Vernebelungen. Ein Atelierbesuch bei Wolfgang Breuer im März 2009
"Pizza Prekär", Kunstwerke, Berlin, 2008, Ausstellungsansicht
Der Umstand, dass eine Institution in dicht aufeinanderfolgenden Einzelausstellungen ein- und denselben Künstler zeigt, zeugt schon von echtem Fantum. In einer Umfrage der Frieze Anfang diesen Jahres wer für sie der bedeutenste aufstrebende Künstler 2008 wäre nannte Susanne Pfeffer, die neben 17 weiteren internationalen Kurator/innen befragt wurde, denn auch prompt Wolfgang Breuer. Das macht neugierig. Ein Grund mehr Breuer zwischen seiner Ausstellung "Pizza Prekär" im letzten Jahr in dem von den Kunst Werken initiierten "Hotel Marienbad" und seiner anstehenden Ausstellung im Mai diesen Jahres in deren Hauptgebäude in seinem Atelier zu besuchen.
Zunächst gab es, wie vermutlich bei jedem Atelierbesuch, Kaffe für beide. In der Küche der Kreuzberger Atelierwohnung Breuers unterhielten wir uns über seine künstlerische Praxis aber auch über das Schreiben über Kunst und darüber wie sehr es ihn langweilen würde, wenn die Arbeiten dabei auf Nachvollziehbarkeit und Kausalität festgeklopft werden. Was sicher nicht nur ein Problem des Schreibens über Kunst ist, sondern auch einer Vielzahl von künstlerischen Arbeiten selbst innewohnt. Irgendwo an dieser Ecke unseres Gespräche brachte Breuer die Metapher des Nebels auf. Vielleicht so: Künstlerische Produktion sei immer auch eine Art Nebel, also nicht auf etwas Gesagtes, einmal Gedachtes, an sein Ende Gekommenes reduzierbar. Und das nicht nur für diejenigen, die sie machen, sondern auch für die, die sie betrachten. Kurz gesagt, und ich würde mich dem anschließen: Künstlerische Arbeiten, die interessant sind, weisen Wiedersprüchlickeiten auf, arbeiten an verschiedenen Enden, treffen unterschiedliche Aussagen, die sich gegeseitig vorantreiben aber auch negieren können. Referenzen sind hier nicht lediglich in eine ästhetisch ansprechende Form verpackt und im Bemühen um eine lineare Kausalität zum allgemeinen Nachvollzug freigegeben. Zu einem späteren Zeitpunkt unseres Gespräches, das dreieinhalb Stunden dauern sollte, tauchte das Thema Grafik auf. Ich erzählte von meinem letzten Erlebnis mit einem Grafiker und dass dessen simpler Gedankengang, der zu seinem gestalterischen Ergebnis geführt hatte, mich überrascht hätte. In dem Sinne: Ich mache das so und so, weil das und das verstanden werden soll. Punkt. Mehr eins zu eins geht nicht. Breuer, der lange Zeit als Grafiker gearbeitet hat, erzählte mir, dass es bei der Vermittlung von Grafik zumeist eben genau darum ginge, es genau darauf ankäme. Sie muss schnell erfassbar, d.h. für jedermann nachvollziehbar sein und eine eindeutige Aussage haben. Ich wiederum hätte immer gedacht, dass da heutzutage auch betont wird oder werden muss, dass gegen den Strich gearbeitet wird.
Vielleicht ist das die Negativfolie, vor der man sich Breuers künstlerischer Produktion zu nähern hat. Das Prinzip der Grafik und deren inhärente Verpflichtung dem Kunden gegenüber als absolute Antithese. Das Unterlaufen ihrer Regeln als Antrieb. Das scheint schon insofern einsichtig, da man sonst auch dort hätte bleiben können, wo man ist. Es geht in seinen Arbeiten um Komposition, aber eben auch darum die Sachen, die man macht, wieder zu irritieren, zu gefährden. Darum, sie so lange voranzutreiben bis sie brüchig werden. Sei es, dass sie trotz ästhetischen Profiwissens eben nicht mehr gut oder schlecht aussehen, sei es dass sie mit so vielen bzw. vielseitigen Bezügen und Verweisen untereinander angereichert werden, dass jeder Versuch eine Kausalität oder eine vollständige Erklärung herzustellen an seine absolute Grenze kommt. Sich selbst also ein Bein stellen. Mut zur Lücke nenn ich das. Das gefällt mir gut. Oder Überkomplexität. Je nachdem von welcher Seite man guckt.
