Eine Dosis Gefühl Micheal Sanchez über Michael Krebber in der Galerie Daniel Buchholz, Berlin
„Ich bemühe mich nicht um irgendeine Form von Teilnahmslosigkeit. Ich erröte wie alle anderen auch.“
—Jacques Rigaut
Was bedeutet es für einen Künstler, Peinlichkeit zu verwenden oder zu zeigen? Die peinliche Verlegenheit arbeiten zu lassen, sie in den Dienst einer Karriere zu stellen? Üblicherweise geht es bei Peinlichkeit darum, sie als unabsichtlich erscheinen zu lassen. Dagegen war der strategische Einsatz von Peinlichkeit Teil der Mittel, mit denen die unterschiedlichen Akteure in der Kölner Konstellation der späten 1980er und der frühen bis mittleren 1990er Jahre ihre jeweiligen Positionen untereinander verhandelten. Im Werk von Martin Kippenberger nahm Peinlichkeit meistens die Form von falschem Pathos und Heldenposen ein, sie diente der Parodie (sowohl der seiner selbst als der seiner künstlerischen Rivalen). Die peinliche Verlegenheit, die für Michael Krebber charakteristisch ist, ist schwieriger zu erfassen, da es hierbei gerade um ihre Beziehung zur Parodie und ihr Potenzial als produktives Mittel geht. Bei Krebber kommt das Peinliche nicht daher, dass er irgendwie zu weit geht, sondern dass er nicht weit genug geht. Er hält sich zu stark zurück, er bereitet sich geflissentlich auf einen Termin vor, schafft dann aber den Durchbruch nicht oder findet das mot juste nicht. Und dann ist das bei Krebber auch schon Teil der Erwartungshaltung. Isabelle Graw hat von „offen zur Schau gestellter Stagnation“[1] gesprochen, auf diese Weise hat Krebber auf sein Scheitern einen Ruf dessen gegründet, der virtuos alles in letzter Minute platzen lässt. „Miami City Ballet“, seine neueste Ausstellung in der Galerie Buchholz in Berlin, bildet darin keine Ausnahme. Im Pressetext schreibt Krebber von einer „langen Phase der Inaktivität“, die der Ausstellung vorausging. Sie baut stark auf die verschiedenen Formen der Rendite und des Überschusses, die sich dann um Objekte herum bilden, wenn diesen zugestanden wird, einfach herumzuliegen und Staub anzusetzen. Zu den vielen selbst kuratierten Retrospektiven und autorisierten Rekonstruktionen, die gegenwärtig aus dem Boden schießen, verhält sich „Miami City Ballet“ tangential. Es handelt sich hier um eine bescheidene „Retrospektion unter Zwang“, um Stephen Prinas Formulierung zu verwenden. Verschämte formale Entsprechungen fungieren als Schleier der Kontinuität in einer Präsentation, die eigentlich sehr episodisch ist und fast Vaudeville-Charakter hat. [2] Hier also eine rasche Tour durch die drei Haupträume der Galerie: Krebber hat einen Verkleinerungseffekt in der Bewegung durch die drei mehr oder weniger kreisförmig angeordneten Räume in Kauf genommen, wobei der erste Raum den gewichtigsten darstellt. Auf dem Boden liegen drei Neon-Text-Skulpturen, noch in ihren Frachtkisten. Die Deckel wurden abgenommen und lehnen an der Wand. Jede Skulptur ist auf eine unterschiedliche Weise zerbrochen, aber durch den Vergleich lässt sich der Text leicht entziffern: „die Hundejahre sind vorbei“. Die harten Jahre des Lernens, die Lehrzeit ist vorbei. Die Arbeit nimmt den Titel von Kippenbergers Schau „Broken Neon“ wörtlich, an der der junge Krebber 1987 teilnahm. „Die Hundejahre sind vorbei“ löst aber auch Verwirrung darüber aus, was hier womit negiert wird: Verweigert die Arbeit sich ihrem eigenem Triumphalismus? Sagt sie „Genug?