Räume für das Denken Perspektiven zur Kunstakademie
Künstler/innen mit Promotion! - das dürfte doch eigentlich nur die Konservativen in der Bildungspolitik schrecken? Weit gefehlt: Die Veränderungen, die sich zurzeit im Zuge des Bolognaprozesses zur Schaffung europäischer Studienstandards am einschneidendsten auf die institutionelle Kunstgeschichte wie auf die Ausbildung von Künstler/innen an Akademien und anderen Hochschulen auswirken, betreffen den allgemeinen Stellenwert von Methoden.
Unter dem Schlagwort "artistic research" trifft sich vieles in einer kanonisierten Form wieder, was einmal eine von Künstler/innen hart errungene Selbstermächtigung war: die Recherche auf eigene Rechnung, ohne den Zwängen von Academia gehorchen zu müssen. Ist es nur eine rhetorische Frage, was in Zukunft eigentlich Künstler/innen machen, die nicht zu den Forscher/innen gehören? Was - außer kurzfristigen strategischen Mittelverschiebungen - bringt die Zumutung der Wissenschaftlichkeit dem Feld der Kunst?
Die Herausforderungen, die dieser Tage auf die künstlerische Ausbildung zukommen, sind wirklich zahlreich. Einige würden wohl behaupten, die Kunstausbildung stehe an einem Scheideweg zwischen Tradition und Innovation, andere würden dagegen eher hervorheben, dass wir uns in einer legitimatorischen und methodologischen Krise befinden, vielleicht parallel zu einer allgemeinen, die ganze Gesellschaft betreffenden Institutionskrise oder gar einer Krise des globalen Kapitalismus. Es handelt sich jedenfalls um eine Krise, die nicht wenig an jene erinnert, die meinen ursprünglichen Studienbereich oder Hintergrund, die Kunstgeschichte, in den achtziger Jahren heimsuchte. Da gab es eine gewaltige Methodenkrise, oder sogar eine Schlacht, von traditionellen empirischen und deskriptiven Verfahrensweisen gegen Einflüsse aus Soziologie, Epistemologie, Poststrukturalismus und Feminismus. Zur Diskussion stand die Frage, ob die Disziplin, in sich selbst verankert, ihre Studienobjekte und Methoden als schon gegebene Bedingungen ansah, oder ob sie eine Disziplin sein wollte, die eine Theorie zu ihrem Studiengegenstand hatte - wie es die Althusser’sche Wissenschaftsdefinition verlangt. Tatsächlich wurde die Disziplin selbst zum Gegenstand kunsthistorischer Forschung: als Geschichte der Kunstgeschichte (in einem epistemologischen Verständnis), die als Subgenre inzwischen zahlreiche Bände füllt. Und inzwischen ist es nicht mehr möglich, das Kunstobjekt, die Geschichte und Soziologie der Kunst zu studieren, ohne zugleich eine Reflexion des Studienmodus selbst zu betreiben, ohne selbstkritische Perspektive und bestimmte Vorstellungen von Interdisziplinarität mit zu berücksichtigen. Solcherlei Reflexionen und Geschichtslektionen sind für uns heute bei der Bewertung der Ausbildung von Künstler/innen oder denjenigen von Wert, die wir allgemeiner und vielleicht zutreffender Kulturproduzent/innen nennen sollten. [1] Dies vor allem, da Kunstakademien zurzeit, ob nun krisengeschüttelt oder nicht, ungeheuer erfolgreich sind. Nicht nur drängen Künstler/innen, wie ich gleich näher ausführen werde, in viele andere Felder- und Disziplinen, auch in der Kunstwelt selbst nehmen Akademien eine beherrschende, wenn nicht sogar eine hegemoniale Position ein. Betrachtet man Galerien für zeitgenössische Kunst, Museen und internationale Biennalen, so blicken die dort vertretenen Künstler/innen fast sämtlich auf eine Akademieausbildung zurück - und das macht einen gewaltigen Unterschied zu den Verhältnissen vor zwanzig, dreißig Jahren aus. In genau diesem Sinn waren Kunstschulen und Akademien als Einfluss auf Kunstwelt und Kunstproduktion noch nie effektiver oder erfolgreicher. Während die meisten modernistischen Künstlerbewegungen eindeutig außerhalb von oder gar in Opposition zu Kunstakademien oder zur Akademieidee als solcher standen, haben wir die Herausbildung von Bindungsverhältnissen zwischen den Akademien, kritischen Theorien und Diskursen, musealen Repräsentationsformen und dem Markt erleben können, wenn auch oft zu widersprüchlichen oder sogar widerstreitenden Bedingungen. Darum müssen wir uns nicht nur die Frage stellen, in welchem System wir Menschen ausbilden, sondern zuallererst, für welches System wir sie ausbilden.
