Vorwort
„Bild vs. Kunst“ – die Opposition, die diesem Heft seinen Titel gibt, bezieht sich auf Veränderungen und Konflikte, die in den letzten Jahren im Kunstkontext, im Feld akademischer Theoriebildung sowie konkret in künstlerischer und kuratorischer Praxis sichtbar geworden sind. Sie haben unter anderem mit einem verstärkten Interesse an Bildern zu tun, die „vor“, „jenseits“ oder „außerhalb“ der Kunst liegen. Symptomatisch sind hierfür die stetig wachsende Zahl bildwissenschaftlicher und bildphilosophischer Arbeiten oder die in verschiedenen Formen auftretenden Proklamationen eines Zeitalters „After Art“, in dem die Bilder das Erbe der Kunst antreten. Während neue und alte Technologien (digitaler Art, aber auch aus der Geschichte des Kinos kommend) die Kunstproduktion verändern, scheinen ikonisches Potenzial und optimale digitale Bildzirkulation zunehmend zu Erfolgskriterien zeitgenössischer Kunst zu werden. Die Notwendigkeit einer methodischen Unterscheidung zweier unterschiedlicher, in diesem Szenario operierender Konzepte ist damit klar: Schon allein weil – wenn man Kunst vornehmlich als Sphäre der Bildproduktion betrachtet – zahlreiche künstlerische Praktiken wortwörtlich von der Bildfläche verschwinden.
Während die kritische Analyse von Kunstwerken fest etabliert ist, scheint es bislang allerdings einen Mangel an vergleichbaren kritischen Ansätzen zu geben, wenn es um die Untersuchung von Bildern geht. So verstehen breite Teile der sogenannten Bildtheorie ihren Gegenstand als anthropologische Grundkonstante. Der von Gottfried Boehm geprägte Begriff der „ikonischen Differenz“ hat eben nicht nur eine neue Wissensperspektive eröffnet, sondern es werden in seinem blinden Fleck andere Formen von Differenz verdeckt. Die Frage nach dem Wesen des Bildes ist meist das Thema, nicht die nach seiner Politik, Produktion oder Ökonomie.
Dabei hätte eine sich formierende Bildwissenschaft z. B. auch zum Forum für die Aushandlung von Kritik werden können. So verwies vor mehr als zehn Jahren Beate Söntgen in Texte zur Kunst, Heft 42, 2001, auf die Errungenschaften von Autorinnen wie Kaja Silverman und Teresa de Lauretis, die von der Semiotik, Filmtheorie, Psychoanalyse und Diskursanalyse herkamen und die damit eine feministische und genderpolitische Theorie vorlegten, die für den Bildbegriff durchaus Verwendung hatte. Bilder wären damit Instanzen einer Politik, die sie nicht nur veranschaulichen oder kommunizieren, sondern auch produzieren. Anstelle einer Ablehnung des „Bildes“ zugunsten der „Kunst“ geht es hier also auch um die Verteidigung eines Bildbegriffs, der nicht einfach aufs Vorgefundene und Augenscheinliche setzt; und um die Forderung nach einer Bildkritik, die sich nicht an visuellen Oberflächenphänomenen aufhält, sondern dezidiert nach deren Zustandekommen fragt – nach den Bedingungen, unter denen wir mit bestimmten Bildern konfrontiert sind – und sie in ihrem jeweiligen Kontext analysiert.
Hierfür plädiert im vorliegenden Heft unter anderem Daniela Hammer-Tugendhat, die wir als Kunsthistorikerin um einen Blick von außen auf die Bildwissenschaft gebeten haben und die in den gegenwärtigen ontologischen Tendenzen der Debatte ein Rollback ins Apolitische erkennt. Auch Peter Geimer untersucht das Verhältnis der beiden Disziplinen und stellt, insbesondere an Beispielen aus den Bereichen der Dokumentar- und der Kunstfotografie, die Frage nach den Beweggründen und Vorteilen, die sich aus der einen oder anderen Zuschreibung ziehen lassen. Inge Hinterwaldners sich den Science Studies annähernder Beitrag liefert wiederum ein Beispiel für eine Bildanalyse, die sich durchaus als kritisch versteht: Sie tritt für eine Untersuchung digitaler wissenschaftlicher Visualisierung ein, die auch deren „Unterseite“, die Codes, mit berücksichtigt.