“ zu dem ganzen Genre von Neon-Text-Arbeiten – einem Trend, der nun endgültig zum Erliegen kommt? Und warum die dreifache Wiederholung, eine zurückgenommene und doch emphatische Übertreibung? Auf einer anderen Ebene ist „Die Hundejahre sind vorbei“ auch eine Fake-Version der wohlfeilen Selbstreflexivität, die darin liegt, die Umstände der Produktion auszustellen. Ein analoger Fall wären die Glaswürfel, die Walead Beshty mit FedEx versendet. Krebber hingegen hat die Brüche im Neon selbst verursacht, es handelt sich eben nicht um Transportschäden. An der Wand hängt „Das politische Bild“, ein ambitioniertes Stück historischer Malerei aus dem Jahr 1968, als Krebber 14 Jahre alt war. Es entstand angeblich unter dem Einfluss von Rauschenberg, wirkt aber eher wie eine Außenseiterperspektive auf den jungen Immendorff. Der junge Krebber zerriss das Bild später, behielt aber die Teile, und ließ sie für die aktuelle Ausstellung auf heller Baumwolle aufbringen, alle Lücken und Risse deutlich sichtbar – eine krebbereske Geste, die über 40 Jahre in Anspruch nahm. Die Anwesenheit des Wortes „SHAME“ auf einem Fernsehschirm im Inneren des Bilds, die witzige Verbindung eines Friedenszeichens mit einem Fragezeichen über eine Fotografie von Vietnamkämpfern gemalt, ein Hakenkreuz, das teilweise von einer Wand abgeblättert ist wie ein Miniatur-Hains/Villeglé, der Begriff „GRUNDGESETZ“ in bröckelnden Trümmern über den Himmel hinweg verstreut, das hat alles so viel Charme, dass es ungerechtfertigt scheint, darüber ein Urteil zu fällen. Der folgende Raum wird von einer üppigen Plattform oder einem Sockel im Stil von Krebbers Frau Cosima von Bonin dominiert. Der Titel lautet „I can be rented“. Drei Seiten davon sind mit einem Material bedeckt, das an die neuerdings trendigen Wollhemden erinnert, die von Pendleton hergestellt werden und einen Westernlook kultivieren (was an den anderen Stellen hängt, sieht nach kitschigen deutschen Tischdecken aus). Das primäre Material in den Farben Rot, Grün und Blau ergibt einen großartig künstlichen Reim mit dem Raum davor, eine Eins-zu-eins-Entsprechung zu den Farben von „Das politische Bild“. Drei riesige Leinwände werden von „I can be rented“ bedrängt. Sie tragen jeweils den Titel „Miami City Ballet“ und sind gegen die rückwärtige Wand gelehnt. Vor Jahrzehnten grundiert, wurden die Leinwände aber in der Galerie erst unmittelbar vor der Eröffnung der aktuellen Schau bemalt. Jede Leinwand ist mit einer kleinen Anordnung schwarzer Emailfarbe dekoriert, die mit einer Rolle aufgetragen wurde und so auf eine gleichmäßige, monochrome Schicht verweist, die nicht fertig wurde – die Prozedur wurde just in dem Moment unterbrochen, in dem die Konstellation von Streifen und Tropfen nach etwas auszusehen begann. An der gegenüberliegenden Wand stehen einsam drei Leinwände übereinander, die mit einem löchrigen braunen Schonbezug bedeckt sind, auf dem als Markenzeichen ein einzelner Streifen derselben schwarzen Emailfarbe zu sehen ist, der hier aber mehr wie ein Fleck wirkt.
Krebber bringt die Bewegung der Schau in einem bewusst zahmen Finale zum Stillstand, indem er im letzten Raum zwei Surfboards rausrückt, beide mit dem Titel „INT“. Sie stammen aus einer Serie, die er zuvor bei Greene Naftali in New York und 2008 im Kölnischen Kunstverein gezeigt hat. Man fühlt sich an träge adoleszente Freiheiten erinnert, von der Strandkultur von Miami bis zu den jungen Leuten, die auf einem schmalen, künstlichen Bach im Münchner Englischen Garten surfen. Krebber greift den Schwung eines befreienden promesse de bonheur auf und nimmt daran eine alberne, zufällige Operation vor. Eines der Surfboards, das neongrüne, hängt in der üblichen Weise, wie ein Donald Judd, an der Wand, während das andere in Lachsrot unvollständig auf dem Boden liegt. Jedes Stück wird einzeln verkauft, als wären wir in einer Resterampe.