Breuers blaue Metallbleche, die er letztes Jahr in den Kunst Werken, in der Berliner Galerie Croy Nielsen sowie in der Frankfurter Galerie Neue Alte Brücke gezeigt hat, waren bei meinem Besuch in einer Ecke seines Ateliers gelagert. Zwei weitere waren gut getarnt. Aufgebahrt auf Böcken dienen sie im Moment als Tischplatten in seinem Büro. Ein Großteil muß für seine Ausstellung in den Kunstwerken jedoch erst noch aus London besorgt werden. Diese so genannten Safety Screens, die dazu dienen leer stehende Häuser in London zu schützen und als Art Membran zwischen einem Innen und einem Außen fungieren, dessen Verhältnis zueinander durch eine Krise bestimmt ist, sind im Zuge der dortigen Immobilienspekulationen, die sich später zur housing crisis ausweiteten, zu einem festen Bestandteil des Stadtbildes Londoner Randbezirke geworden und können demnach als Symbol für diese gelesen werden. Für Breuer sind sie wiederum auch Material. Material, mit dem er vor Ort im städtischen Raum wie auch in explizit als Ausstellungsorte ausgewiesenen Kontexten arbeitet. Er verkleidet mit ihnen die Fenster von Galerieräumen und inszeniert durch ihre Übertragung in einen anderen städtischen Kontext (Berlin oder Frankfurt) auch dort eine solche Krise. Aufgrund ihrer Singularität stellen sie jedoch immer ein irritierendes Moment im dortigen Stadtbild dar, sodass die tatsächliche Krise auf die sie verweisen – die housing crisis in London - aufgerufen wird. Breuer markiert diese bzw. deren Symptome aber auch vor Ort in London. Etwa wenn er in die Belüftungslöcher der Metallbleche Beeren von Sträuchern aus der Umgebung einfügt. Solcherart minimale wie subtile Eingriffe im öffentlichen Raum, die erst durch ihr fortwährendes Auftauchen im Stadtraum lesbar bzw. sichtbar werden, stellen einen Großteil seiner künstlerischen Praxis dar. Mit ihnen, d.h. mit den durch sie produzierten Irritationsmomenten kennzeichnet Breuer gesellschaftliche Phänomene
Plant suggestion, 255-279 Cambridge Heath Road, in front of Tower Hamlets Council Office, 2003-06, Ausstellungsansicht, Between Bridges, 2006
Neben sozial motivierten konzeptuellen Aspekten weisen Breuers Arbeiten aber auch dezidiert gestalterische Moment auf. So bringt er mittels der Beeren eine Komposition, eine Art Strassengraffity auf den Safety Screens an oder benutzt sie als Präsentationswände für andere Screens. Die schützende Funktion der Metallbleche und damit die Krise verlagert sich hier in den Hintergrund. Sie wird förmlich übermalt. Diese malerische Komponente der Arbeiten rückte in seiner Ausstellung „Fürsorge“ (2008) in der Galerie croy nielsen in den Vordergrund. Indem er dort die Screens als Tafelbilder im Innenraum installierte enthob Breuer sie ihrer ursprünglichen Funktion. In einer Art „Casting-Situation“ (Breuer) bewarben sie sich nun als Bilder beim Betrachter wie auch beim potentiellen Käufer.
Breuers Arbeiten sind demnach prozeßhaft. Sie wechseln zwischen Innen- und Außenraum und verbinden konzeptuelle Ansätze mit malereiimmanenten Fragestellungen. Dabei überlagern sich ihre einzelnen Aspekte und kommentieren sich gegenseitig. Jeder Eingriff in die Screens wie auch jede Form ihrer Präsentation bringt eine neue Wendung, eine Erweiterung des bisher formulierten. So klar die Arbeiten sind, so verwirrend sind sie auch. Nur der Blick aufs Ganze bietet eine Art Sicherheitsnetz, im Detail dagegen eröffnen sich je eigene Welten.
