The Hard Way to Enlightenment Statement von Stephan Dillemuth
Als ein Künstlerstatement in Sachen Research möchte ich vor allem auf meinen Film „The Hard Way to Enlightenment“ verweisen, der die Möglichkeiten künstlerischer Forschung in Hinblick auf eine gegenwärtige Verschiebung des Öffentlichkeitsbegriffs untersucht. Ich glaube, dass diese Verschiebung – speziell durch Einflüsse einer totalitären Weltwirtschaft – eine andere Funktion von Kunst, eine andere Rolle des Künstlers und – das ist wichtig – eine andere Qualität von Bildung und Forschung mit sich bringt. Welche Rolle spielen Künstler/innen, Studenten und Studentinnen, Lehrer/innen und Forscher/innen bei diesen Entwicklungen? Ist zeitgenössische Kunstproduktion den aktuellen Veränderungen passiv ausgeliefert, oder versteht sie sich demgegenüber als eine Art epistemologisches Werkzeug?
Kontrolle
Einmal abgesehen von der saisonalen Ausrichtung der Kunstmoden ist Forschung in den institutionellen Feldern vor allem ein Mittel zur Herstellung und Kontrolle von Wissensprodukten geworden. In wirtschaftlich prekären Zeiten wie diesen stehen Fördergelder nur zur Verfügung, wenn die Vorhaben als Forschungsprojekt deklariert werden. Das schafft u.a. eine spezifische Antragssprache, einen Jargon von Versprechungen und Absichtserklärungen, die verwertbares Wissen, das heißt Profite in Aussicht stellen. Bereits hier beginnt eine Auslese, in der ökonomische Verwertbarkeit und Absehbarkeit der Forschungsergebnisse priorisiert werden – was im Widerspruch zu einer originär offenen Ausrichtung von Forschung steht. Weiterhin, verstärkt durch die Einführung des Bologna-Prozesses, wird Forschung im universitären Rahmen zur Pflichtübung in einem curricularen Masterplan. Die Erfüllung dieser Vorgaben erfordert zunehmend mehr Evaluierungsprozesse, Creditpoints, Zertifizierungen, Rankings. Kontroll- und Evaluierungsmaßnahmen begleiten den Verlauf der Forschungsprojekte bis hin zur Einspeisung in konkrete Verwertungszusammenhänge: Copyright, Patentrecht, geschlossene Systeme, Firmengeheimnisse. Wenn also institutionelle Forschung zum Instrument von Rationalisierung, Gewinnoptimierung und Controlling wird, dann wird das Forschungsergebnis eine vorhersagbare Affirmation der herrschenden Ideologie, der Marktwirtschaft sein. Forschung in einer solchen Umgebung kann nur deprimierend sein – vorbei ist es mit „der fröhlichen Wissenschaft“.
Möglichkeiten
Auf der anderen Seite hätte Forschung viel widerständiges Potenzial zu bieten: Forschung ist neugierig und ergebnisoffen, sie ist eine Expedition in ein noch unbekanntes Terrain, mit unbekanntem Ausgang. Strategien und Methoden sind häufig improvisiert, oft werden sie von einem Moment auf den anderen bestimmt. Forschung ist undurchsichtig und unberechenbar, obwohl sich manche das anders wünschen. Forschung lässt sich daher nicht einengen, im Gegenteil, Beschränkungen sind für sie eine Herausforderung. Gute Forschung reflektiert sich selbst und richtet sich demnach auch gegen ihre Rahmenbedingungen. Deshalb muss die Erforschung der Kontrollmechanismen, der übergestülpten Glaubenssysteme und Ideologien ein Teil der Forschung selbst sein. Forschung kann sich daher auch Methoden des Widerstands bedienen: Streik, Obstruktion und Protest, um nur wenige zu nennen, sind offene Experimente, die zu neuen und überraschenden Ergebnissen führen können. Universitäten Die ehemaligen ,Wissensfabriken‘ der 1970er Jahre wandeln sich in der ,New Economy‘ zu Kapitalgesellschaften. Sie sind eng mit Unternehmensberatern (z. B. McKinsey, Roland Berger, Ernst & Young) und deren Strategien (Business Re-engineering, Franchising, Branding, Merging und Outsourcing) verflochten und verstehen sich gerne als Wissenskonzerne, die ihre Claims weltweit abstecken. Ähnliches vollzog sich in den letzten Jahren in anderen Bereichen: Über die Köpfe demokratisch gewählter Regierungen und ihrer Rechtssysteme hinweg wurden Abkommen getroffen und Organisationen installiert (wto, gatt und kürzlich gats), die es supranationalen Konzernen erlauben, ehemals geschützte Märkte und öffentliche Dienstleistungen zu besetzen. Insofern ist die Übernahme der Universitäten fatal, denn nun hat sich der neue ,Geist des Kapitalismus‘ in den zentralen Ort gesellschaftlicher, intellektueller Reproduktion eingeschrieben, auf dass er sich im Denken, Forschen und Handeln kommender Generationen weiterverbreiten kann.
