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DDR-Postmoderne als Einzelschicksal

14.06 - 13.09.2009 / WERNER TÜBKE /  DIE RETROSPEKTIVE ZUM 80.GEBURTSTAG / MUSEUM DER BILDENDEN KÜNSTE LEIPIZIG
30.09 - 03.01.2009 / STIFTUNG KUNSTFORUM DER BERLINER VOLKSBANK

SOZIALISTISCHE JUGENDBRIGADE / 1964 / MISCHTECHNIK AUF LEINWAND AUF HOLZ / 95 X 133 CM

Wurde die Leipziger Schule nur darum mit so offenen Armen empfangen, zumindest von mancher Stelle, damit man sich nicht länger mit den sogenannten relevanten DDR-Staatsmalern beschäftigen musste? Um eine gewisse Quote Neue-Bundesländer-Kunst kam man schon Anfang der Nuller-Jahre kaum herum, also wenn schon, dann sollte diese bitte auch leichter händelbar sein. Insofern wurden eventuell einfach Quotenvertreter ausgetauscht. Auch wenn von den jüngeren Vertretern der Leipziger Schule kaum einer eine DDR-Jugend aufzuweisen hat, egal, so was geht eben schnell nachhaltig unter. Bernhard Heisig, Willi Sitte oder Wolfgang Mattheuer kommen eher nur noch in Gedächtnisausstellungen vor. Gemein ist allen sogenannten DDR-Staatsmalern ein rückgewandter stilistischer Sonderweg oft via expressiver Anleihen dem kulturpolitischen Realismusdiktat scharmützelartig zu entkommen. Das gilt weniger für Tübke und Mattheuer.

LEBENSERINNERUNGEN DES DR.JUR. SCHULZE VII (AUSSCHNITT) /
1966/67

Mit Werner Tübke verhält es sich etwas komplizierter. Nicht nur weil das Leipziger Museum der bildenden Künste ihm eine große Retrospektive gewidmet hat. Vielleicht war er einer der ersten echten Posthistoire-Künstler, ohne je das Wort gehört zu haben. Dass die Ausstellung im Anschluss nach Berlin eher nur in eine gehobene Sparkassenadresse wandert, verdeutlicht das West-Ost-Akzeptanzgefälle. Wenn die Neue Nationalgalerie jemanden wie Imi Knoebel als routinierten Verwalter der europäischen Sekundärmoderne zeigt, wäre mindestens auch ein ostdeutsches Stilphänomen wie Tübke dort angebracht.

Hier hat sich jemand sozusagen im isolierten Eigenbau eine DDR-Postmoderne gebastelt. Tübke war schon zu DDR-Zeiten ein Spezialfall. Richtig gelungen ist die Ausstellung als Gesamtübersicht. Eine überraschende Neubewertung von Tübkes Werk drängt sich jedoch nicht auf, soweit meine BRD-Indoktrination eine angemessene Beurteilung zulässt. Die Geschichte kann immer noch nicht umgeschrieben werden. Sein Werk kennzeichnet in jedem Fall eine überaus beachtliche Hartnäckigkeit, die es ja nicht nur durch die Mauer mitten ins Herz von Herrn Beaucamp geschafft hat. Gewissermaßen ist er vorab einer der ersten gesamtdeutschen Staatskünstler der Wiedervereinigung. Kalter Emocore wie aus einem gutsortierten Devotionalienhandel der Malereigeschichte. Jemand, der sich allen Ernstes um das geballte Menschenleid kümmert. Das aber immer nur mit frisch vereister Pinselspitze. Seinem unbedingten Willen nach formaler Könnerschaft haftet immer etwas Gefriergetrocknetes an. Grob geschätzt zeigt die Ausstellung wahrscheinlich an die dreitausend Gesichter. Ein Lächeln kann man nicht öfter als zehnmal entdecken. Linientreue SED-Funktionäre hätten ihm am liebsten verboten, überhaupt Kataloge alter Meister anzuschauen. Dass Tübke mit seinem ausschließlich rückwärtsgewandten Bild- und Stilrepertoire in der DDR immer noch als linientreu und staatsdienlich durchging, überrascht im nachhinein schon etwas. Einzig und allein in seiner Titelgebung („Sizilianischer Großgrundbesitzer", „Bauernmarkt in Suchumi", „Nationalkomitee Freies Deutschland", ... ) taucht prototypisch staatstragender DDR-Jargon auf. Also muss wohl seinerseits immenses Verhandlungsgeschick im Spiel gewesen sein. Oder seine Massenchoreographien ließen sich notdürftig mit der sozialistisch neu mobilisierte Gesellschaftsmasse in Einklang bringen. Kollege Heisig meinte, Tübke wäre eigentlich ausschließlich daran interessiert gewesen, barockes Menschengewimmel zu malen, in welchem Staatswesen auch immer, so lange das ihn nur gebührend gewähren ließ. Eckard Gillen beschreibt Tübkes Position treffend als a-historisch und a-politisch zugleich.

Tübkes unterschiedliche Stilphasen wirken im Überblick sprunghaft und eher divers. Immer auf Stippvisite mal mit dieser oder jener historischen Periode, aber wenig zielorientiert. Nach seinem erstem Italienaufenthalt in den 70er war die Renaissance dran. Es hält sich immer die Waage. Der aktuell antizipierte Stil ist sehr deutlich erkennbar, Tübkes ursprünglicher Duktus bleibt präsent, wirkt keinesfalls epigonal, aber sein Stilmanagement gewinnt nie völlig die vereinnahmende Oberhand. Ressource und Anverwandlung führen eine verblüffend friedliche Koexistenz. Eine Art Leibl-Realismus, politisierter Surrealismus, die klassizistische Italienphase, fast so etwas wie RealSoz-Jugendstil ... Am ehesten typisch erscheinen im Überblick diese Art sehr zeichnerischem Breughelpastische, mit kleinteiligst raffiniert getupften Weisshöhungen.

AM STRAND VON ROMA OSTIA II / 1973 / MISCHTECHNIK AUF HOLZ / 90 X 65 CM

Bei einem so großen Malerego, wie seine Selbstportraits nahe legen, hätte man imperialistischere Importtechniken erwartet. Es mag aber auch einfach Tübkes Respekt vor seinen historischen Quellen gewesen sein, der seinen Stilbeutezug in abgebremster Version stattfinden ließ. Insofern bleibt die mannigfaltige Einverleibung auf halber Fairtrade-Stecke stecken. Das wäre dann ein wesentlicher Unterschied zu westdeutschen PoMo-Vereinnahmungstechniken. Diese gehen grundsätzlich eher immer von Antimomenten aus. Hehe, hoho, da schau, jetzt hab ich diesen alten Pinsellumpen an der Kandare.Das kann bekanntlich eine Art Stilleichenfledderei wie bei Michel Majerus gewesen sein, Anselm Reyles Glauben an die bessere Karaoke-Version bei zweitklassigem Ausgangsmaterial, Anselm Reyle oder Jonathan Monks kommentierte Re-Inszenierungen und so fort. Um nur wenige zu nennen. Ich war letztlich etwas enttäuscht, weil ich mir von Tübke eventuell mehr überzeugende Stilsynergien als z.B. bei Glenn Brown erwartet hatte. Ist natürlich alles ein Missverständnis. Zum Beispiel die „Weihnachtsnacht 1524" (Große Fassung) ist ein Spitzenbild.