www.troublingresearch.net, Screenshot / screen shot
„Troubling Research. Performing Knowledge in the Arts“ wird im Rahmen des Art(s)-and-Sciences-Programms gefördert, das der Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds (WWTF) in den vergangenen Jahren zweimal ausgeschrieben hat. Das Forschungsprojekt konfrontiert die individuellen, oft disparaten Praktiken und Perspektiven unterschiedlicher Künstler/innen und Theoretiker/innen miteinander, um die spezifischen Probleme zu analysieren, die das Aufeinandertreffen jeweils paradigmatischer Annahmen und Verfahren erzeugt. Selbstreflexivität, wesentliches Moment gegenwärtiger künstlerischer als auch wissenschaftlicher Arbeit, wird in „Troubling Research“ mit dem Anspruch verbunden, jenen institutionalisierten Modellen künstlerischer Forschung kritisch zu begegnen, wie sie in den letzten 15 bis 20 Jahren im Kontext der britischen, aber auch kontinentaleuropäischen Bildungslandschaft entstanden sind. Grundsätzlich besteht die Herausforderung des Projektes darin, die Aufmerksamkeit von der Beschreibung (und damit möglich erscheinenden Lösung) eines Problems auf den Prozess der Problematisierung selbst zu lenken. Dies geschieht zunächst auf der Basis einer historischen Untersuchung von Konzepten wie „Forschung“, „Wissenschaft“ und „Wissensproduktion“ im Kontext moderner, postmoderner und postkonzeptueller Kunstpraxis. Tom Holert untersucht in diesem Sinne die Genealogie des Konzepts Forschung in der Kunst der Nachkriegszeit, mit einem Schwerpunkt auf den 1960er und 1970er Jahren und dem Ziel einer historiografischen Verkomplizierung der aktuell eher ahistorisch geführten Diskurse zur Etablierung von künstlerischer Forschung. Diedrich Diederichsen lenkt seine Aufmerksamkeit auf das von Search & Destroy in ReSearch umbenannte Punkfanzine und in diesem Zusammenhang auf die Frage, wie sich Dissens zwischen verschiedenen Werken und ästhetischen Strategien darstellt und organisiert. Der Forschungsbeitrag von Carola Dertnig konzentriert sich auf die spezifische Art des künstlerischen Erforschens von Performativität im Zusammenhang mit dem Judson Dance Theatre in New York zwischen 1962 und 1964. Im Herbst 2010 fand ein Symposion sowie ein Workshop mit der amerikanischen Choreografin Simone Forti und Studenten/Studentinnen der Akademie der bildenden Künste in Wien statt. Die Künstler/innengruppe gangart, bestehend aus Simonetta Ferfoglia und Heinrich Pichler, haben die italienische Antipsychiatriebewegung der 1970er Jahre, und im Speziellen die Arbeit des Künstlers Ugo Guarino, zum Ausgangspunkt gewählt, um deren institutionskritische und partizipatorische Ansätze zu überprüfen und mit gegenwärtigen Tendenzen in Beziehung zu setzen. Die Beschäftigung mit den Performances von Gina Pane steht bei Stefanie Seibolds Arbeit im Vordergrund, dabei untersucht sie vor allem die Bedeutung und Zugänglichkeit von (Bild-)Archiven, die Deutung ihrer Inhalte und die Bedeutungsproduktion durch Auswahl, Display und re-staging. Johannes Porsch transponiert das diskursive Feld der auf der Erzählung „Der entwendete Brief“ von Edgar Allan Poe beruhenden Texte von Jacques Lacan über Jacques Derrida bis zu Barbara Johnston in ein Modell für die Erarbeitung performativer Strategien. Der Beitrag von Axel Stockburger fokussiert auf die Produktion von spezifischem „Wissen“ in popkulturellen Fangemeinschaften, wie sie sich derzeit in China im kulturellen Umfeld von Cosplay , Anime und Computerspielen darstellt. Die Forschungsaktivitäten der einzelnen Projektpartner/innen werden wiederum zum Gegenstand für Johanna Schaffers Untersuchung. Anhand von selbst durchgeführten Interviews geht sie der Frage nach, was Begriff und Konzept der künstlerischen Forschung den einzelnen Beteiligten ermöglichen, und ebenso, was