In den derzeitigen Debatten zur weiteren Entwicklung der künstlerischen Ausbildung, genauer: zur Umsetzung der Elemente des Bologna-Prozesses [2] - der europaweiten Standardisierung angloamerikanischer Akademiestrukturen mit b.a.-, m.a.- und Ph.D.-Abschlüssen - erleben wir die Folgen einer ähnlichen Dichotomie wie derjenigen, die die Kunstgeschichte in den achtziger Jahren betraf und sich zwischen traditionellen, vorgegebenen Verfahren und neueren, interdisziplinären Methoden und Vorgehensweisen auftat. Wie bei dem Streit oder Wechsel zwischen alter und neuer Kunstgeschichte erleben wir einen Konflikt zwischen dem alten Lehrer-Schüler-Verhältnis und einem kursbasierten System einerseits und zwischen einem (in)formellen Atelierarbeits-Diskurs und theoretischen Einflüssen und Kritikansätzen auf der anderen Seite. In diesen Studienformen sind bestimmte Begriffe von Kunstproduktion wie auch der Produktion von Künstler/innen-Subjekten eingeschlossen: Sie werden jeweils als Schaffensprozess oder Konstruktion sichtbar. Diese Dichotomie, oder dieser Widerstreit, wenn man so will, ereignet sich an zweierlei Fronten: im Bildungssystem selbst und in der zeitgenössischen Kunstproduktion, wobei Ersteres der Letzteren in gewisser Weise folgt oder sie reflektiert. In zeitgenössischen künstlerischen Praktiken wird eine gewisse "permissiveness" erkennbar, eine interdisziplinäre Sichtweise, für die fast alles in einem geeigneten Kontext zu einem Kunstobjekt werden kann, und wo mehr denn je Arbeiten in einem erweiterten Praxisrahmen geschaffen werden, der sich auf einige andere Felder neben der traditionellen Einflusssphäre der Kunst erstreckt, wobei Bereiche wie Architektur und Design, aber auch Philosophie, Soziologie, Politik, Biologie und andere Wissenschaften berührt werden können. Das Kunstfeld ist zu einem Feld der Möglichkeiten, des Austauschs und der vergleichenden Analyse geworden. Es ist ein Feld der Alternativen, der Entwürfe und Modelle, und kann, was besonders wichtig ist, als Begegnungsfeld fungieren, als Vermittlung zwischen verschiedenen anderen Feldern, Wahrnehmungs- und Denkmodi, zwischen sehr unterschiedlichen Positionen und Subjektivitäten.
In diesem Sinne nimmt Kunst eine sehr privilegierte, mit einiger Balance haltbare, aber wichtige Position in der zeitgenössischen Gesellschaft ein. Erweiterte Praxisformen, von denen hier die Rede ist, entstanden in den sechziger und siebziger Jahren, traten aber im Verlauf der neunziger Jahre viel stärker in den Vordergrund; standen sie ursprünglich in einem dialogischen bis oppositionellen Verhältnis zur Tradition der Kunst und ihrer Institutionen, so sind sie heutzutage weit institutionalisierter und erst in einem sekundären Verständnis, über ihre Medien, in Opposition, weswegen diese Praktiken auch von den territorialisierenden Theoretikern Peter Weibel und Nicolas Bourriaud in den neunziger Jahren "kontextuell" respektive "relational" getauft wurden. [3] Kunst ist oft einfach ein Ort oder sogar nur ein Vorwand für Kommunikation und Handlung, so wie sie sich selbst genügt, was in jüngerer Zeit zu Schlagworten wie "Plattform", "Plateau" oder "Projekt" geführt hat. Hier ist weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, um die Verdienste solcher Projekte und Sprachspiele zu diskutieren, stattdessen soll eher auf eine tiefgreifende Veränderung in der Vorstellung von Kunst als Objekt und Kontext hingewiesen werden, die auch die Künstler/innen als Subjekte und Produzent/innen betrifft. Dies lässt einen Bedarf an neuen Werkzeugen entstehen, und zwar nicht nur im kunsthistorischen Sinne, sondern auch im Bereich der Künstler/innenausbildung als einer Disziplin und einem institutionellen Raum.
