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Post-Feminismus ... Post-Gender? von Pamela M. Lee

Élisabeth Vigée-Lebrun, „Selbstporträt“ / “Self-Portrait”, 1790

Élisabeth Vigée-Lebrun, „Selbstporträt“ / “Self-Portrait”, 1790

Linda Nochlins Frage nach dem Verbleib der Frauen* in der Kunst gilt als Initialzündung einer feministischen Kunstgeschichtsschreibung. 50 Jahre nach Nochlins Analyse ist es wieder einmal an der Zeit, Bilanz zu ziehen: Welche Bedeutung hat Gender für die aktuelle Kunstwissenschaft? Inwiefern dient der Begriff noch heute als Analysekategorie einer feministischen Kunstgeschichte? Und wie verändert er sich im Licht der Queer Theory? Aus Anlass unserer Dezemberausgabe zum Thema Feminismus veröffentlichen wir an dieser Stelle einen Text von Pamela M. Lee, den sie 2011 für „Texte zur Kunst“ geschrieben hat. Zu behaupten, wir würden in postfeministischen Zeiten leben, so Lee, käme angesichts der zwar erkämpften, jedoch nach wie vor bedrohten Rechte von Frauen* einer allzu optimistischen und darum gefährlichen Diagnose gleich.

Wer die Bedeutung von Wörtern festschreiben möchte, steht auf verlorenem Posten, denn Wörter haben, wie die Ideen und Dinge, die sie bezeichnen, eine Geschichte … Es scheint mir bedeutsam zu sein, dass das Wort „Gender“ in einem Moment großer epistemologischer Verwirrung aufgetaucht ist. In manchen Fällen nimmt diese Verwirrung bei Sozialwissenschaftlern die Form eines Übergangs von wissenschaftlichen zu literarischen Paradigmen an … und in anderen Fällen die Form von Debatten über Theorie zwischen denen, die an der Erkennbarkeit von Tatsachen festhalten, und denen, die darauf bestehen, dass jegliche Realität eine Interpretation oder eine Konstruktion darstellt …

—Joan Wallach Scott, „Gender: A Useful Category of Historical Analysis“ [1]

Zwei Begebenheiten aus dem universitären Umfeld bilden den Rahmen für die Frage nach Gender und seiner fortdauernden Relevanz für die Kunstgeschichte. Sie umfassen die ganze Bandbreite von Antworten auf diese Ausgangsfrage, weil ihnen äußerst unterschiedliche Agenden im ideologischen, kulturellen und politischen Spektrum zugrunde liegen. Als zwei entgegengesetzte Seiten derselben Medaille betrachtet, treffen diese Beispiele in einer populären Formulierung zusammen, die sich in den Vereinigten Staaten schon vor langer Zeit erschöpft hatte. Genauer gesagt, erlangte dieses Schlagwort von vornherein niemals kritisches Kaliber. Dieser Begriff ist „Postfeminismus“, und ich belebe ihn hier nicht wieder, weil ich ihn schon früher zu meiner Sache gemacht hätte (nichts könnte meiner Position ferner liegen), sondern weil er auf vielfache Art das jüngste Schicksal von Gender und dem Lehrbetrieb Kunstgeschichte vorweggenommen zu haben scheint: Die Markierung „Post“ suggeriert, die Frage nach Gender wäre buchstäblich schon erledigt. Und tatsächlich, wenn Definitionen von Gender sich typischerweise um – wie Joan Wallach Scott es nannte – „den relationalen Aspekt normativer Definitionen von Weiblichkeit“ drehten, dann könnte es hilfreich sein, das Konzept eines Postfeminismus heute als einen Mechanismus für die Umkodierung dieser relationalen Dimensionen wieder einzuführen – und sei es nur zum Zweck der Negation.

Darum soll es gehen, wenn ich nun zu meiner ersten Anekdote komme. Sie stammt aus einer kunstgeschichtlichen Einführungsveranstaltung, die ich zurzeit an der Stanford University halte. Der Kurs umgeht das konventionelle chronologische Format und dessen monotone Litanei von kanonischen Werken. Es geht eher um eine tool box, mit deren Werkzeugen man sich der Disziplin nähern kann. Thematische und methodologische Rubriken organisieren das Material, dazu zählen Themen wie „Repräsentation“, „Formalismus“, „Ikonografie“ und „Rezeption“. Meine Sitzung zu feministischer Kunst hat zwar noch nicht stattgefunden, doch es gab einen kleinen Vorfall im Hörsaal, der die angesprochenen pädagogischen Fragestellungen betraf und eine entweder leichtfertige oder unbeeindruckte Haltung gegenüber dem Thema Gender offenbarte. In einer Stunde, die den Themen Porträt, Selbstporträt, Macht und Selbstinszenierung gewidmet war, beschäftigten wir uns mit den kanonischen Beispielen aus der Tradition des Selbstporträts: Albrecht Dürer als Ecce-Homo oder die dunklen Meditationen in Öl des jungen und des späten Rembrandt. Und wir diskutierten die unterschiedlichen Wege, mit denen die Künstler die visuelle Rhetorik der Macht in ihrem Werk zum Einsatz brachten – indem sie entweder ihre Persönlichkeit als gottgleich darstellten oder sich mit den geläufigen Insignien eines reichen Lebens wie Goldketten und Pelzen ausstaffierten. Die Studierenden begriffen das Repertoire der Posen, Gesten, Requisiten und Haltungen, das die Selbstpositionierung jedes Künstlers transportierte. Sie sprachen davon, wie die Möglichkeit, sein eigenes Bild zu bestimmen, mit einem gewissen Anspruch auf Souveränität verwandt war, mit einer Art Performance von Identität und Autonomie.