Untitled, 2008
Gefragt, wie es denn dazu käme, dass er seine Praxis von Eingriffen im Außenraum um klassische Atelierarbeit erweitert habe, antwortete Breuer, dass seine Arbeiten im städtischen Raum den Umständen geschuldet waren, dass er nun einmal in London oder Paris oder Tokyo lebte und arbeiten wollte aber kein Atelier hatte. Nun hat er eins und macht Kopierbilder, von denen einige im Atelier zu sehen waren und auf die der Farbkopierer im Flur seines Ateliers bereits hindeutete. Diese beruhen zumeist auf von ihm fotografisch festgehaltene Beobachtungen im städtischen Raum bzw. auf Dokumentationfotografien seiner Eingriffe in diesen. Über die Aufnahmen legt er per Computer Kompositionen, die sich beispielsweise an Kandinsky oder Katherine McCoy anlehnen, und druckt sie mit dem Kopierer aus. Der Kopiervorgang wird jedoch vor dem Fixieren unterbrochen, um die Kopierfarbe und damit die Aufnahmen plus die sie überlagernden Kompositionen zu vermalen. Beendet wird dieser Prozess wiederum durch den Fixiervorgang im Kopierer. Die den Kopierbildern zugrunde liegenden Aufnahmen zeigen Motive wie Pfosten, die Breuer in London aufgefallen sind, da die an ihnen üblicherweise angebrachten (Verkehrs)Schilder fehlten. Das ist zunächst nur eine Beobachtung im städtischen Raum, wie Breuer sie laufend zu machen scheint. Und erst in der Beschäftigung mit ihnen, im Nachdenken über deren möglichen Hintergründe oder durch Gespräche entschlüsseln sie sich ihm. So werden etwa die Schilder von Kleinkriminellen abgeschraubt, um die an den Pfosten angeschlossenen Fahrräder besser stehlen zu können. Man kann sie so einfach herrüberheben. Klauen also auf höchstem Niveau. Erst wenn die Phänomene sich entschlüsselt haben oder sich Breuers Interesse für sie bestätigt, werden sie in seine künstlerische Produktion eingeschleust. Es ist eben nicht gleichgültig, was sich angeeignet wird. Und auch nicht alles kann zum Ausgangspunkt der Arbeit werden. Breuer nennt dieses Einschleusen die Dinge beugen und meint damit sie sich anzueignen, indem man sie bearbeitet oder dekontextualisiert. Seine Arbeiten lassen sich demnach nicht auf den Akt des Aufzeigens oder Problematisierens reduzieren. Ihnen wohnt kein explizit aufklärerischer oder pädagogischer Impetus inne. Im Gegenteil. Die angeeigneten Themen und Objekte werden zum Teil so stark gebeugt, dass sie komplett in den Hintergrund treten. Dann verselbstständigt sich der malerische Prozess und die Frage nach der einzuschreibenden Komposition steht im Vordergrund. Breuers Arbeiten sind dabei Malerei im weitesten Sinne. Während meines Besuches stand beispielsweise eine Baustellenabgrenzung im Atelier, die er gerade verbogen hatte und in die er noch ein Loch einfügen will. Das unter Vorbehalt. Soweit die Pläne.
Breuers Beobachtung im öffentlichen Raum, die zwangsläufig immer gesellschaftliche Realitäten widerspiegeln, fungieren demnach als Motor. Sie setzen Prozesse in Gang. Wobei je nach Fokussierung mal der malerische, mal der soziale Aspekt seiner Arbeiten im Vordergrund steht. Der jeweils andere schwingt jedoch im Hintergrund immer mit. Das Interessante dabei ist, dass der eine Aspekt nicht ohne den andere zu denken ist. Weder verschweigen sie einander, noch ist ihr Verhältnis zueinander ein hierarchisches. Sie sind sich gegenseitig Mittel zum Zweck. Beide überlagern sich und fallen in eins. HipHop wäre vielleicht die richtige Bezeichnung. Sie verhandeln soziale Realitäten und arbeiten sich zugleich an kompositorischen Fragestellungen ab. Style oder Stil. Oder konzeptuelle Kunst vom Feinsten, bei der nicht verschwiegen wird, dass jede ästhetische Aussage auch eine Frage der Bildfindung ist. Dementsprechend können seine Arbeiten weder als das eine (Bild) noch als das andere (sozial motivierte Konzeptkunst im öffentlichen Raum) gelesen werden. Es gibt immer Störfaktoren, die eine eindeutige Lesart zu verhindern wissen. So ist nicht auszumachen (und das weder für den Betrachter, noch für Breuer selbst), ob nun die Screens benutzt werden, um Kompositionen zu realisieren, oder ob mit gestalterischen Mitteln das gekennzeichnet wird, was zuvor Aufmerksamkeit erregt hat. Es kippelt hin und her bei der Betrachtung. Das ist wohl der Nebel, von dem Breuer gesprochen hat. Jede Setzung wird zugleich auch wieder verschleiert, sodass äußerst präzise Hybride entstehen, deren Modus die Andeutung ist.
Untitled, 2008
Organic food shop, 2008
Indie parenting, 2008
Untitled, 2008
Untitled, 2008