Vielleicht sollten wir uns auch in genau diesem Kontext mit der Karriere eines Begriffs wie "artistic research" zuwenden, einer der am häufigsten zu hörenden Vokabeln in gegenwärtigen Diskussionen um Kunstausbildung und das modulare Studienmodell: Einerseits scheint die Verwendung des Begriffs "Forschung" durchaus durch eine Reihe existierender künstlerischer Verfahrensweise getragen, auf der anderen Seite scheint er künstlerische Arbeitsprozesse generell aufzuwerten. Wir haben es hier eindeutig mit einer Begriffsübertragung zu tun, denn wir sprechen nicht einfach von "research", wie das in vielen anderen Bereichen getan wird - das Präfix "artistic" steht davor. Also geht es um etwas, das hinzukommt und für das künstlerische Feld spezifisch ist. Hier stellt sich fast unausweichlich die Frage, welche Praktiken denn dann keine "artistic research" einschließen? Welche Praktiken werden hier privilegiert, welche werden durch eine solche Bestimmung an den Rand gedrängt oder gar ausgeschlossen? Steht "research" jetzt anstelle anderer Begriffsbildungen zur Beschreibung künstlerischer Praktiken oder ist es nur eine Frage der Formulierung, der Bewertung, der Kontextualisierung, durch die künstlerische Arbeit in traditionellen universitären Strukturen des Wissens und Lernens einen Platz finden kann?
In solchen entmaterialisierten, post-konzeptuellen und vielleicht genauer auch als rekontextualisiert zu beschreibenden Arbeitsweisen tritt der Begriff in der Tat oft, wenn auch nicht immer auf. Künstler/innen betreiben in zunehmendem Maße Recherchen für ihre Projekte, nicht nur zur Vorbereitung ortsspezifischer Arbeiten, sondern auch im Rahmen solcher Arbeiten, die sich mit bestimmten Zeitbegriffen und Inhaltlichkeiten beschäftigen. Hier folgt die Form der Funktion, und der Materialisierungsgrad des Werks wird nach anderen Parametern entschieden als zuvor in den historischen Atelierpraktiken. So verlangt zum Beispiel die stärkere Einführung dokumentarischer Strategien im Laufe des vergangenen Jahrzehnts natürlich ganz andere Kenntnisse, Fertigkeiten und Methoden als die überkommene Arbeitsweise im Atelier, hat jedoch auch - neben der so genannten Projektausstellung - möglicherweise ganz andere Zielvorstellungen und Zweckbestimmungen. Bis zu einem gewissen Grad steht hier eher der Inhalt oder das Thema im Vordergrund als das Kunstobjekt als Endprodukt. Doch das Arbeiten im Atelier ist ganz und gar nicht verschwunden, schon gar nicht vom kunstmarktrelevanten Teil des Feldes, stattdessen scheinen sich verschiedene Formen künstlerischer Arbeit in Koexistenz zu befinden, und die Frontverläufe zwischen verschiedenen künstlerischen und politischen Stellungen können nicht mehr nur formal geklärt werden, wie das im Falle der frühen Moderne noch möglich war. Klar ist jedoch, dass die rekontextualisierten Kunstpraktiken, wenn sie überhaupt der Unterfütterung bedürfen, sich nicht mehr auf dieselben traditionellen Fundamente stützen wie die historischen Kunstakademien, und es ist auch ganz deutlich zu sehen, dass solche Arbeitsweisen in den Kunstakademien immer präsenter werden, sowohl in den Reihen der Lehrenden und als auch in denen der Studierenden. Diese Entwicklung wird jedoch nicht unbedingt in den strukturellen Rahmenbedingungen der Akademien selbst sichtbar. Warum ist das so? Und werden sie leichter einen Platz in der Welt der Modularisierung finden können?
