Bis zur nächsten Runde, Mirjam Thomann über Michael Dreyer bei Aanant & Zoo, Berlin
Michael Dreyer, „Triple Negation – Double Props, I. We now interrupt for a commercial“, Ausstellungsansicht, Aanant & Zoo Berlin, 2011
Eines der Bilder, das Michael Dreyer in seiner letzten Ausstellung in Berlin präsentierte, konnte singen. Mit einem leichten Druck auf den kleinformatigen Rahmen, der beiläufig auf dem Weg zum Ausgang gehängt war, ertönte eine zwanzig Sekunden dauernde Sequenz einer indischen Raga-Musik, die jedoch weniger nach Gesang als nach einem aufmüpfigen Meckern klang. Im Rahmen selbst wurde nicht mehr präsentiert als ein weißes Plattencover mit der roten Aufschrift „Westkunst“, die wiederum mit lässiger Geste durch ein blaues Kreuz durchgestrichen war. Die Typographie war dabei unverkennbar eine Reproduktion des mittlerweile ins kulturelle Gedächtnis des (westlichen) Kunstbetriebs eingegangenen Originals von 1981, also dem Schriftzug, den Laszlo Glozer und Kasper König für das Katalogcover zu ihrer gleichnamigen Großausstellung in Köln verwendet hatten. Der Witz am Rande funktionierte als angenehm erfrischende Unterbrechung des typisch öden Herumstehens auf Eröffnungen sehr gut, kaum eine/r der Besucher/innen ließ es sich nehmen, das Bild mit dem Titel „X went the strings of my art“ (2011) mal selbst zu drücken, und bei der unerwarteten Melange aus kodiertem „West“-Text und noisigem „Fernost“-Sound erfreut zu schmunzeln.
Michael Dreyer, "X went the strings of my art", 2011
Über die Anspielung auf eine politisierte Moderne hinaus traf man in der Ausstellung „Triple Negation – Double Props, I. We now interrupt for a commercial“ immer wieder auf kunstimmanente Verweise. Die in den Malereien, Fotografien und einer Installation mit Sockel angelegten humorigen Kommentare, unterschwelligen Störungen und selbstreferenziellen Bezüge eigneten sich allerdings nur vordergründig für einen reibungslosen Anschluss an (institutions)kritisch-aufklärerische Diskurse. Im Sinne der im ausschweifenden Ausstellungstitel angesprochenen dreifachen Verwerfung, doppelten Anerkennung und Unterbrechung für eine Werbepause steckten in den ausgestellten Arbeiten mehrfach ineinander verwobene Referenzen, die nicht zuletzt die Verwicklung zwischen Kurator, Galerie, Künstler und dessen Werk als ein bonmonartiges Kryptosystem aufführten.Die formal unterschiedlich und zunächst disparat wirkenden Arbeiten produzierten so einen mitunter enigmatischen „Überschuss“. Für die Serie von vier Malereien („Ohne Titel“, 2010), die im zweiten Galerieraum gehängt waren, griff der in Stuttgart lebende Künstler ein Motiv auf, das in Geometrischer Abstraktion wie Popart gleichermaßen durch- und durchexerziert wurde. Die sich wiederholenden Kreise auf Dreyers Bildern hatten allerdings wenig mit den dichten und scheinbar makellosen Oberflächen von Jasper Johns oder auch Poul Gernes gemeinsam. Zwischen Schablonenhaftigkeit und expressiver Oberfläche machten diese Versionen der Targets eine delikate Gratwanderung durch, wobei die Kreisgebilde aus der Ferne betrachtet anthropomorphe Züge annahmen und aussahen, als seien sie aus der Fassung geraten. Ganze Kreise, Halbkreise und konzentrische Kreise, mal mit breitem, mal mit schmalem Pinselstrich aufgetragen, überlagerten sich in verschiedenen Größen in lasierendem Farbauftrag, so dass ihre Ränder stellenweise ineinander verliefen oder durch Farbflecken unterbrochen wurden. _1 Eine Art Kommentar zu den mit körperlicher Hingabe bei ebenso distanziertem Konzept auf die großen Leinwände aufgetragenen Kreisvariationen lieferte ein weiteres Bild im gleichen Hochformat. Auf diesem stand in geschwungenen Lettern mehrere Male „In Kontoren!“ in einem vom schwarz über dunkelblau bis violett changierenden Farbauftrag untereinander geschrieben. Im Vergleich zu griffig-stumpfen „Capitalism kills love“-Neonschriftzügen, wie man sie als künstlerische Intervention auf Messen und in Gruppenausstellungen kennt, wirkte das in antiquierter Schönschrift dargebotene „In Kontoren!“ wie aus der Zeit gefallen. Dem derzeit allerorts diagnostizierten verlorenen Körper vor dem Computer, der schwer belastet in seiner Infosphäre vereinsamt und dabei in Panik und Depression verfällt (Franco Beradi), wurde hier eine Reminiszenz an vergangene und verschwundene Formen von Arbeit entgegen gestellt: Das einem Flugblatt des frühen Volksbühnen-Regisseurs Erwin Piscator entnommene Fragment eines Aufrufs – „Arbeitende! Ihr alle! Aus Fabriken und Kontoren!“, so die vollständige Fassung – schien mit gegenwartsdiagnostischem Unterton zu fragen, was Produktion mal war und was wir im Vergleich dazu wohl heute als Arbeit so machen.
