Spekulation ist, so viel ist klar, das Losungswort der Stunde, ob in Philosophie, Kunst/-markt, Literatur oder Finanzgeschehen. Doch was genau heißt es zu spekulieren?
Spekulation ist ein Ausgriff ins Nicht-Gegebene. Das Zukünftige kontrollierbar zu machen: Darum geht es etwa der Spekulation als Finanzoperation. Aufgrund von Erfahrungswerten werden hier mögliche Preisentwicklungen durch Algorithmen berechnet. Damit ist Spekulation einer der elementaren Schrittmacher des gegenwärtigen Kapitalismus und spielt auch für die Wertgeneration im Kunstfeld eine zentrale Rolle. Sie verändert dort massiv den Charakter der Sammlungen: Spekulatives Sammeln denkt die spätere Wiederveräußerung mit Gewinnmaximierung gleich mit.
Im Unterschied dazu avisiert die theoretische Spekulation, etwa in Form des Spekulativen Realismus, grundlegend Ungewisses. Diese philosophische Bewegung, die in letzter Zeit auch im Kunstdiskurs verstärkt präsent ist, wird häufig gegen das Programm der Kritik oder das der Ästhetik positioniert. Die Frage lautet, ob dies zu einem unreflektierten Sprung hin zu den „Sachen selbst“ führt, der wiederum einer kritische Untersuchung bedarf; aber auch, worin die Möglichkeiten spekulativer Modelle liegen. Spekulation birgt das Versprechen, sich nicht nur dem bereits Gegebenen kritisch zu widmen, sondern ein mögliches Anderes zu denken, das Hypothetische einzuholen. So verstanden, wäre Spekulation treibende Kraft für jeden kreativen Modus.
In dieser Ausgabe fragen wir nach theoretischen, künstlerischen und kuratorischen Einschätzungen des aktuellen Booms spekulativer Modelle. Wir untersuchen den Spekulativen Realismus, die Arbeit seiner ersten Protagonisten und seine jüngsten Entwicklungen, sowie die weit verbreiteten kuratorischen Rückgriffe auf die spekulative Philosophie, wie etwa in der Ausstellung "Speculations on Anonymous Materials" im Fridericianum, Kassel. Unsere Autoren diskutieren die Generation von Wert im Kunstsystem; die Funktion von Kunst in Anlageportfolios; und die frühen Kunst-Spekulationen von "La Peau de l'Ours" am Anfang des 20. Jahrhunderts in Paris. Außerdem untersuchen wir die Zeitverträge, die in spekulative Operationen implementiert sind. Und mit Rainald Goetz und Alexander Kluge veröffentlichen wir zwei Autoren, die die Nähe von Spekulation und (literarischem) Schreiben erkunden.