Da wir nun schon andauernd neue Modelle von Kunstproduktion und neue Institutionsformen diskutieren, sollten wir uns vielleicht auch der Diskussion neuer Einrichtungen in der Kunstausbildung zuwenden, und das sowohl in architektonischem wie auch strukturellem und kurrikularem Verständnis. Es ist ganz klar, dass die Interdisziplinarität in einer Opposition zu einer klassischen Aufteilung künstlerischer Praktiken in bestimmte Genres oder eben Disziplinen stehen muss, "Malerei" etwa oder die nicht mehr ganz so neuen "Neuen Medien", um nur einige wenige zu nennen. Um die Situation zeitgenössischer Künstler/innen oder Kulturproduzent/innen sehen zu können, haben wir keine Stützpfeiler der Tradition mehr, auf die wir uns stützen könnten, ebenso wenig können wir uns auf Institutionen, die Kunstproduktion oder bestimmte Lehrmethoden berufen. Im Gegenteil erscheint Tradition unserem derzeitigen Begehr, der Beurteilung neuer "Skills" und Werkzeuge, einigermaßen kontraproduktiv entgegengesetzt. Wenn wir nun die Kunstproduktion eher als Produktion von Wissen denn als eine formale Produktion auffassen, werden wir andere Eigenschaften und Parameter zur Diskussion, zur Produktion und zur Evaluation zu entwickeln und zu definieren haben. Und wenn wir uns auf Kunst als einen "Ort, an dem etwas geschieht", konzentrieren, und nicht als auf eine Sache, die "in der Welt ist", werden wir erkennen können, wie eine Verbindung zwischen Kunstproduktion und kritischer Theorie notwendig wird, wie die Ausbildung selbst zu einem facettenreichen interdisziplinären Feld wird, das sich auf viele Räume erstreckt, statt nur in der einen Produktionsweise oder in dem einen Formbegriff stecken zu bleiben. Damit soll nicht gesagt sein, Denken könne keine formale Artikulation erlangen oder Forschung sei immer schon mit Kunst gleichzusetzen, im Gegenteil, denn es ist ja gerade unser besonderes Vermögen, Inhalt als Form und Form als Inhalt verstehen zu können. Die wichtige Verschiebung, auf die ich hier hinweisen möchte, beschreibt vielleicht Jean-François Chevrier am besten, der von einer sozusagen "raumgreifenden Kunst" seit den sechziger Jahren gesprochen hat, die den Akzentwechsel vom Kunstobjekt hin zu etwas erleichtert hat, was er "public things" nennt. [4] Das zeigt, wie sehr Begriffe wie Publikum oder Dialog, Weisen der Ansprache und der Auffassung von Öffentlichkeit(en) für uns zu wichtigen Orientierungspunkten geworden sind, und es liefert auch Hinweise, was dies in Begrifflichkeiten der Ethik und der Politik nach sich ziehen könnte.
