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Vorwort

Die Dezember-Ausgabe von Texte zur Kunst untersucht Wertbildungsprozesse in der Kunstwelt und darüber hinaus. Wir gehen der Frage nach, welche Faktoren und Akteure/Akteurinnen bei der Wertbildung beteiligt sind, wobei uns jedoch weniger die Beweggründe des individuellen Handelns interessieren als die spezifische Struktur der Mechanismen, die wertgenerierend wirken. Unter Wert verstehen wir die Anhäufung menschlicher Arbeit in einem (künstlerischen) Gegenstand, wobei natürlich nicht jedes Objekt, das menschliche Arbeit enthält, als wertvoll erlebt wird. Wert kann in diesem Sinne auch eine Zuschreibung von künstlerischer Relevanz sein, was eine strenge Abgrenzung des Begriffs zum monetären Wert impliziert: Wert ist nicht gleich Preis. In den unterschiedlichen Segmenten des Kunstbetriebs – Markt, Ausstellungsbetrieb, Wissenschaft, Kritik – haben sich jeweils eigene Kriterien der Wertbildung herauskristallisiert.

Ausgehend von der Arbeitswerttheorie von Karl Marx untersucht Isabelle Graw, inwieweit der Wert von künstlerischen Arbeiten Strukturähnlichkeiten und Differenzen zum Warenwert aufweist. Das Kunstwerk wird von ihr zu einem Sonderfall der Ware erklärt – denn im Unterschied zu anderen Waren sind in ihm die Spuren menschlicher Arbeit oft deutlich sichtbar, wodurch es unausgesetzt auf seine Urheberin oder seinen Urheber verweist. Durch diese vermeintliche Anwesenheit der abwesenden Künstlerin bzw. des abwesenden Künstlers mutiert das Kunstwerk zur besseren Ware. Die Ware Kunst stillt traditionell aber auch, so eine von Graws zwölf Thesen, das unter biopolitischen Vorzeichen gestiegene Begehren nach Beseeltheit, Belebtheit und Lebendigkeit, wodurch Produzent/in und Rezipient/in gleichermaßen in den Prozess der Wertbildung einbezogen werden.Vom Faktor Zeit als wertbildende Konstante geht auch Diedrich Diederichsen aus. Er argumentiert, dass der Wert eines Kunstwerks sich nicht nur über die Zeit bemisst, die in seine Herstellung geflossen ist, sondern dass es auch die Zeit aller Teilnehmer/innen der Kunstwelt ist, die seinen Wert bestimmen: Die Partizipation vieler oder einer bestimmten Gruppe an Eröffnungen, Abendessen oder Parties trägt dazu bei, künstlerischen Arbeiten Relevanz zu verleihen und so ihren Wert zu steigern. Einen Vergleich zwischen den Bewertungskriterien von Kunst- und Finanzmarkt unternimmt der französische Ökonom André Orléan. In beiden Segmenten stehen Waren zum Tausch, über deren Wert sich keine gesicherten Aussagen machen lassen. So gesehen, ähnelt die Finanzbewertung der ästhetischen Bewertung. Hier wie da stehen unterschiedliche Interpretationsvorschläge im Wettbewerb miteinander, und erst auf dem Markt entscheidet sich, welche Deutungen bzw. Werte festgelegt werden, um von dort aus zu den Konsumentinnen und Konsumenten zurückzukehren. Da Letztere diesen Vorgang nur bedingt steuern können, fasst Orléan Wert als Kraft auf, die auf Individuen einwirkt und diese verändert – und nicht umgekehrt. Wie spiegeln sich diese theoretischen Überlegungen konkret in den Evaluierungen des Kunstmarkts wider? Auf unsere Fragen hierzu antwortete der Kurator und Kunstberater Todd Levin aus New York.

Doch nicht nur in Galerien und Auktionshäusern, auch in Institutionen werden beständig Werte generiert. Kritik an der Warenform hat sich hier längst als wertbildend erwiesen. Inwieweit sich heute auch vermeintlich progressive Institutionen kompromittieren, hat sich in diesem Jahr besonders eklatant am Fall der Tensta Konsthall in Stockholm gezeigt, den Mikkel Bolt Rasmussen in seinem Text beleuchtet. Maria Lind, die Direktorin der mit öffentlichen Mitteln geförderten Institution, arbeitete bei einer Ausstellung nicht nur mit einem Auktionshaus zusammen, das parallel Arbeiten der bei Tensta gezeigten Künstler/innen zum Verkauf anbot. Dieses Auktionshaus ist Rasmussen zufolge zugleich personell verquickt mit einem Ölkonzern, dem Menschenrechtsverletzungen im Sudan und anderen Ländern vorgeworfen werden. Dieses Beispiel ist nur eines von vielen und zeigt, durch welche Mechanismen gerade Institutionen mit kritischem Anspruch auf der Suche nach Geldgebern unter Druck geraten und zweifelhafte Kompromisse eingehen. Während die zahlende Partei durch ihre Kooperation mit einer als unkorrumpierbar geltenden Position wie einer Theoretikerin und Kuratorin an deren Authentizitätsversprechen teilhaben möchte, erhofft sich die kritische Seite von der Zusammenarbeit einen größeren finanziellen Spielraum für ihre eigentlich gute Sache.

Den Stellenwert der Unabhängigkeit diskutieren aus marxistischer Perspektive auch Kerstin Stakemeier und Marina Vishmidt in einem Gespräch. Einst als Freiraum künstlerischen Schaffens geltend, ist es heute gerade ihr autonomer Status, der Kunst zu einem idealen Wirtschaftsgut macht, weil sie jede Warenform annehmen kann: von der Dienstleistung bis zum Luxusartikel. In allen Beiträgen dieser Ausgabe erweist sich der Wertbildungsprozess als prinzipiell offen und unabgeschlossen und der Wert als immer wieder neu verhandelbar. Das gilt für das Feld der Kunst, aber auch für alle anderen Bereiche gesellschaftlicher Interaktion.

Sven Beckstette / Isabelle Graw / Oona Lochner

PS: Dies ist die letzte Ausgabe von Texte zur Kunst, die ich als leitender Redakteur betreut habe. Ich folge einem Ruf an das Kunstmuseum Stuttgart, wo ich ab Dezember als Kurator tätig sein werde. Dem Magazin bleibe ich jedoch nicht nur als Mitglied des Beirats weiterhin verbunden. Auf diesem Wege möchte ich all jenen danken, mit denen ich in den vergangenen beiden Jahren zusammengearbeitet habe, allen voran Herausgeberin Isabelle Graw und den Mitgliedern des redaktionellen Beirats, meinen Kolleginnen und Kollegen in Redaktion und Verlag, den Grafikern, Lektorinnen und Lektoren, Übersetzerinnen und Übersetzern, Autorinnen und Autoren, den Künstlerinnen und Künstlern der Bildbeiträge und Editionen sowie allen anderen, auf die ich in dieser Zeit bauen konnte und die mit ihrem Einsatz, ihrer Hilfe und Unterstützung zum Gelingen der Hefte beigetragen haben. Ganz herzlichen Dank!

Sven Beckstette