte etwa Henri-Georges Clouzot seinen 1956 erschienenen Dokumentarfilm über Picasso „Le mystère Picasso“). Und nach Filmen, die neben einem sinnlichen Genuss auch noch tiefere theoretische Erkenntnisse vermitteln, kann man lange suchen. Doch an solchen Ansprüchen muss sich auch der neue Film „Gerhard Richter Painting“ der Kölner Autorin und Regisseurin Corinna Belz messen lassen, der am 8. September und damit praktisch zum Auftakt der Jahrfeiern zum 80. Geburtstag des Künstlers in die Kinos kommen wird und in Zusammenarbeit mit dem WDR, MDR und Arte entstand.
Standbild aus „Gerhard Richter Painting“: Arbeit am gelben Bild. © Piffl Medien
Von April bis September 2009 hat Corinna Belz mit einem kleinen Filmteam Gerhard Richter in seinem künstlerischen Alltag begleitet und ihm im wahrsten Sinne des Wortes über die Schulter geschaut. Zwar meint der als medienscheu bekannte Künstler in einer Szene, es sei „das Schlimmste, was es gibt“ _2, wenn man ihn bei der Arbeit beobachten würde, doch die Regisseurin zeigt gleich zu Anfang des Films, wie er in seinem Kölner Atelier die Kamera selbst auf seinem eigenen Stativ befestigt. Somit wird sein Einverständnis mit allem Nachfolgenden demonstrativ vorgeführt. In fast einhundert Minuten kann der Kinobesucher dabei sein, wenn Richter in seinem abgeschirmten Atelier und auf der internationalen Bühne des Kunstbetriebs agiert: Man sieht das Anrühren der Farbe, das Arbeiten mit Pinsel und Rakel auf der Leinwand, das kritische Betrachten und Überprüfen der verschiedenen Zustände der Bilder, die intensive Reflexion der Ergebnisse, die vielfältige Unterstützung durch zwei Assistenten und eine Atelierleiterin, die Vorbereitungen von Ausstellungen in Köln, London und New York, die Gespräche mit Kuratoren wie Kasper König und Ulrich Wilmes, die Konferenzen und Ausstellungseröffnungen im Blitzlichtgewitter der Presse sowie die Atelierbesuche von seiner Galeristin Marian Goodman und dem Kunsthistoriker Benjamin H. D. Buchloh, mit dem Richter eine langjährige Freundschaft verbindet.
Standbild aus „Gerhard Richter Painting“: Detail gelbes Bild. © Piffl Medien
Die meisten Szenen widmen sich der Produktion der großformatigen abstrakten Gemälde beziehungsweise dem „unauflösbaren Geheimnis künstlerischen Schaffens“, wie die Presseeinladung mit verstaubtem Pathos verkündet. Richtig ist, dass noch nie in einem Film so ausführlich der langwierige Prozess der vorrangig mit dem Rakel hergestellten Bilder gezeigt wurde. Diese Ölgemälde zeigen zahlreiche und vielfältige Farbüberlagerungen von einer äußerst komplexen Dichte, die vom Betrachter nicht oder kaum zu durchdringen ist, weshalb es tatsächlich lohnenswert ist, ihre Genese einmal filmisch festzuhalten. Da die schlierenhafte, fleckige Struktur der Ölfarbe sich durch den Auftrag mit dem Rakel nicht genau vorhersehen lässt, hängt das Ergebnis dieses Vorgangs weitgehend vom Zufall ab. Denn wo und wie die Farbe an der Oberfläche der Leinwand haften bleibt, sich überlagert, vermischt oder aufreißt und untere Schichten wieder freilegt, ist für Richter nur sehr bedingt steuerbar. Auf diese Weise befreit sich der Künstler von der Notwendigkeit einer bewussten Gestaltung oder Komposition. Er kann etwas Unvorhersehbares entstehen lassen, das seinen eigenen Erwartungshorizont übersteigt – wobei dies bei Richter nichts mit psychischem Automatismus zu tun hat. Diesem sehr sinnlichen Produktionsprozess zuschauen zu können, ist sicherlich außerordentlich faszinierend, da man etwas zu sehen bekommt, das normalerweise völlig im Verborgenen stattfindet und gleichzeitig nur schwer vorstellbar ist. Außerdem erscheint es zutiefst sympathisch, einen Künstler zu erleben, dessen lakonische Äußerungen von Humor, Ironie, Selbstkritik und Selbstzweifel zeugen, dem noch dazu jedes genialistische Getue fremd ist.