Umso verblüffender war das Schweigen, als es um die Diskussion eines Selbstporträts von Élisabeth Vigée-Lebrun (1755–1842) ging. In ihrem Bild aus dem Jahr 1790, das sie in Rom schuf, nachdem sie wegen ihrer royalistischen Verbindungen und Sympathien aus dem revolutionären Frankreich geflohen war, ist die Künstlerin mit den Standardemblemen künstlerischer Freiheit ausgestattet. Sie malte sich selbst als offen und selbstbeherrscht, als hätten die Ereignisse, die sie ins Exil geführt hatten, sie kaum berührt. Palette und Staffelei sind stolz dargeboten; der Arbeitskittel der Malerin signalisiert deutlich ihr Metier. Die Studierenden konnten diese Elemente ohne Weiteres ausmachen, doch sie kamen dadurch nicht zu Äußerungen über die Figur, um die herum sie versammelt waren. Als ich beispielsweise auf Fragen von Macht und Repräsentation drängte, kam keine Stellungnahme zum Geschlecht der Künstlerin, geschweige denn zu der Frage, was dieses für den vorrevolutionären Zeitpunkt bedeutet haben könnte, in dem sich die Karriere von Vigée-Lebrun entwickelte. Nicht dass die Studierenden über dieses Thema nicht informiert gewesen wären. Eben noch hatte ich biografisches Material zu der Künstlerin präsentiert, das ihren Erfolg als Porträtistin von Marie Antoinette und ihre spätere Anerkennung durch verschiedene europäische Akademien ausführlich beschrieb. Und ich wies darüber hinaus auch auf das unvollendete Bild in dem Selbstporträt hin, das halbgezeichnete Bild der dem Untergang geweihten Regentin, das im Dunkel des Hintergrunds deutlich sichtbar ist. Kurz gesagt: Das Bild verweist ungeniert auf die aristokratische Auftraggeberin der Künstlerin, während es damit gleichzeitig die Autorität der Künstlerin bekräftigt.

Für feministische Kunsthistoriker/innen hat das Beispiel von Vigée-Lebrun viele Schwierigkeiten mit sich gebracht. Sie ist keine unumstrittene Figur. Was mich deshalb nachdenklich machte, war, dass ihr Geschlecht eine Selbstverständlichkeit geworden war – sicher nicht mehr oder weniger wichtig als das ihrer berühmteren männlichen Pendants. Ihre Position als eine in soziale Beziehungen eingebettete Figur wurde einfach zur Kenntnis genommen, sie blieb gänzlich unkontrovers. Das kunsthistorische Interesse an einer Frau, die ihr Selbst präsentiert, und dies in einem privilegierten Dienstverhältnis zu einer höchst mächtigen weiblichen Herrscherpersönlichkeit dieser Zeit, all das schien nicht von Belang zu sein. Vielleicht war es einfach Großzügigkeit aufseiten der Studierenden, dass Vigée-Lebruns Geschlecht kein Thema war: Ich konnte nur vermuten, dass sie wohl überzeugt waren, dass eine Frau jedes Recht haben sollte, eine erfolgreiche Künstlerin zu werden, ungeachtet ihrer Beschäftigung oder ihres Geschlechts. Es könnte aber auch sein, dass das allgemeine Schweigen zu diesem Thema auf kollektiver Naivität (nicht notwendigerweise Ignoranz) beruht – als wäre das Thema für die heutige Zeit nicht mehr und nicht weniger relevant als die Hervorhebung von Dürers Männlichkeit in entsprechender Hinsicht.

Meine zweite Anekdote zur Situation von Gender und der kunsthistorischen Ausbildung entspringt einem völlig anderen Zusammenhang. Sie betrifft eine Begegnung, die ich kürzlich mit einer früheren Studentin hatte, die vor einigen Jahren ihr Studium abgeschlossen hat. Diese dynamische und talentierte junge Frau hat weitreichende Erfahrungen sowohl in der Kunstwelt als auch in den aktivistischen Communities von San Francisco, in denen sie sich eifrig für queere, vor allem farbige Jugendliche einsetzt. Die Verbindung zwischen ihrem politischen und intellektuellen Engagement hat mich immer beeindruckt, und so unterstütze ich voll und ganz ihren Wunsch, einen höheren Abschluss in Kunstgeschichte anzustreben. In unserem Gespräch diskutierten wir Programme und Wissenschaftler/innen, mit denen sie möglicherweise arbeiten könnte; wir besprachen deren Methoden und Forschungsvorhaben und die institutionellen Rahmenbedingungen für den eigentlichen Bewerbungsprozess.