Wissensökonomie
Anders als andere Ressourcen, die verbraucht werden, wenn man sie benutzt, ist es mit dem Wissen gerade umgekehrt. Je mehr man davon benutzt, desto mehr produziert man diesen Stoff. Seine Verbreitung steigert seine Fruchtbarkeit. Wissen ist demnach keine gewöhnliche Ware: Die Zuweisung eines Geldwertes, Privatisierung und Kommerzialisierung sind für Wissen unsinnig und widersprechen seinem inneren Kern. Doch angeblich ist Wissen das Öl des 21. Jahrhunderts. Nach kapitalistischer Logik muss Zugang zu Wissen begrenzt und eingeschränkt werden, um davon profitieren zu können. Der Griff nach den Universitäten, Patentierung, auch von Lebewesen, die Erweiterung des Copyrights auf alle Felder der Wissensproduktion sind Privatisierungsstrategien, um Profit aus Verknappung und Zugangskontrolle zu schlagen. Dies geht Hand in Hand mit der Kontrolle aller menschlichen Kommunikationskanäle, Internet, tv, Telefon, öffentlicher Raum.
Konflikte
Während sich Konflikte um offene und geschlossene Systeme durch Ressourcenknappheit und Privatisierung verschärfen, werden wir weiterhin in den Ruinen des Patriarchats und des Neoliberalismus leben. Wir brauchen eine (auch künstlerische) Forschung, die zu einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel führt, dadurch, dass sie neues Denken, anderes Wissen schafft, teilt und offenhält. Forschung in Institutionen ist notwendig, um diese Institutionen zu verändern. Dem Diktat einer utilitaristischen Logik ausgesetzt und den Zyklen des Controllings unterworfen, gelingt institutioneller Forschung sonst nichts anderes, als vorhersehbare technoide Phantasien umzusetzen.
Bohemistische Forschung
Aus diesen Gründen wird ein anderer Typ von Forschung wichtiger, den ich analog zu Schüttpelz/Fohrmann bohemistische Forschung nennen will. Damit meine ich eine außerinstitutionelle Forschung und die freie Assoziation der Forschenden. Hier handelt es sich um eine Produktion von Wissen im Austausch mit anderen, die ähnliche Probleme, aber unterschiedliche Qualitäten mitbringen. Diese Forschung entspringt existenziellen Notwendigkeiten. Sie erforscht die Probleme des Alltags, Probleme, welche die Forschenden wirklich betreffen. Das ist eine Forschung im Selbstauftrag, eine Forschung im Leben, am Leben und durch das Leben. Diese Forschung ist selbstorganisiert. Sie ist nicht Selbsthilfe, denn die ist zugewiesen, sie ist nicht Selbstunternehmertum, Selfentrepeneurship, Ich- oder Wir-ag, denn das sind Karrieremodelle und neue Formen des Kommunitarismus (Red-Tories oder wie sie alle heißen mögen), die so eine Art ,Kapitalismus von unten‘ vorschlagen. Bei aller Nähe zu einer neuen Form des Kapitalismus, die genau das will, das außerinstitutionelle Restleben für sich produktiv und profitabel zu machen, sehe ich in der selbstorganisierten bohemistischen Forschung eine nicht zu unterschätzende Chance in der Art und Weise, wie sich Ort und Forscher konstituieren, und in der Qualität des Wissens, das dort erzeugt wird. Hier, in den Labyrinthen und Schlünden der Boheme, finden sich die letzten ,geschützten‘ Orte (oder Parallelgesellschaften?) als Kristallisationspunkte für Kritik, Dissidenz und eine relativ unkontrollierte Produktion von Wissen außerhalb allgemeiner sozialer Kontrolle.
Wissensallmende
Doch wie unterscheidet sich dieses Wissen vom Wissen einer elitären, von Technik besessenen, selbsternannten ,Wissens-Gesellschaft‘ , die weltweit ihre Zugangscodes installiert, während Milliarden ausgeschlossener Lohnsklaven die Drecksarbeit für sie machen müssen? Durch eine Allmende des Wissens! Forschung muss Partei ergreifen, um ihre wichtigste Ressource – Wissen – zu schützen: Keine Patente, kein Copyright, kein Leistungsschutzrecht! Freier Zugang und die freie Verfügbarkeit über alle Wissensressourcen für alle: Bibliotheken, Internet, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Schulen, Universitäten – die Qualität der Ausbildung ist die Geselligkeit des Wissens. Wissen muss geteilt werden, um wachsen zu können. Und deswegen gibt es viel zu tun! Eine Öffnung der Forschung ist notwendiger denn je. Sie muss den Weg aus ihren sicheren Institutionen heraus auf die Straße finden. Bohemistische Forschung, das ist ein Kampf um die Freiheit und die Offenheit des Forschens, um die Offenhaltung und Commonalisierung des Wissens, und das ist im Endeffekt ein Kampf zur Überwindung des Kapitalismus. Das mag komisch klingen, ist aber so.
Links
Dank an André Gorz: Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie, Zürich 2004.