Fragwürdige Bilder Andrew Stefan Weiner über „The Image in Question: War-Media-Art" im Carpenter Center for the Visual Arts, Harvard University, Cambridge
In zahlreichen Retrospektiven zeigt sich gegenwärtig, welchen Aufschwung das Interesse am Werk von Harun Farocki in den letzten Jahren erlebt hat. Diese Anerkennung war lange überfällig, wenn man bedenkt, wie viel Farocki in seinem Œuvre schon vorweggenommen hat. Ein Film wie „Leben – BRD“ (1990) etwa hat neuere Debatten um einen performativen Kapitalismus zweifelsohne um Jahrzehnte vorweggenommen. Weniger häufig wird in diesem Zusammenhang bemerkt, dass Farockis Analysen von Bildern durch Bilder ihre gewöhnlich konzise Argumentation entschärfen, indem sie auf ihrer Immanenz und auf ihrem provisorischen Charakter beharren. Angesichts seines gestiegenen Prestiges in den Museen sowie seiner fortgesetzten kuratorischen Aktivitäten hätte man erwarten können, dass Farocki die für ihn bezeichnende Skepsis auch gegenüber seinen neuen institutionellen Förderern und gegenüber den kuratorischen Bedingungen selbst an den Tag legt. In der Ausstellung „The Image in Question: War – Media – Art“, die von Farocki und der Autorin, Kuratorin und Videokünstlerin Antje Ehmann verantwortet wurde, erfüllten sich solche Hoffnungen allerdings nur zum Teil. Farocki hat in eigenen Arbeiten wie der Serie „Auge/Maschine“ (2001–2003) das alltägliche Leben als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln begriffen. In der Ausstellung wurde nun die Durchdringung entstehender Bildformate mit etablierten Machtbeziehungen untersucht. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie Künstler/innen am besten die „gegenwärtigen Kriege“ repräsentieren könnten. [1]
Dem in diesem Konzept erst einmal zum Ausdruck kommenden Anspruch auf Aktualität wurde die Ausstellung allerdings nur zum Teil gerecht: Fast die Hälfte der versammelten Arbeiten waren schon vor 9/11 produziert worden. Werke wie Allan Sekulas „War without Bodies“ (1991/1996) deuteten auf eine Beziehung zwischen Militär und unterdrücktem Begehren hin, die näher zu Fantasien aus der Zeit des Kalten Krieges stehen als an den Formen einer immer wieder auch gewalttätigen Desublimierung, die in den Fotografien der missbrauchten Gefangenen in Abu Ghraib sichtbar wurde. Wesentlich problematischer war, dass sich die Ausstellung als Antwort auf einen gleichförmigen Zustand präsentierte, während doch die gegenwärtige Kriegsführung voller Asymmetrien und innerer Widersprüche ist. Man kann dabei an den militärischen Neoliberalismus der usa denken, der Söldnerunternehmer mit humanitärer Rhetorik feiert und gleichzeitig avancierte Technologie in den Dienst einer ursprünglichen Akkumulation von Ölreserven stellt. Der jüngste Fall der US-israelischen Stuxnet-Angriffe auf iranische Nuklearanlagen deutet außerdem an, wie die Entwicklung von Cyber-Sabotage in Zukunft dazu dienen kann, die anerkannten Schutzmechanismen nationaler Souveränität auszuhebeln. In diesem Zuge verschwimmen die Unterschiede zwischen Eindämmung, Präventivschlag und Krieg im eigentlichen Sinn. [2] Weil die Ausstellung zu viel zugleich in den Blick nehmen wollte und dabei zu wenig Konzept erkennen ließ, unterblieb eine konzertierte Untersuchung dieser Umstände und ihrer Ursachen. Diese Mängel wurden noch durch die Ausstellungsgestaltung verstärkt, eine konventionelle Anordnung isolierter Sichtungsorte, aus der sich relativ wenig im Hinblick auf weiterführende Verbindungen zwischen den Werken ergab. So gesehen, überzeugte „Image in Question“ in erster Linie dadurch, dass hier aufgezeigt wurde, wie intermediale Praktiken die Ambivalenzen des Bildes entlang seiner technischen Belastbarkeit fördern können, ganz so, wie Farocki dies auf kauzige Weise einmal formuliert hat: „Man zeigt ein Bild als Beweis für etwas, das sich nicht beweisen lässt.