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Heinz Bude

Der Kurator als Meta-Künstler Der Fall HUO

Hans-ulrich-obrist Hans-Ulrich Obrist interviewt Cao Fei, The Shop, Peking 2008

2010 kam der Band „A Post-Olympic Beijing Mini-Marathon“ [1] auf den Markt. Als Autor firmiert auf dem Cover Hans-Ulrich Obrist. Man findet das Buch in bestimmten Museumsbuchhandlungen, die im deutschen Sprachraum zumeist von Walther König betrieben werden, und in ausgewählten Kunstbuchhandlungen neben Bildbänden Cosima von Bonins, Herzog & de Meurons oder Dan Grahams, aber auch in politischen Buchläden zwischen Büchern von Jacques Rancière, Mike Davis oder Judith Butler. Es kommt in einer armen Schwarz-Weiß-Ästhetik daher, ist dem Impressum zufolge in China gedruckt, in der Schweiz unter renommiertem Namen verlegt und von einer dortigen Stiftung unterstützt worden. Es handelt sich also offenbar um eine Publikation mit viel Rückendeckung, die in den Überschneidungsbereich von bildender Kunst, Gesellschaftstheorie und Städtebau trifft. Auf dem Rücken­deckel wird Hans-Ulrich Obrist, der im legendären Jahr 1968 in einem kleinen Ort im schweizerischen Abseits geboren worden ist und im Buch nur noch mit dem fast chinesisch anmutenden Logo HUO bezeichnet wird, als Kurator und Kritiker vorgestellt, der auf dem Feld der internationalen Gegenwartskunst aktiv ist. Als Brückenkopf für seine weltweiten Projekte wird die Serpentine Gallery in London genannt. Ähnlich könnte man Okwui Enwezor oder Jens Hoffman präsentieren.

Wir sollen uns offenbar eine nomadische Existenz vorstellen, die von einem Zentrum der Finanzindustrie aus den kreativen Flows auf dem Planeten auf der Spur ist und an der globalen Übersetzung von vielen einzelnen künstlerischen Aktivitäten arbeitet. Die Ineinssetzung von Kurator und Kritiker soll diese Tätigkeit erläutern, versteht sich aber nicht von selbst. Denn nach dem klassisch modernen Verständnis einer internen Differenzierung des Systems der Kunst in die Positionen von Künstler/in, Händler/in, Sammler/­in, Kurator/in und Kritiker/in unterscheiden sich die beiden letzten in ihrer Rolle fürs Publikum: Der Kurator oder die Kuratorin ist Verwalter/in des Pantheons, denn er/sie vertritt die Position des Museums, der Hierarchie und der Tradition. Der Kritiker oder die Kritikerin dagegen will den Streit unter den Zeitgenossen, er/sie äußert sich in Zeitungen und Zeitschriften (heute womöglich in Blogs), interveniert polemisch und pocht auf Aktualität. In einer etwas anderen Sprache könnte man sagen, dass hier die Positionen der öffentlichen Institution und die des intellektuellen Marktes in Widerstreit stehen. Die Geschichte in Tradition zu verwandeln ist etwas anderes, als der Gegenwart eine Richtung zu geben. Wer beides will, muss sowohl den Ort des Museums verlassen als auch den Streit auf eine andere Ebene bringen.

Beides tut HUO: Sein Museum ist ein peripherer Ort, an den er seine Gesprächspartner/­in­nen einlädt, und seine Stimme ist die Stimme der anderen, die er in seinen Interviews sprechen lässt. Kuratieren ist für ihn eine aufsuchende, hervorlockende und versammelnde Tätigkeit, die irgendwo auf der Welt stattfindet und eine Ansammlung von Äußerungen hinterlässt. Was für eine Tradition sich darin zeigt oder was für eine Schneise damit geschlagen wird, bleibt zweitrangig: „Let’s talk about the current moment.“ Sprechen ist für ihn das Tun, [2] das einen Diskurs der Gegenwart dokumentieren soll.

Das Buch demonstriert, wie das geht. Es handelt sich um eine Sammlung vermutlich bearbeiteter Transkriptionen von Interviews, die HUO mit einer Reihe von Kunstproduzenten und Kunstproduzentinnen zum Jahreswechsel von 2008 auf 2009 in einem 14-stündigen „Marathon der Gedanken“ in einem „Shop“ genannten Lokal in Peking vor Publikum geführt hat. Dem lag die Definition eines historischen Augenblicks zugrunde, den HUO als „postolympischen Moment“ bezeichnet, in dem die 14-Millionen-Stadt nach dem Ende der Olympischen Spiele verharrte: Viel ist in der Stadt passiert, um Chinas Auftritt als kommende Weltmacht unter Beweis zu stellen, aber was das für das Leben der Leute in dieser Stadt und in dem großen Land heißt, ist unklar. So wird ein „Grenzobjekt“ [3] für die Fragen an die Gesprächspartner/innen vorgegeben, das deren Rede eine gemeinsame Richtung verleihen soll. „Are you optimistic for 2009?“, lautet immer der Zusatz zur Frage nach der Signifikanz des Augenblicks.