Michael Dreyer, "Ohne Titel", 2010
Hatte Dreyer in einem Akt des unverstellten Vergnügens am Nachahmen, Wiederholen und Einverleiben anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung in Berlin 2004 noch einen Künstlerkollegen einen Zusammenschnitt aus dessen eigenen Interviews live rezitieren lassen (Happening mit Michael Krebber als Michael Krebber in der Galerie Meerrettich), griff er diesmal auf die Figur des Kurators zurück, um die Verhältnisse der gewohnten Arbeitsteilung für die Produktion einer Ausstellung umzukehren. Eine dreiteilige Fotoarbeit zeigte zwei identische Aufnahmen des Kritikers Clemens Krümmel im Halbprofil, sowie eine abfotografierte, von Krümmel dicht beschriebene Seite. Krümmel war bereits auf der Einladungskarte ausdrücklich als Gastkurator vorgestellt worden und wurde nun in der Ausstellung selbst in Form eines Charakterbildes mitsamt Schriftprobe gleich Teil des Dreyer’schen Œuvres. Die ungenierte Aneignung des Kurators ließ sich dabei durchaus auch als Hommage verstehen, stellte sie diesen doch als Komplizen in eigener Sache heraus, der offensichtlich Kompetenzen besaß, die über die ihm gemeinhin zugeschriebenen Aufgaben hinaus gingen (beispielsweise die Konzeption einer Ausstellung zu beaufsichtigen und im Sinne des ökonomischen Interesses einer Galerie zu agieren). Die gegenseitige Wertschätzung verharrte aber keineswegs auf diesem symbolischen Level, sondern steigerte sich mit der gemeinsam entstandenen Arbeit „Wenowinterruptforacommercialfredlörcher“ (2011) in eine unisono ausgesendete „Werbebotschaft“. Teil der Installation, die aus einem Sockel mit aufgelegter Glasplatte und einer wohnlichen Tischlampe bestand, war die Bronzeskulptur „Sitzender“ (1954) des Stuttgarter Bildhauers Alfred Lörcher (1875-1962). Die dekorative Kleinplastik, die man eigentlich als zierendes Element auf einem schwäbischen Schreibtisch vermuten würde, wurde Dreyer von einem befreundeten Sammler zur Verfügung gestellt und so Teil eines hintergründigen Plans: Im Fall eines Verkaufs des Arrangements, so hatten es Künstler und Kurator zur Auflage gemacht, verpflichtet sich der Käufer in weiteren Ausstellungen, die Bronzefigur nur zusammen mit den anderen Exponaten zu präsentieren, beziehungsweise die Arbeit nur vollständig weiter zu veräußern oder aber die Plastik gesondert zum Kauf anzubieten und die restlichen Komponenten der Galerie zur Vernichtung zu überlassen.
Michael Dreyer, "Clemens", 2011
Mit diesen unmittelbar in das ökonomische System des Kunstmarkts eingreifenden Vorgaben für den Verkauf der offensichtlich kostbaren historischen Plastik und die im Zweifelsfall nicht zur Wertsteigerung beitragenden Zugaben Dreyers und Krümmels waren und sind die in- und externen Verwicklungen der Arbeit allerdings nicht erschöpft _2: Zum einen schloss sich hier der Kreis zum ersten Raum, da auf den Sockel ein Satz in persönlicher Handschrift gestempelt war, die eindeutig mit der von Krümmel in der Fotoserie übereinstimmte, und so der „Text“ des Kurators durch die Ausstellung weiter gesponnen wurde. Einen buchstäblichen Radschlag zu den Kreisbildern, die man nun noch mal ganz anderes – oder auch gar nicht mehr anguckte –, lieferte allerdings der dort zu lesende Satz selbst: „Wheels aren’t there to be looked at.“
Michael Dreyer, „Triple Negation – Double Props, I. We now interrupt for a commercial“, Aanant & Zoo, Berlin, 2. März bis 22. April 2011
Anmerkungen
1_ Dass das Motiv in unterschiedlichen Ausführungen variiert werden konnte, zeigte sich auch, als Dreyer im Laufe der Ausstellung eine musikalische Aufführung organisierte. Getreu dem Cage’schen Credo „Ideen sind eine Sache, und was passiert, ist eine andere“ inszenierte er ein paar Wochen nach der Eröffnung einen Auftritt von Kolleg/innen. Als Bühne diente eine seiner Kreismalereien, die als Teppich ausgelegt worden war, auf dem dann die Musiker/innen in Socken performten. Die elektronische „Improvisation mit dreifacher Spontan-Pause“ ging – ebenfalls wie der Titel zur Ausstellung – auf den Free Jazz-Saxophonisten Ornette Coleman zurück, der in den 1960er Jahren in einem Akt des Aufbegehrens gegen die Marketingstrategien der Plattenfirmen eine Aufnahme mit der Ansage unterbrach, nun käme gleich eine Werbepause.
2_ Die ineinander verwobenen Referenzketten zu dem Verhältnis von Lörchers Kleinplastiken zum Wohn- respektive Ausstellungsraum wird Dreyer anlässlich einer kommenden Gruppenausstellung weiter fortschreiben: „Bild und Träger (und ein Pfeiler im Park von Sanssouci)“, Brandenburgischer Kunstverein, Potsdam, 27. August – 2. Oktober 2011.