Mitteilungen an die Presse und für die Öffentlichkeit Manfred Hermes über Merlin Carpenter bei MD72, Berlin
Eine Performance am 13. Februar 2011: Am Rande des Tiergartens, zwischen Zoologischem Garten und Landwehrkanal, war ein kleines Segment des Berliner Kunstpublikums am Rosa-Luxemburg-Denkmal zusammengekommen. Warmer Tee und Shortbread standen bereit, aus einem CD-Spieler drang David Bowies „Heroes“, und es war, als habe Merlin Carpenter die fahle, spätwinterliche Dämmerung höchstpersönlich dazugeladen. Während ein Assistent einen Luxemburg-Text verlas, lief der Künstler herum und fotografierte die Menge, die an diesem Ort erstaunlich grau wirkte, nämlich wie eine radikale Gruppierung der Partei „Die Linke“, die sich zu einem obskuren Gedenktag der durch Freikorps ermordeten Kommunistin versammelt hat.
Einige Tage vor dieser Veranstaltung hatte der Projektraum MD 72 eine Mischung aus Katalog und Einladungskarte verschickt, in Form eines Kartenspiels. Auf dessen Blättern waren 14 bemalte Leinwände abgebildet, so viele, wie es Spielfarben gibt. Im Vordergrund bildfüllend jeweils eine zeitgenössische oder historische Celebrity, ausgeführt in einem im 19. Jahrhundert verbreiteten Karikaturtyp mit nach unten verjüngtem Körper und übergroßem Kopf (Daumier; sie ähnelten vor allem aber Kippenbergers späten Selbstporträts); jedes dieser Motive war zudem in vier Teile auf die jeweiligen Kartenfarben zerschnitten. Durch die Bildsujets wurden leichte oder schwere, insgesamt ziemlich synkretistische Referenzen aufgebracht. Es zeigte sich hier eine spezielle britische Sicherheit im Umgang mit popkulturellen Signifikationen und wohl auch eine gewisse Verhangenheit mit dem Glanz von Berühmtheit und Konsumkultur. [1] Und während J. G. Ballard, George Sand, Giorgio de Chirico, Stefano Pilati, Kate Moss, Auguste Blanqui (oder Luxemburg, in einem deutschen Kontext) noch einigermaßen selbsterklärend waren, standen Boadicea und ein Toby Jug für eine bestimmte britische Mythen- und Komiktradition, die in Deutschland praktisch unbekannt ist. David Bowie, in diesem Spiel der Joker, spendierte die Anführungszeichen um „Heroes“ herum.
Der hier eingenommene malerische Standpunkt war leicht zu entziffern. Das Auseinanderfallen von Vorder- und Hintergrund, die krakelig ausgeführten Linien, Flächen, Balken, Schnörkel, Muster und Logos waren nach Polke-/Kippenberger’schen Vorstellungen von unernster Abstraktion modelliert, bei ähnlich effektvoller Farbpalette. Leicht wiedererkennbar war das für Carpenter auch sonst recht typische Prinzip, Gesten auf, neben und über andere Gesten zu stellen. Diese Stapelung wurde an jenem späten Sonntag auf der Ebene der weiteren Ereignisse durchgehalten, da mit der Versammlung um das Luxemburg-Denkmal das Spiel noch nicht zu Ende war. Die Zuschauer/innen mussten sich ein weiteres Mal in Bewegung setzen, diesmal nach Kreuzberg zum Mehringdamm. Die durchwachsene Stimmung blieb auch dort erhalten: Man stand vor verschlossenen Türen, der Zutritt zu den Ausstellungsräumen wurde verwehrt, und das ziemlich despotisch, wie man sagen muss. Als Ordnungskräfte verkleidete Statisten wirkten jedenfalls autoritär genug, die Anwesenden von jeder Initiative und dummen Fragen abzuhalten. Immerhin hätte, wer bereit war, 5000 Euro zu zahlen, die drei Räume betreten dürfen (es gab einen Geldkartenleser, der Eintrittspreis konnte mit einem Ankauf verrechnet werden). Nach der ersten Irritation, und da niemand diese Ausgabe aufbringen wollte, nahm das derart auf sich selbst zurückgeworfene Publikum mit dem Flur und der Küchenbar vorlieb, und so verlief sich das Ganze dann doch wieder in einem gemütlich und wohlwollend genossenen Trott.