Was so angezielt wird, ist durchaus nicht unprätentiös: Es geht um die Lebbarkeit der Stadt, die Fabrikation von Realitäten und den Sinn lebenswichtiger Worte. Man spricht darüber, wo der/die Einzelne eine Stimme hat, was ein Leben wert ist und wie man etwas in Gang bringen kann. Zur Koinzidenz des Augenblicks gehört auch die Finanzmarktkrise von 2008, die den Kapitalismus als eine bestimmte politische Technologie des Marktes an den Rand des Abgrunds gebracht hatte. In China hatte man die Pleite von Lehman Brothers mit ungläubigen Augen betrachtet, als zu hören war, dass in Singapur und Hongkong ein Drittel der Anleger/innen in Lehmans Minibonds über 65 Jahre alt sind. Die reine Beobachterposition ist also auch von China aus nicht möglich.

Das Format seiner Marathons hat HUO seit dem öffentlichen Debüt 2005 in Stuttgart in verschiedenen Städten und Kontexten angewandt. Nach dem Vorbild der Künstlerinterviews zwischen Pierre Cabanne und Marcel Duchamp oder zwischen David Sylvester und Francis Bacon hat HUO die Technik seiner Interviewprojekte entwickelt, aus denen die Idee einer unendlichen Konversation als eine eigenständige Praxis hervorgegangen ist. Es ist gewissermaßen ein O-Ton, der aus der Kunst kommt und die Kunst begleitet. Das Interview als Kunstform [4] setzt im Sinne der hermeneutischen Philosophie auf die Einsicht, dass, wie Hans-Georg Gadamer in „Wahrheit und Methode“ formuliert hat, nicht wir das Gespräch, sondern das Gespräch uns führt. Es ist daher nicht richtig zu sagen, dass der/die Inter­viewte Auskunft über sich selbst gibt oder der/die Interviewer/in doch nur sich selbst interviewt das Gespräch stellt sich vielmehr als ein gemeinsames Geschehen dar, das Dinge zum Vorschein bringt, die keine/r der Gesprächspartner/innen vorher im Sinn hatte. Dabei hat das Gespräch einen präzisen historischen und lokalen Index, der das Momentane zum Wesentlichen werden lässt. Lebendigkeit, Zufälligkeit und Zwischenmenschlichkeit sind die methodischen Merkmale eines in jedem Moment offenen und gleichwohl Schritt für Schritt sich notwendig entfaltenden kommunikativen Kunstwerks, das im Sprechen das Schweigen und im Öffnen das Schließen in Erscheinung treten lässt. Man könnte von einer Methodisierung von Präsenz sprechen, die sich nicht auf eine generelle Aussage oder eine algorithmische Hervorbringung reduzieren lässt.

Als Interviewer ist HUO allerdings weniger ein Zuhörer und Einspieler als ein Stichwortgeber und Anreißer. „What might be your manifesto of the 21th century?“, „What turns you on?“, „Any forgotten projects?“ Das sind keine narrativen Interviews wie bei Studs Terkel, keine Dilemma-Interviews wie bei Lawrence Kohlberg, aber auch keine Interviews in psychoanalytischer Manier, die die, wie Freud gesagt hat, „gleichschwebende Aufmerksamkeit“ zelebrieren. HUO lässt selten zu, dass sich etwas entwickelt, er folgt vielmehr einer Batterie von Fragen, die sich einerseits auf Motivationen, Vorbilder, Anstöße zu Arbeiten beziehen und andererseits die momentane Weltlage in Betracht ziehen. Kaum Nachfragen, selten Abschweifungen, keine Rezeptionssignale.