Aus philosophischer Perspektive betrachten die Beiträge von Gertrud Koch und Peter Osborne die Begriffe „Bild“ und „Kunst“ und weisen auf deren bislang häufig unterentwickelte Differenzierung hin. Koch untersucht das jeweilige Verhältnis beider Termini zu Ästhetik und Kritik auch aus ihrer spezifischen Perspektive der Filmwissenschaft, während Osborne den philosophischen Lücken der Visual Studies sowie deren historischer Entwicklung parallel zur Konzeptkunst, also dem, was man überspitzt ein „Bilderverbot“ in der Kunst nennen könnte, nachgeht. Georges Didi-Huberman, einer der einflussreichsten Bildphilosophen und Kunsthistoriker der Gegenwart, verwehrt sich im Gespräch mit Ludger Schwarte und Philipp Ekardt überhaupt dagegen, Bild und Kunst als Gegensätze zu diskutieren. Seine dennoch bestehende Präferenz für den Bildbegriff begründet er unter anderem damit, dass dieser nicht den Wertungs- und Exklusionsmechanismen der Kunst gehorche. Charlotte Klonk schließlich widmet sich der Unterscheidungsfrage von einem rezeptionsästhetischen Standpunkt aus und betrachtet Wirkungsweisen von Bildern, die Terror, Gewalt oder Pornografie zum Gegenstand haben, innerhalb und außerhalb des Kunstkontexts. Sie kommt zum Schluss, dass sich auf der Ebene der jeweils ausgelösten Affekte keine hinreichende Unterscheidung von Kunst und Bild treffen lässt.
Im Kontext der zeitgenössischen Kunstproduktion stellen sich verwandte Fragen unter anderem dort, wo es um die Integration neuer Technologien der Bildproduktion geht. Avery Singer und Ed Atkins berichten in ihren Statements, wie sie in ihre auf malerischen und filmischen Techniken der Figuration aufbauenden künstlerische Praktiken digitale Medien einbeziehen und wie diese ihre Arbeitsweise verändern. David Joselit, Autor häufig zitierter Arbeiten zum Verhältnis von Kunst und techno-sozialen Netzwerken, widmet sich in einer Analyse von Pierre Huyghes dOCUMENTA(13)-Arbeit einem weiterem Beispiel aus dem Bereich zeitgenössischer Produktion und entwickelt ein Modell, in dem das Kunstwerk nicht als Bildträger gedacht wird, sondern als Verteiler und Attraktor von Bildern, die keiner Repräsentationslogik gehorchen. Philipp Ekardts Beitrag untersucht schließlich den Unterschied zwischen Bildern im Kunst- und Modebereich hinsichtlich ihrer operationellen Logik, wie sie sich in zwei Arbeiten von Bernadette Corporation ausprägt.
Für unsere Ausgabe hatten wir auch Harun Farocki um ein Statement zu seinem Umgang mit der Bildfrage gebeten. Wir waren besonders daran interessiert, in welcher Weise er – als Pionier einer kritischen Filmpraxis – das Arbeiten in den Systemen und Institutionen des Kinos und der Kunst beurteilt. Nur wenige Tage vor seinem unerwarteten Tod, dessen bestürzende Nachricht uns während der Fertigstellung dieser Ausgabe erreichte, hat er uns seine Antworten geschickt, die wir hier in einer Fassung letzter Hand veröffentlichen. An Farockis wunderbar klaren wie dichten Aussagen wird deutlich, dass wir nicht nur einen der wichtigsten Filmemacher verloren haben, sondern auch einen herausragenden Autor und Denker. Diedrich Diederichsens Erinnerungen an Farocki, sein Werk und sein Schreiben drucken wir im hinteren Heftteil.