Keine der Referenzen, die ich gerade „angeführt“ habe, taucht in Krebbers Pressematerialien auf. Solche Texte dienen zunehmend dazu, kritische Ansprüche für das zu sehende Werk zu erheben (und legitimierende Vorgänger anzuführen). Krebbers typisch lakonischer und undurchdringlicher Text wird selten greifbar. Er beginnt mit dem Verweis auf einen Vortrag von Douglas Crimp, der erst kürzlich über Scham geschrieben hat, verliert aber bald den Faden seines Arguments und bringt stattdessen eine Menge Namen ins Spiel, die mit Camp verbunden werden: Edward Villela, Jack Smith, Andy Warhol und Paul Swan. Krebber weigert sich, den Camp-Stil in seinem Werk zu sichtbar werden zu lassen. Er beutet ihn nicht für Materialgewinn aus, sondern beschränkt ihn lieber auf die Ebene eines erklärenden Rahmens (die Dialektik besteht natürlich darin, dass Camp als eine Gefühlslage gegenüber Interpretation und Artikulation so widerspenstig war). [3]
Wie diese Namen durcheinandergewirbelt werden, abgetrennt von einem väterlichen Signifikanten, hat Parallelen in der Weise, in der die Kunstwerke selbst ihre formalen Referenzen in der Schwebe halten. Und das Prinzip der Auflistung, der Verbindung ohne Beziehung, das Krebber in seinem Schlusssatz zur Anwendung bringt („Ich werde natürlich versuchen zu dosieren, um die aufgelisteten Bilder nicht untergehen zu lassen“), hat zweifellos Auswirkungen auf die Logik der Ausstellung, wie auch das Prinzip des Gegenteils: Regulierung, etwas künstlich in Reserve halten, Geheimnisse bewahren. [4] Wenn Krebber darauf besteht, dass Künstler Leiharbeiter sind (die Figur des Künstlers als Prostituierter oder als Hofnarr, der für seine Darbietungen bezahlt wird, ist keineswegs neu), dann weiß er auch, dass sie sich auch nicht übermäßig verfügbar machen müssen. Krebbers Arbeit war sowohl den Freuden der Verbreitung als auch des Aufschnappens von Gerüchten immer zuträglich.
Kippenbergers anderer prominenter früherer Assistent, Merlin Carpenter, hat die Grenzen von verschiedenen Märkten erprobt, an denen solch oppositionelles Verhalten in einen Fetisch verwandelt wird. Mit launigen Witzen brachte er die Haltung eines knallharten Typen bis an den Punkt einer leeren Pose. Krebber wiederum macht nicht eigentlich Witze. Er bewohnt und erweitert eher die Struktur dessen, was Freud „Witzarbeit“ genannt hat. Bei Krebber kann ein Witz Jahrzehnte brauchen und dann immer noch unterbrochen erscheinen. „Miami City Ballet“ wirkt wie Elemente eines Witzes, der sich noch entwickelt und vielleicht nie zur Pointe gelangen wird. Nach Freud dienen die Operationen der Witzarbeit – Verkürzung, Verschiebung und Verdichtung – dazu, das Vergnügen am Spiel gegenüber Kritik und Urteil zu verteidigen. [5] Dasselbe könnte man von Krebber sagen, der ein Modell der Kunstproduktion auf Abstand hält, das auf direkter Kommunikation oder Problemlösung beruht (in Leo Steinbergs Sinn von Kunst als professionalisierter Forschung und Entwicklung). [6]
Eine Praxis, die als Witzarbeit konzipiert wird, widersetzt sich auch der Idee des Fortschritts. Krebber hat schon früh geäußert, dass keine Notwendigkeit von Veränderungen besteht, solange die Witze immer noch gut sind. [7] Der Humor in „Miami City Ballet“ scheint in Teilen auf seiner Abgestandenheit zu beruhen, und das ist genau der Punkt. Die Anwesenheit so vieler alter Objekte (die erst jetzt bemalten Leinwände, das zerrissene Bild aus der Teenagerzeit, die Surfboards), die erst kürzlich und unter Zeitdruck reaktiviert wurden, zeugen von einem Zögern, einem