Ich hatte dieses Gespräch wirklich sehr genossen, und so fiel mir erst später auf, dass in so gut wie keiner ihrer Antworten Gender Studies oder feministische Forschung als solche eine Rolle gespielt hatten. Ich gebe zu, dass dies eine seltsame, vielleicht auch widersinnige Feststellung ist angesichts der häufigen Rekurse der Studentin auf queere Politik und auf die Fortschritte queerer Theorie im akademischen Feld (insbesondere in der Kunstgeschichte). Als ich aber noch einmal über unser Gespräch nachdachte – und besonders über meinen Rat, nach Betreuern und Betreuerinnen zu suchen, die ihren Anliegem mit Sympathie gegenüberstehen –, war ich überrascht, wie wenig Gewicht diese Ratschläge bei ihr hatten. Es war, als hätte Queer Theory die historiografischen Erfordernisse der Gender Studies (wie auch des Feminismus) weit hinter sich gelassen, weil sie viel radikaler und zeitgemäßer ist. Das soll nicht heißen, dass die Studentin nicht darüber nachgedacht hatte, wie die Analyse von Gender der Queer Theory vorangegangen war. Natürlich hatte sie das. Denn was könnte in seinen Definitionen sozial „relationaler“ sein als der Begriff Gender mit seiner entschiedenen Zurückweisung biologischer Determinismen? Und umgekehrt, welche Lektion ist grundlegender für queere Theorie? Vielleicht war die Kategorie Gender selbst etwas, was die Studentin in ihre jüngeren Haltungen zu Queerness übernommen hatte, und die deswegen (auf eine ganz und gar paradoxe Weise) für ihre Untersuchungen von weniger Belang war und zu etwas wurde, das keiner ausführlichen Auseinandersetzung bedurfte.

An dieser Stelle muss ich einräumen, dass alle bisher gemachten Bemerkungen deutlich einen Unterschied zwischen den Generationen offenbaren. Wenn ich im Laufe der Jahre mit Feministinnen der zweiten Welle die Herausbildung der Queer Theory diskutierte – mit Frauen, die den institutionellen Sexismus bekämpft und das selbstverständliche Patriarchat kritisch analysiert hatten –, so erklang eine vorsichtig geäußerte Sorge über die Annahmen, die eine jüngere Generation in Hinsicht auf Genderpolitik oder gar Sexismus erkennen ließ. Gerade in dieser Hinsicht macht das verrufene Konzept des „Postfeminismus“ aufgrund seiner zweideutigen und geteilten Verbindungen zu sowohl reaktionärer als auch progressiver Politik – sei es in der Universität oder woanders – auf verstörende Weise Sinn. Als heimtückische Hinterlassenschaft aus den Kulturkämpfen von vor 20 Jahren suggeriert der Begriff „Postfeminismus“, dass der Feminismus sich erledigt hätte, als wären die Forderungen der Frauenbewegungen alle erfüllt und auch kulturell gründlich verinnerlicht worden. Er erweckt auch den Eindruck, die Kategorie oder Frage nach der „Frau“ habe als Gegenstand historischer und soziologischer Analysen nicht länger dieselbe wissenschaftliche Dringlichkeit. Gender wird da in einem Schwung mit entsorgt, und zwar nicht so sehr, weil die positivistischen oder essenzialistischen Annahmen über Geschlecht und Sexualität, gegen die der Begriff gemeint war, zurückgekehrt wären, sondern weil die Politiken, die ihm entgegenstanden, anscheinend ausgelöscht wurden.

Das alles führt mich dazu, eine unverblümte, wenn nicht vielleicht geschmacklose Frage zu stellen: Leben wir in einem „Post-Gender“-Moment, in Reaktion auf das Ausmaß, in dem „post-feminism“ als Stand der Dinge, als historische Selbstverständlichkeit oder Unausweichlichkeit beinahe naturalisiert wurde? Vor über 20 Jahren veröffentlichte Joan Wallach Scott ihren wichtigen Band „Gender and the Politics of History“ (1988), in dem sie Gender „eine nützliche Kategorie historischer Analyse“ nannte. Auf eine Weise, die sich auf unsere gegenwärtigen Auseinandersetzungen immer noch auswirkt, hat sie auch auf den flüchtigen Charakter des Begriffs hingewiesen, wie er seinen notwendigerweise relationalen Dimensionen entspricht. Der erste Satz in einem der zentralsten Aufsätze des Buchs redet einer solchen wachsamen Haltung das Wort. Wir täten gut daran, heute ihre Ratschläge zu beherzigen. „Wer die Bedeutung von Wörtern festschreiben möchte, steht auf verlorenem Posten“, schreibt sie. „Denn Wörter haben, wie die Ideen und Dinge, die sie bezeichnen, eine Geschichte …“

(Übersetzung: Bert Rebhandl)

Anmerkung

[1]Joan Wallach Scott, “Gender: A Useful Category of Historical Analysis”, in: Gender and the Politics of History, New York: Columbia University Press, 1988, pp. 28, 41.