Letztlich blieb es also offen, ob es die vorab per Kartenspiel veröffentlichten Bilder tatsächlich zu sehen gegeben hätte. Waren die Türen überhaupt verriegelt, oder war es wie in Kafkas „Vor dem Gesetz“, man hätte nur hindurchgehen müssen? Diese Unsicherheit hätten der Galerist und natürlich der Künstler selbst ausräumen können, wodurch Letzterer die Rolle dessen besetzte, dem Wissen unterstellt werden soll oder der sich dieses anmaßt. Wie auch immer, es war Carpenters Absicht, hiermit ein großes Feld abzustecken. Das schloss die Kontrolle über mehrere Orte und eine große Zeitspanne ein, ging im Übrigen möglicherweise so weit, auch das Darüber-Schreiben zu einem Teil des Arrangements der Gesten zu machen (Ich wurde um einen Pressetext gebeten – es ist dieser hier). Auch dem Publikum war eine klar umrissene Rolle zugedacht. Es wurde nicht nur weiträumig choreografiert, sondern es sollte enttäuscht, vielleicht sogar verärgert werden. Wie gesagt, blieb der Kreis sehr übersichtlich, einerseits bereit, sich einen Sonntagnachmittag um die Ohren zu schlagen, andererseits ohne Neigung, derart zum Objekt eines polizeilichen Mandats oder von Carpenters Schlauheit zu werden. Man war aber doch kenntnisreich und aufnahmefähig genug, um jedes Ideologem einer gegebenen Inszenierung zu zerlegen, zu bewerten und mit den früheren Artikulationen des Künstlers abzugleichen. In diesem Punkt standen die einzurennenden Türen so weit offen, wie die der Ausstellungsräume verschlossen blieben. Schnell wurden also Urteile gefällt („Tja, der Merlin …“), Verweise und Ähnlichkeiten aufgebracht, und die Namen bekannter Spezialisten räumlicher Beengung machten die Runde (Richard Serra, Bruce Nauman, Gregor Schneider). Einige fanden das Ganze creepy. Wenige Tage später schrieb Isabelle Graw auf Facebook: „No aesthetic experience is provided at Merlin Carpenters show at MD 72. Unless you pay 5000 Euro you won’t see the paint-ings […] Everybody seemed really annoyed.“
Diese Unlustäußerungen hat es wirklich gegeben. Sie waren allerdings nicht die Wirkung der Provokation verweigerter ästhetischer Genüsse, sondern eine Reaktion auf Diskrepanzen, Überdehnungen und eine Leere. War es bereits befremdlich, in dieser Weise bzw. in Berlin an Rosa Luxemburg als einen popkulturellen Bedeutungsträger verwiesen zu werden, so war die Unterstellung, Malerei sei die allseits ersehnte ästhetische Erfahrung, auch nicht akzeptabel. Denn als fehlend wurden ja nicht bemalte Leinwände empfunden, sondern die Klarheit ihrer Stellung innerhalb dieser schroffen Präsentation. Hier sprachen die von Carpenter vorgelegten Tatsachen allerdings für sich. Als eisern dem Augenschein Entzogenes und ironisch im Wert Gemindertes blieb die Malerei als das Generische dieser Produktion, als der zentrale Gegenstand von Carpenters Denken deutlich genug erkennbar. Aus ihrer Irrelevanz und Wirkungslosigkeit hat er einen weiteren Funken zu schlagen versucht, einschließlich der Drohung, die Mechanismen der Kunstvermittlung bis in ihre ökonomischen Verstrickungen hinein mitzuerklären.
Aber schließlich sollte es auch um Spiele gehen. Dann hätte allerdings der gleichberechtigte Zugang zu gegebenen Regeln auch zu einem offenen Ausgang führen müssen. Das war hier nicht der Fall. Vielmehr wurde dem Publikum die Hinnahme fragwürdiger Voraussetzungen abverlangt. Carpenter hat in „Heroes“ eine Hin- und Hergerissenheit zwischen Treue zu einer etablierten Praxis und deren Unmöglichkeit inszeniert, und zwar im Modus äußerster Gewissheit und als Allmachtsfantasie; es blieb den distanzierenden Anführungszeichen überlassen, diese Zwiespälte und Diskrepanzen aufzufüllen. [2] In das derart verschachtelte Grand Game eines strengen Überwachers hineingezogen zu werden, war dann wohl das, was als unangenehm empfunden wurde. Man fragte sich außerdem, wofür die institutionskritischen Gesten ein Modell sein sollen, obwohl sie über den Rand des Kunstsystems und dessen Immanenzen nie hinausgreifen.
Heißt das, dass der Künstler wieder zum tragisch in seinen Intentionen und Imperativen verfangener hero werden sollte, der, mit oder ohne Anführungszeichen, unter seinem Eigennamen Ansprüche auf Totalität und Allgemeinheit beglaubigen darf? Wenn das bedeuten würde, die eigene Produktion an den Rand der Lächerlichkeit und Haltlosigkeit oder in ein wirkliches Spiel führen zu müssen, wäre das vielleicht keine schlechte Option. Diese Alternative ist weniger anziehend: Teil einer Kulturproduktion zu sein, die nur mitteilen kann, was ohnehin jeder weiß.
Merlin Carpenter, „Heroes“, MD72, Berlin, 13. Februar 2011 bis 26. März 2011.
Anmerkungen
[1] | Ein Beiblatt versammelte lyrische Statements zu jeder der Figuren, bezeichnenderweise in der ersten Person Singular. Boadicea wurde Folgendes in den Mund gelegt: „Who is the woad-wearing warrioress woman wearing woad? All woads lead to British Identity. I sired Blobby and Bean, they are my team. Merlin Carpenter is my son, for I am Britain, what you looking at, d’you want some?“ – Zum Thema Ich-Funktion: Carpenter hat in „Heroes“ autobiografische Markierungen gesetzt, zum einen durch die Referenz zu Kippenberger, zum anderen durch den Verweis, dass sein Vater in der Spielwarenbranche tätig war. |
[2] | In diesem Punkt und einigen weiteren gibt es Ähnlichkeiten mit René Polleschs Theater. Auch seine Kunst des Anführungszeichens akzeptiert vorgefundenes Satz-, Theorem- und Gedankenmaterial als einzig spielfähiges. Als eine Art Boulevardkomödie aufgeführt, soll die Sinnlosigkeit oder das Obsolete des Theaterapparats (oder seiner Formen Stadt- und Regietheater) demonstriert werden. Daneben schlägt Pollesch gewohnheitsmäßig auf Subjektvorstellungen ein, die allerdings zum Bereich Selbstidentität gehören. Entsprechende Figurenreden lösen beim studentischen Teil des Publikums unvermeidliche Auflacher aus. |