dadurch verstellt und verunmöglicht wird. Eine Fluchtlinie, die sich aus dieser Konstellation unterschiedlicher Erkenntnisinteressen und Produktionsweisen ergibt, verweist auf die Transformationen und Kontingenzen der Selbstreflexion forschender Künstler/innen und Theoretiker/innen. Hier geht es vor allem darum, anhand unterschiedlicher Beispiele ein präziseres, auch historisch informiertes Verständnis über die vielfältigen Beziehungen zwischen künstlerischen, theoretischen, analytischen und wissenschaftlichen Praktiken in kapitalistisch geprägten Wissensökonomien zu gewinnen. Ein weiteres wesentliches Moment im Zentrum der Diskussion ist die Frage nach der Bedeutung des Performativen in Bezug auf die Produktion, Repräsentation und Dissemination von Wissensinhalten in der Arbeit von Künstlern/Künstlerinnen. Den spezifischen Charakteristika und den damit verbundenen Singularitäten eines verkörperten Wissens, also eines Wissens, das aus körperlich vollzogenen Prozessen hervorgeht, wird innerhalb des „Troubling Research“-Projektes eine wesentliche Rolle zugeschrieben. Diese Auseinandersetzung findet vor dem Hintergrund globaler politischer und ökonomischer Formatierungstendenzen statt, die „Wissen“ im Sinne eines kognitiven Kapitalismus zunehmend als Produkt wahrnehmen und verhandeln. Das erleichtert erheblich Prozesse der Standardisierung und Evaluierung. Simon Sheikh bringt die Problematik auf den Punkt, wenn er darauf hinweist, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der scheinbaren Flucht aus dem Kunstmarkt via Entmaterialisierung des Kunstobjektes und dem Wiedereintritt der Kunst in die Wissensökonomie in Form institutionell eingeschriebener und damit valorisierbarer Formen künstlerischer Forschung gibt. Mit der jüngsten Einrichtung neuer Förderungstöpfe für künstlerische Forschung in Österreich , welche an die durch den Bologna-Prozess wesentlich beförderten Transformationen der Bildungslandschaft anschließt, und im Speziellen der Förderung von „Troubling Research“ in diesem Rahmen wird das Verhältnis zwischen Kunst und Forschung unter dem Vorzeichen institutionalisierter ökonomischer Verwertbarkeit zu einer wesentlichen Fragestellung. „Beunruhigung“ bedeutet in unserem Zusammenhang auch, zunächst die jeweiligen Praktiken und deren Bedingtheiten aus der Ruhe zu bringen, um sie derart in Bewegung zueinander zu versetzen, dass genau jene feinen Bruchlinien zum Vorschein kommen können, die von den Institutionalisierungstendenzen im Nexus Kunst und Forschung schrittweise verdeckt und somit scheinbar aufgelöst werden. Dies betrifft vor allem die Frage nach der erstens: Unterscheidung und zweitens: Bewertung und Verwendung wissenschaftlicher und künstlerischer Methoden – und damit das Selbstverständnis der Akteure/Akteurinnen in Bezug auf Disziplinen und Disziplinierung. Auf diese Weise könnte jener Proliferation von disziplinären Zuschreibungen entgangen werden, die Sarat Maharaj als „Methodenfieber“ bezeichnete. Ein „Aus-der-Ruhe-Bringen“ des Forschens (in Wissenschaft und Kunst) heißt auch, Rancières Vorstellung von „Indisciplinarity“ in dem Sinne produktiv zu machen, dass die Zuteilungspraktiken und Episteme tatsächlich performativ in Szene gesetzt werden und damit in die Nähe jenes körperlichen und kritisch-analytischen Wissens gerückt werden können, das im Zentrum der künstlerischen, theoretischen, analytischen, kritischen Praxis (ent-)steht. Die Ergebnisse dieses Prozesses können auf dem TR Blog nachvollzogen werden und münden in einer für November 2011 anberaumten Ausstellung an der Akademie der bildenden Künste Wien sowie einer Publikation.
CAROLA DERTNIG / DIEDRICH DIEDERICHSEN / TOM HOLERT / HEINRICH PICHLER & SIMONETTA FERFOGLIA (GANGART), / JOHANNES PORSCH / STEFANIE SEIBOLD / AXEL STOCKBURGER
Anmerkungen