Aufschlussreich ist die Zusammensetzung der Gesprächspartner/innen. HUO spricht über die postolympische Situation von Peking nicht nur mit vergleichsweise klassisch modernen Künstlern wie Ai Weiwei, sondern auch mit der Grafikdesignerin Cao Fei, mit dem Sound-Künstler Zafka, mit dem Filmemacher Jia Zhangke, dem Autor Hung Huang und dem Modemacher Zhang Da; er bezieht sich in seinen Fragen auf Architekten wie Rem Koolhaas, auf Urbanisten wie Stefano Boeri oder auf Erkenntnistheoretiker wie David Deutsch; er adressiert das Singuläre des Individuums genauso wie das Spezifische der Gesellschaftsformation. Auf diese Weise folgt der Kurator HUO einer geradezu hegelisch anmutenden Ästhetik des Gedankens, die nach Verbindungen, Überschneidungen, Entsprechungen in den Äußerungen von auf ganz unterschiedliche Weise künstlerisch tätigen Individuen sucht. Kunst ist dann eine Bezeichnung für die Familienähnlichkeit von Projekten, die in irgendeiner Weise als künstlerisch gelten können.

Das dabei unausgesprochen in Anspruch genommene Konzept einer postautonomen Kunst entgrenzt den Gegenstand künstlerischer Aktivitäten bis in die Mode, ins alltägliche Sprechen und ins wissenschaftliche Experimentieren hinein. Zwischen Kunst, Moral, Wissenschaft, Recht und Politik verschwimmen die Grenzen und konturieren sich die Praktiken. Der Kurator/Die Kuratorin wird damit zum Inszenierer einer heterogenen Welt, in der sich die Episierung, wie der junge Lukács in der „Theorie des Romans“ dargelegt hat, vollendet. Der Übergang von der Substantivform des monologischen, musealen und monumentalen Kurators zur Verbform des dialogischen, natürlichen und subjektiven Kuratierens indiziert, worauf Alex Farquharson hingewiesen hat, [5] das konsequente Weltlichwerden der kurativen Tätigkeit. Kein transzendentaler Bezugspunkt, kein Ideal des Klassischen, kein gereinigter White Cube halten nach diesem Verständnis den Kurator in der Kunst. Er wird ganz im Gegenteil in dem Maße selbst zum Künstler, wie er die Kunst als einzige und ausschlaggebende Systemreferenz hinter sich lässt. Der Trennungsbegriff der Kunst hat sich im Zuge eines Prozesses der gesellschaftlichen Ästhetisierung im Schwundbegriff der Kreativität aufgelöst. [6]

Der „Curator’s Moment“ [7] schlug mit der Biennalisierung eines die Peripherie ins Zentrum holenden, globalen Ausstellungswesens (Kassel, Johannesburg, Venedig oder Istanbul) zu, [8] die zu einer Pluralisierung von Themen, Formaten und Medien führte. Die Unübersichtlichkeit des Feldes verlangte die Subjektivität der Auswahl. Der sich durchsetzende Wechsel von der huldigenden Individual- zur problematisierenden Kollektivpräsentation brachte die Zentrierung um ein Starsystem von Kuratoren und Kuratorinnen mit sich, die die Welt über ihre „individuellen Mythologien“ (Harald Szeemann) für das große Publikum lesbarer machten. Heute existieren ganze Studien­gänge, die sich diesem Tätigkeitsbild ohne Professionsideal widmen. Der/Die Kurator/Kuratorin ist Anthropologe oder Anthropologin, Reporter/­in, Soziologe oder Soziologin, Epistemologe/Epis­temologin, NGOler/in oder Beobachter/­in des Internets.

Verbindungen zu den Globalthemen von „money, music, movies, math and moral claims“ haben Ausstellungen und ausstellungsähnliche Inszenierungen zu einem Zentralelement der Kulturindustrie werden lassen. Wenn Comme des Garçons T-Shirts mit Aufdrucken von Ai Weiwei vertreiben, wenn „No Logo“ zu einem globalen Icon wird, wenn Rem Koolhaas den Prada-Store in Tokio entwirft oder wenn Jürgen Tellers „Heroin Chic“ über Kate Moss in die Geschichte von Calvin Klein eingeht, muss sich das Kuratieren nach dem Konzept der postautonomen, sich ins Soziale ergießenden und das Politische berührenden Kunst als Teil einer allgemeinen, erweiterten und Wert schöpfenden Produktion von Bedeutung begreifen, wo es mit außeruniversitären Forschungsinstituten, Unternehmensberatungen, Modehäusern, Designstudios, Wissenslabors, politischen Think Tanks und sozialen Netzwerken in einer Reihe sitzen. Das gilt nicht allein für Bilder, die um die Welt gehen, sondern genauso für Begriffe, Sentenzen und Metaphern, die unsere Zeit in Gedanken zu fassen suchen.