Standbild aus „Gerhard Richter Painting“: Arbeit am grünen Bild. © Piffl Medien
Die Szenen des Films wirken nicht gestellt, obwohl sich Richter der Anwesenheit der Kamera natürlich bewusst war. Das aufgenommene Geschehen im Atelier soll beim Zuschauer einen möglichst „authentischen“ Eindruck erwecken. Leider erzeugt der Film allerdings durch den Schnitt einen falschen Eindruck von der zeitlichen Dauer der Bildbearbeitung. Denn die Farbschichten werden sukzessive nicht innerhalb von wenigen Minuten aufgetragen, sondern es liegen oft mehrere Tage zwischen den einzelnen Durchgängen. Dieser zeitliche Abstand dient nicht nur dem Trockenwerden der Oberfläche, sondern er sorgt ebenfalls dafür, dass Richter den Zustand der Bilder in Ruhe überprüfen kann. Zweifellos ist der Film trotzdem ein wichtiges historisches Dokument zur künstlerischen Malpraxis Gerhard Richters. Diese Stärke des Films ist jedoch zugleich seine Schwäche. Die wenigen Fragen, die Corinna Belz dem Künstler stellt, zeugen von einer geradezu kindlichen Naivität. Auch die eigene Rolle der Regisseurin, die im Film unsichtbar bleibt, auch wenn sie spricht, wird in ihrer Arbeit an keiner Stelle reflektiert. Und die schlichten Kommentare des Künstlers selbst erklären die Strukturen und die Bedeutung seiner Gemälde kaum. Wenn er etwa aus seiner Jugend erzählt und dabei niedliche Kinderfotos zeigt, fragt man sich, was Corinna Belz mit dem Aufzeigen dieses biografischen Kontextes bezwecken will. Der einzige Moment, in dem eine Art Intellektualität aufflackert, ist bei dem kurzen Gespräch mit Benjamin H. D. Buchloh über Abstraktion zu erleben.
Standbild aus „Gerhard Richter Painting“: Detail Reinigung Rakel. © Piffl Medien
Das Begehren nach kunsthistorischer Bedeutungsstiftung und diskursiver Theoretisierung kann der Film damit jedoch im Ganzen nicht befriedigen. Die künstlerische Praxis Gerhard Richters wird höchst traditionell als privater, scheinbar rückhaltloser „Schöpfungsakt“ vorgeführt. Das heißt, je mehr man den Malprozess ins Licht der Kamera stellt, umso rätselhafter und unverständlicher bleibt er. Eine intellektuelle Durchdringung des Gezeigten findet schlichtweg nicht statt. Corinna Belz gibt in ihrem Presseheft offen zu, dass sie kein „theoretisches Erkenntnisinteresse“ hat, denn nach ihrer Ansicht können Bücher dies „besser artikulieren“. _3 Dies mag stimmen. Doch muss das gleich bedeuten, dass man dem Betrachter fast nur reine Schauwerte bietet und somit informationstechnisch und geistig unterfordert? Für das späte Abendprogramm von Arte mag der Film durchaus geeignet sein, doch für einen Kinobesuch wohl kaum.
„Gerhard Richter Painting“ von Corinna Belz, Deutschland, 2011, 97 Min., Kinostart: 8. September 2011.
Anmerkungen
1_ Brian O’Doherty, Kunst in Amerika. Maler unserer Zeit, Stuttgart und Zürich 1988, S. 146.
2_ Gerhard Richter zitiert nach: Corinna Belz, Gerhard Richter Painting, Dokumentarfilm, Deutschland, 2011.
3_ Corinna Belz, „Interview mit Corinna Belz“, in: Presseheft Gerhard Richter Painting, hrsg. von Arne Höhne. Presse + Öffentlichkeit, Berlin 2011.