“ [3] Diese früher geäußerte Vorsicht geht der häufig besprochenen Verlagerung in Farockis neueren Arbeiten lange voraus. Schon seit einiger Zeit hat der Künstler und Filmemacher die agitatorischen Taktiken von Filmen wie „Nicht löschbares Feuer“ (1969) zugunsten einer Technik aufgegeben, die er „weiche Montage“ nennt. Bei diesem Verfahren konfrontiert er die Zuschauer mit Bildern auf mehreren Bildschirmen und lässt ihnen dabei mehr Freiheiten, die Beziehungen des Materials zueinander auszumachen. [4] Diese Neuorientierung stellt keineswegs eine Einschränkung dar, es wäre aber doch interessant, sie in Beziehung zu Farockis Wechsel in den Kunstraum zu stellen. Bisher hat er jedenfalls die Kunstinstitutionen nicht derselben eingehenden Untersuchung unterzogen wie früher seine Förderer im westdeutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Zeigt sich in dieser Abkehr von der Militanz eine Anpassung seines ethischen Standpunkts oder vielleicht ein Entgegenkommen an die Erwartungen und Gewohnheiten eines anderen Publikums? Die beiden ausgestellten Farocki-Installationen gaben unterschiedliche Antworten auf diese Frage. „Immersion“ (2009) zeigte die Verwendung von Virtual-Reality-Software bei der Behandlung traumatisierter amerikanischer Veteranen aus dem Irakkrieg. Durch eine unerwartete Wendung hob Farocki dort die Annahmen der Zuschauer über ihre eigene Beziehung zu den gezeigten Dingen auf. Die Arbeit beschreibt nicht nur eine Einebnung der Unterschiede zwischen Technologien der Kriegsführung, der Therapie und der Unterhaltung, darunter auch der neueren Medienkunst, sie agiert diese Einebnung selbst durch. Im Gegensatz dazu zielte „Watson is Down“ (2010) auf die Rekonstruktion eines ähnlichen Kreislaufs mit Bildmaterial aus einem Computerlabor, in dem us-Marines ausgebildet werden, erbrachte dabei aber nicht mehr als herkömmliche Dokumentation. Selbst ein Spielfilm wie Kathryn Bigelows „The Hurt Locker“ (2008) wirkt im Vergleich dazu kritisch. Einigermaßen unerwartet erwies sich die Arbeit mit der geringfügigsten ästhetischen Intervention als diejenige, die besonders effektiv mit der generativen Ambiguität des Bildes umging: Lamia Joreiges „Objects of War“ (2003–06) protokollierte die Auswirkungen des libanesischen Bürgerkrieges durch weitgehend ungeschnittene Interviews, in denen Teilnehmer einen für sie bedeutsamen, persönlichen Gegenstand aus dieser Zeit beschreiben sollten; die gewählten Objekte umfassen Fotografien und Teddybären, ein kaputtes Radio und die Folie von einer Zigarettenpackung. [5] Aus dem Kontrast zwischen diesen stummen, häufig banalen Besitztümern und der Bandbreite ihrer privaten Bedeutungen für die Befragten, die für sie deutlich als Ersatz für verlorene Angehörige oder fehlende Möglichkeiten fungierten, erwuchs letztendlich ein zutiefst entwaffnendes Pathos. Die unheimliche Präsenz dieser anderen, verlorenen Objekte (im psychoanalytischen Sinn des Begriffs) war umso berührender, als im damaligen Libanon sehr häufig Zivilisten entführt und ermordet und deren Körper immer wieder ohne ordentliches Begräbnis beseitigt wurden oder die – wenn man sie nicht verstümmelt auffand – ganz verschwunden blieben. [6] Als eine Teilnehmerin den von ihr gewählten Gegenstand als „Stellvertreter“ beschrieb, nur um sich dann sofort zu korrigieren: „kein Stellvertreter“, war zu spüren, welcher Trost von der einfachen Gegenwärtigkeit eines materialen Gegenstands ausgehen kann im Gegensatz zu den flatterhaften Ungewissheiten des Erinnerungsbildes.