Die so betriebene Vergesellschaftung der Kunst verläuft offenbar über drei Wege, die allesamt aus der Kunst selbst kommen: Den einen hat Guy Debord schon 1967 mit seiner „Gesellschaft des Spektakels“ gewiesen, als er das Spektakel als eine Form der Intensivierung des Gesellschaftslebens durch ein Regime der heteronomen Bildlichkeit kennzeichnete. Das Event, der Flashmob, das Zeltlager in der Stadt definieren jeweils einen Punkt der plötzlichen Lichtung des öffentlichen Raums, der eine „Revolution im Dienste der Poesie“ [9] verheißt. Hier kommen künstlerische Inszenierungen wie Christos Verhüllung des Berliner Reichstags oder Christoph Schlingensiefs Opernhausprojekt für Afrika oder Rirkrit Tiravanijas „Mobile Home“ für thailändische Mahlzeiten in die Nähe von Fußballbranche, Globaltourismus oder Erlebnisgastronomie.

Die zweite Linie ergibt sich aus der Erweiterung des Kunstbegriffs, der auf die inklusive Idee der kreativen Tätigkeit hinführt. Kunst ist dann kein spezifisches Tun, sondern nur noch Teil eines diffusen Tätigseins im Netz, im Studio oder auf der Straße. Wenn Ethnomethodologen die Kunst des Gehens auf der Straße beschreiben, [10] ist das genauso eine kreative Tätigkeit wie das Zerschneiden eines Hauses durch Gordon Matta-Clark. Vielleicht ist sogar das Gehen selbst eine natürliche Form des Kreativen, die einem die Einheit von Reproduktion und Subversion von sozialen Praktiken vor Augen führt. Der ganze Unterschied besteht in einem reflexiven Akt, der die natürliche Bekanntschaft mit den „Sachen selbst“, wie es bei Husserl heißt, in ein Sehen ihrer methodischen Herstellung verwandelt. Für Auffassungen einer „relationalen Kunst“, die sich auf praxeologische Sozialtheorien wie der von Michel de Certeau berufen, ist das Alltagshandeln selbst eine kreative Tätigkeit.

Ein dritter Weg der „Aufhebung“ der Kunst in der Gesellschaft läuft unter der Überschrift einer Ökonomie der Selbststeigerung, die man auf Lyotards Unterscheidung zwischen einer Exis­tenz der Intentionen und einer der Intensitäten zurückführen kann. [11] Die Familie der künstlerischen, kreativen oder transgressiven Tätigkeiten ist demnach dadurch charakterisiert, dass sie sich dem Diktat der Selbstbewahrung, wie man im Ton Adornos sagen könnte, entschlagen und die Selbstvergeudung, Selbstverzehrung oder Selbst­überschreitung wagen. Dafür Modelle zu entwickeln wird dann zur Aufgabe und zum Antrieb einer postautonomen Kunst. Das Surplus der Kunst in der mitschwingenden Frage nach dem ethischen Können im ästhetischen Machen. Die Interviews von HUO lassen sich demgemäß als öffentliche Exerzitien einer Existenz der Passion, des Muts, der List und der Ruhe begreifen. In den Beijing-Interviews plädiert Zafka zum Beispiel für einen „low-intensity, guerrilla style“, den jedermann übernehmen kann, um den eigenen Körper freizugeben für experimentelle Selbstbestimmungen; Xiao He wiederum entwirft eine Existenz der Ruhe im Bewusstsein davon, dass in einer beschleunigten Gesellschaft der „moving objects“ jeden Moment eine Bombe neben einem explodieren kann; Wang Jianwei spürt die Versuchung, mit wissenschaftlichen und politischen Ideologien zu experimentieren; Zhang Da sucht den Akt von Bedeutung, der Möglichkeiten des Andersseins hervorbringt; und Kang He will ein Resümee der Epoche ziehen, das die grassierende Epilepsie in einen gemeinsamen Tanz verwandeln könnte. Die Kuratoren/Kuratorinnen als „Metakünstler“ [12] werden so zu Allesfressern des wissenschaftlichen, politischen und künstlerischen Wissens, die eine globale Öffentlichkeit mit Vorstellungen transformativer Modi, mit Ideen humaner Stile oder mit Methoden gefährlicher Begegnung bedienen. Das wird natürlich nicht auktorial oder diktatorisch vorgebracht, sondern als Vorschlag oder Angebot in die Kapillare des Kollektivlebens infiltriert. Der/Die Kurator/in neuen Typs, der/die Bücher produziert, die man nicht so einfach einordnen kann, leiht sich das Pathos des Vorangehens in einer Welt voller Verführungen, Verkehrungen und Verstrickungen, um den „Sprung ins Nichts“ (Yves Klein) vorstellbar zu machen.