Aufschub – wie auch Krebbers verspätete Kundmachung, dass nun die „Hundejahre“ der Entwicklungsphase hinter ihm liegen. Viele Kölner Künstler haben den Moment der Karrieremitte zum Anlass einer dramatischen Kehrtwende genommen. Krebber scheint auch diese Gelegenheit absichtsvoll verpasst zu haben. Keine dramatische Abwendung, keine parodistische Kapitulation. Und auch kein Kressentiment des Hardliners – was Diedrich Diederichsen in einem frühen Interview mit Krebber die „Inszenierung von Intransigenz“ genannt hat. [8] Vielleicht ist Krebber der betrunkene Schauspieler, von dem er im Pressetext schreibt. Ein Schauspieler, der auf der Bühne auftaucht, nachdem er eigentlich schon erschossen worden war, und der dem Publikum dafür eine komische Entschuldigung liefert und es zugleich durch sein Erröten verstört. Was Krebber mit dieser Schau wie auch schon in anderen erreicht hat, ist, dass Scham neben einem performativen Wissen um sich selbst existieren kann. Das ist eine Konstante in Krebbers Werk, und eines der Geheimnisse des Krebberesken. Obwohl Krebbers Scham absichtsvoll bis an den Punkt der Künstlichkeit heranreicht, ist sie nicht mit sich im Reinen (wie man es vielleicht von Kippenberger sagen könnte). Die starke Gewissheit, von der sie umgeben ist, könnte in einer seltsamen Wendung gerade die Ermöglichung einer derartigen Scham sein. So wird eine Ausstellung, die leicht ein schwermütiges Spiel ironischen Scheiterns hätte werden können, zu einem Medium für die Vermittlung intensiver Gefühle. Nachdem ich die Galerie verlassen hatte, schrieb ich in mein Notizbuch: „Wenn ich an diese Schau denke, bin ich versucht zu weinen.“ Und das war nur zu einem kleineren Teil als Witz gemeint. Sollte Krebber die Möglichkeit bedacht haben, dass seine Kunst sogar berührend sein könnte? Dass seine Witzarbeit und die Höflichkeit, mit der sie geleistet wird, jemanden zum Weinen bringen könnte? Das ist ein Effekt, für den einige von Krebbers Bewunderern kein Sensorium haben. Für sie ist seine Ambivalenz nicht viel mehr als ein Alibi für die Schönheiten eines postmedialen Formalismus.
Michael Krebber, „Miami City Ballet“, Galerie Daniel Buchholz, Berlin, 2. Juli – 21. August 2010.
Anmerkungen
[1] | Isabelle Graw, „One Step Forward, Two Steps Back“, Pressematerial zu „Michael Krebber, Shordt Ridte in a fasdt maschine, examples of the art collection of Des Esseintes“, Maureen Paley Interim Art, 2001. |
[2] | Prina hat die Formulierung „Retrospektive unter Zwang“ für eine Reihe von Ausstellungen 1996 verwendet und dann noch einmal – mit dem Untertitel „Reprise“ – für eine Ausstellung im Carpenter Center in Harvard, 2004. |
[3] | Susan Sontag, „Notes on Camp“, in: Against Interpretation, New York: Farrar, Straus and Giroux, 1966; dt. Ausgabe in: Kunst und Antikunst, Hanser: München, 2003. Sontag verdankt zu diesem Thema auch eine Menge den Texten von Jack Smith für „Film Comment“. |
[4] | Krebber hat an verschiedenen Punkten seiner Karriere seine Produktion ausgesetzt, in einer expliziten Umkehrung von Kippenbergers Versuchen einer Entmystifizierung der Kunst durch Überproduktion. Diese Bewegung lässt sich, wie so viele von Krebber, leicht als Versuch missverstehen, einen Duchamp$$$schen Mythos zu kultivieren. |
[5] | Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Frankfurt/M.: Fischer 1992. |
[6] | Leo Steinberg, Other Criteria, London: Oxford University Press, 1972, S. 77–78. |
[7] | Diedrich Diederichsen, Michael Krebber. Artist-Painter, Graz: Edition Stadtpark, 1991, 5. |
[8] | Ebd., S. 15. |