Eine andere herausfordernde Arbeit, William E. Jones’ Film „Killed“ (2009), entwickelte eine abstraktere Analyse von Bildervermittlung aus den Tausenden von Negativen, die US-amerikanische Fotografen, darunter als die bekanntesten Dorothea Lange und Walker Evans, im Rahmen der Works Progress Administration aufgenommen haben, einem Teil von Roosevelts New Deal-Programm, das später durch seinen Direktor Roy Stryker beendet wurde. Wie in seinem zuvor entstandenen Film „Tearoom“ (2007), den Jones aus polizeilichen Überwachungsaufnahmen aus den 1960er Jahren von heimlichen homosexuellen Aktivitäten zusammenstellte, machte er sozialen Ausschluss auch hier zur materialen Bedingung seines Werks. Im Falle von Stryker befand Jones, dass dessen Entscheidungen über die Publikation der Fotos nicht einfach auf homophobe Zensur hinausliefen, sondern auf eine launenhafte, engstirnige Machtausübung, mit der Bürokraten mittlerer Ebene die sichtbaren Bedingungen des öffentlichen Lebens festzulegen versuchen. In dem Film zeigt Jones die originalen, gelochten Negative in einer schnellen, unzusammenhängenden Abfolge. Auf diese Weise wurde die materiale Fragilität der Fotografien mit den gewalttätigen Kräften kontrastiert, die auf sie einwirken – sogar noch in einem so offensichtlich harmlosen Werk wie einer freien Dokumentation. Trotz seiner Schärfe blieb die Verbindung von „Killed“ zum Thema der Ausstellung einigermaßen vage, insofern die Arbeit eine ausdrücklichere Perspektive auf gegenwärtige Bedingungen von Ausgrenzung vermissen ließ. Ein ähnliches Problem ergab sich bei Kota Ezawas „The History of Photographic Remix“ (2004–06), einer Diashow mit cartoonesken Versionen vorwiegend kanonischer Fotografien. Trotz einer Anspielung auf Colin Powells berüchtigte Präsentation vor den Vereinten Nationen im Jahr 2003 hatte diese Arbeit wenig über derzeitige Kriegsführung mitzuteilen, müsste sie sich dafür doch mehr an aktuellen Einschnitten orientieren, wie etwa Thomas Demand dies tut. Beide, Ezawa und Demand, reagieren auf die bildliche Übersättigung mit Formen der Deinformation und Remediatisierung. Aber Ezawas Vorgehen ist weniger auffällig arbeitsintensiv und stellt drängendere Fragen über öffentliche Prozesse wie Erinnern und Wiedererkennen. Denn wenn selbst niedrigauflösende Bilder ikonischer wirken als die „Originale“, auf die sie verweisen, wird deutlich, dass die Fotografie im eigentlichen Sinn vielleicht als die mächtigste Form der Abstraktion übrig bleibt, insofern sie ihrem Gegenstand sofort einen exemplarischen Status verleiht. Der kritische Zug von Ezawas Arbeit wurde durch ihre effekthascherischen, marktfreundlichen Elemente gemindert, etwa eine Tendenz, in seinem prägnanten, aber unveränderlichen Stil als eine Art von Markenidentität zu funktionieren. Andere Arbeiten ließen kommerziellen Druck auf noch symptomatischere Weise erkennen. Die Verwendung von Rotoskop-Animation in Wael Shawskys „Larvae Channel 2“ (2009) schien den Interviews mit palästinensischen Flüchtlingen nicht angemessen; es stellte sich eher das Gefühl ein, dass es sich nicht um einen Rückbezug auf „Waltz with Bashir“ (2008) handelte als vielmehr um ein seltsames Remake dieses israelischen Animationsfilms. Peggy Ahwesh schaffte es mit „She Puppet“, die unbeholfene Aneignung des Videogames „Tomb Raider“ zugleich angesagt und überholt aussehen zu lassen – eine Zwangsehe zwischen neuen Medien und feministischer Filmtheorie der 1970er Jahre. Andere Arbeiten gingen in die andere falsche Richtung und flirteten mit Neoklassizismen. Diese Tendenz wurde in Fazal Sheikhs „The Victor Weeps“ (1997) deutlich, die an den Hochglanzhumanitarismus des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado erinnerte, vor allem aber in Jean-Luc Godards „Je vous salue, Sarajevo“ (1993), in dem die Belagerung der Stadt als Anlass für ein Requiem in hohem Ton auf ein verlorenes Europa mit „Flaubert … Mozart … Vermeer“ diente.