Das entscheidende Kriterium für die Evidenz eines kurativen Projekts ist nicht mehr die Beglaubigung oder Erneuerung des Kanons bedeutsamer Kunst, sondern die Kontextstimmigkeit einer künstlerischen Aktivität. Der Kurator/Die Kuratorin ist der/die allgegenwärtige Repräsentant/in einer Dauerreflexion auf konkrete Bedingungen vor Ort und in der Zeit, auf gezielte Adressierungen an Machthaber, Geldgeber und Öffentlichkeitsagenten, auf Beziehungen zu vorhergehenden und nachfolgenden Projekten ähnlicher Art, auf begleitende Diskurse und anstößige Kommentare. So kann die Kunst als etwas aufscheinen, das einem weltoffenen Publikum vor Augen führt, womit man beginnen, was man ausrichten und wohin man gehen kann. Es ist Kurator/in, wer sich aufschwingt, durch seine Interventionen, Arrangements und Interpretationen die epistemologischen, ethischen, politischen Dimensionen der Kunst diskutierbar zu machen, damit Alternativen sichtbar, Äquivalente denkbar und Anschlüsse machbar werden. Der Kurator/Die Kuratorin wäre dann idealerweise ein/e Kritiker/­in, wie ihn sich etwa Bruno Latour wünscht, [13] der/die nicht entlarvt, sondern versammelt. Es geht nicht darum, den naiv Gläubigen den Boden unter den Füßen wegzuziehen, sondern den Teilnehmern und Teilnehmerinnen Arenen zu bieten, in denen sie sich treffen, sehen und miteinander austauschen können. Nach welchen Kriterien wer eingeladen wird und nach welchen Skripts wie gesprochen wird, bleibt im Dunklen. Entscheidend ist die Geste der Umstellung von Hegemonie auf Symmetrie, womit einer vernetzten, artikulierten und tentativen Existenz Ausdruck verschafft werden soll.

Anmerkungen

[1]Hans-Ulrich Obrist, A Post-Olympic Beijing Mini-Marathon, Zürich 2010.
[2]Paul O’Neill, „The Curatorial Turn. From Practice to Discourse“, in: Judith Rugg/Michèle Sedgwick (Hg.), Issues in Curating Contemporary Art and Performance, Bristol/Chicago 2007, S. 13–28.
[3]Susan Leigh Star/James R. Griesemer, „Institutional Ecology. ‚Translations‘ and Boundary Objects. Amateurs and Professionals in Berkeley’s Museum of Vertebrate Zoology, 1907–39“, in: Social Studies of Science, 19, 1989, S. 387–420.
[4]Michael Diers, „,Infinite Conversation’ or the Interview as an Art Form“, in: Hans-Ulrich Obrist, Interviews, Bd. 1, Mailand 2003, S. 13–25.
[5]Alex Farquharson, „I curate, you curate, we curate“, in: Art Monthly, 269, 2003, S. 7–10.
[6]Dazu siehe Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess der gesellschaftlichen Ästhetisierung, Berlin 2012.
[7]Michael Brenson, „The Curator’s Moment – Trends in the Field of International Contemporary Art Exhibitions“, in: Art Journal, Winter 1998, S. 16–27.
[8]Siehe Elena Filipovic/Barbara Vanderlinden (Hg.), The Manifesta Decade. Debates on Contemporary Art Exhibitions and Biennials in Post-Wall Europe, Cambridge, Mass. 2005.
[9]Vincent Kaufmann, Guy Debord. Die Revolution im D­ienste der Poesie, Berlin 2004.
[10]Lincoln Ryave/James Schenkein, „Notes on the Art of Walking“, in: Roy Turner (Hg.), Ethnomethodology, Harmondsworth 1974, S. 265–274.
[11]Diedrich Diederichsen, „People of Intensity, People of Power. The Nietzsche Economy“, in: Julieta Aranda/Anton Vidokle/Brian Kuan Wood, Are You Working Too Much? Post-Fordism, Precarity, and the Labor of Art, Berlin 2011, S. 82–89.
[12]So der Ausdruck, den John Miller für die Figur des Ausstellungsmachers der Biennale-Industrie geprägt hat. Vgl. John Miller, „The Show You Love to Hate. A Psychology of the Mega-Exhibition“, in: Reesa Greenberg/Bruce W. Ferguson/Sandy Nairne (Hg.), Thinking About Exhibitions, London 1996, S. 269–275.
[13]Bruno Latour, Elend der Kritik. Vom Krieg um Fakten zu Dingen von Bedeutung, Zürich/Berlin 2007.