Farockis und Ehmanns Ausstellung kann man diesen Eurozentrismus nicht vorwerfen, obwohl auch ihr Blickfeld auf vorhersehbare Weise beschränkt blieb. Bekannte künstlerische Positionen waren in der Überzahl; Arbeiten aus Lateinamerika, Afrika oder Südostasien wurden vernachlässigt. Nicht, dass ein breiterer Ansatz notwendigerweise aufklärerischer gewesen wäre, aber diese Fehlstellen waren den analytischen Ansprüchen der Schau abträglich. Auch noch nach Jahrzehnten der Klage über das Zeitalter des Spektakels beanspruchen Bilder immer noch weiter und auf unvorhersehbare Weise Aspekte unseres sozialen Lebens. Aber diese Veränderungen wirken sich natürlich ganz und gar nicht gleichmäßig aus, sondern werden durch alle möglichen Faktoren beeinflusst. „The Image in Question“ fehlte ein differenzierteres Modell zur Sichtbarmachung dieser Entwicklungen und konnte deshalb nur auf eine entscheidende Erwägung verweisen: Kann man angesichts der immer weiter wachsenden Verbreitung von Bildern in Formaten, Diskursen und Bevölkerungsgruppen noch von „dem Bild“ als einer singulären Einheit sprechen? Obwohl die Ausstellung hierauf selbst keine Antwort geben konnte, schaffte sie es dennoch, klarzumachen, dass die wirkungsvollsten Repliken auf solche Fragen nach dem Bild in Form weiterer Fragen und weiterer Bilder geäußert werden.
(Übersetzung: Bert Rebhandl)
„The Image in Question: War – Media – Art“, Carpenter Center for the Visual Arts, Harvard University, Cambridge, 21. Oktober bis 23. Dezember 2010.
Anmerkungen
[1] | Harun Farocki/Antje Ehmann, The Image in Question: War – Media – Art, Ausst.-Broschüre, Cambridge, MA: Harvard University, Carpenter Center for the Visual Arts, 2010. |
[2] | Vgl. William J. Broad/John Markoff/David E. Sanger, „Israeli Test on Worm Called Crucial in Iran Nuclear Delay“, in: The New York Times, 5. Januar 2011. Zugänglich online unter http://www.nytimes.com/2011/01/16/world/middleeast/16stuxnet.html. |
[3] | Diese Formulierung stammt aus dem Film „Etwas wird sichtbar“ (1982) und wird von Thomas Elsaesser in seinem Aufsatz „Harun Farocki: Film-maker, Artist, Media Theorist“ zitiert, in: Afterall, Nr. 11, Spring/Summer 2005. |
[4] | Zu einer Beschreibung dieser Technik siehe Harun Farocki, „Cross Influence/Soft Montage“, in: ders., Against What? Against Whom?, hg. von Antje Ehmann/Kodwo Eshun, London: Koenig Books, 2009, S. 69–74. |
[5] | Ein Dossier mit einer repräsentativen Auswahl aus dem Projekt findet sich im Art Journal, Summer 2007, S. 23–33. |
[6] | Für eine eingehendere Diskussion der Beziehung zwischen Joreiges Praktik und der Geschichte des Libanonkriegs siehe Kaelen Wilson-Goldie, „Contemporary Art Practice in Lebanon“, in: Out of Beirut, hg. von Suzanne Cotter, Oxford, UK: JRP-Ringier, 2007, S. 82–84. |