Diese Veränderung zieht natürlich auch unterschiedliche Auffassungen der kommunikativen Möglichkeiten und Methodiken für das Kunstwerk nach sich, in einer Situation, in der weder seine Form, sein Kontext noch sein Publikum gesichert ist oder feststeht: Solche Verhältnisse sind stets wieder neu auszuhandeln und in Publikums- oder Öffentlichkeitsbegriffen zu fassen. Das bedeutet auf der einen Seite, dass das Kunstwerk selbst (in einem erweiterten Verständnis) aus seinen traditionellen Bestimmungen qua Form (als Material) oder qua Kontext (Galerien, Museen usw.) herauszulösen ist, andererseits heißt es, dass es von einem (anderen) Set von Parametern abhängig ist, die man als "Erfahrungsräume" ("spaces of experience") bezeichnen kann, das heißt Begriffe vom Betrachter und von der Einrichtung kommunikativer Plattformen und/oder Netzwerke im Kunstwerk oder in seiner Umgebung, die abhängig sind von bzw. Veränderungen unterworfen sind gemäß verschiedenen Ausgangsvorstellungen von Betrachterverhältnissen. Der Blick des Betrachters hängt natürlich nicht nur vom Werk und seiner Platzierung ab, sondern auch von seiner gesellschaftlichen Positionierung (gemäß Alter, Klasse, ethnischem Hintergrund, Geschlecht, politischer Auffassung usw.) - oder, allgemeiner gesagt, von seinen Erfahrungen und Absichten. Werk, Kontext und Betrachter wiederum beeinflussen wechselseitig ihre Bestimmungen. Keine von ihnen ist einfach gegeben, alle sind sie potenzieller Konfliktstoff, tatsächlich können sie sogar einander gegensätzlich sein: Man mag sich von einem bestimmten Werk oder einer bestimmten Situation (kunstspezifisch wie auch soziopolitisch) angesprochen fühlen oder nicht, mag sogar diese Form der Ansprache akzeptieren oder nicht. Wenn man an Kunstproduktion und Repräsentation denkt, ist es daher unerlässlich, diese Begriffe sowohl individuell als auch aufeinander bezogen zu verhandeln. Wir sollten uns demzufolge Kunst im Sinne eines triadischen Modells vorstellen, nicht so sehr eines dialektischen (aus Form und Inhalt, Tradition und Begehren, Bedeutung und Nicht-Bedeutung usf.). Soweit ein solches Modell von Teilen des historischen Konzeptualismus vorweggenommen wurde, befinden wir uns ebenso sehr in einer postkonzeptuellen wie in einer postmodernen Zeit.
Wer heute die Herstellung von Kunst und Künstler/innen erforscht, muss also die Begriffe von Theorie und Praxis auf neue Weise zusammenbringen und sowohl zu einer Meinung kommen, was die Praxis der Theorie genannt werden könnte als auch was die Theorien der (historischen und zeitgenössischen) Praxis wären: Was genau ist in den Repräsentationsakt einbezogen? Was zum Beispiel macht die Beziehung zwischen künstlerischer Praxis und politischer Repräsentation aus, also zwischen zwei unterschiedlichen Repräsentationsbegriffen? Welche möglichen Positionen können im künstlerischen Feld für politische Repräsentation oder sogar politisches Handeln eingenommen werden, welche Verfahrensweisen sind produktiv, welche kontraproduktiv zu nennen? Und welches Verhältnis besteht zwischen einer behaupteten Autonomie des Kunstwerks und Behauptungen politischer Autonomie? Die Frage ist aber auch: Welches ist das Verhältnis zwischen Repräsentation und Depräsentation? [5] Welche Wechselbeziehungen bestehen zwischen Strategien und formalen Ausdrücken? Was sind etwa die Risiken und Chancen kollektiven und gruppenförmigen Arbeitens im Verhältnis zum einzelnen Künstler / zur einzelnen Künstlerin? Wie lässt sich jemandes Werk im Verhältnis zu dem Apparat definieren, der Kunstproduktion und Kunstpräsentation umgibt? Was ist die öffentliche Rolle der Künstler/innen, historisch betrachtet, heutzutage, in Zukunft vielleicht? Diese Diskussionen müssen sich um die verschiedenen Werkzeuge und Methoden herum entspinnen, die uns zur Verfügung stehen: Wie können wir unterschiedliche Weisen der Ansprache entwickeln, wie neue Erzählformen, und wie können Subjektivitäten konstruiert werden? Und dies scheint auch der richtige Zeitpunkt, um noch einmal die klassische Frage zu stellen: Zu wem und für wen spreche ich? Was sind die Unterschiede in unseren Auffassungen und Ansprachen bestimmter Begriffe von Institution, Publikum, Gruppierungen und Communitys?
Betrachtet man die Kunstakademie selbst, dann haben wir es mit bestimmten überkommenen historischen Modellen zu tun: der Idee der "freien Kunst" und der Meisterklasse, also eines Professors, der zu mehreren Studierenden spricht und entscheidet, was Kunstausbildung ist und was nicht. Was den Ansprachemodus betrifft, so handelt es sich hier natürlich um ein vordemokratisches Modell, eine nicht-dialogische Ansprache, die nach wie vor auf der Herrschaft des Souveräns über seine Untertanen beruht, die ergeben der Stimme ihres Herrn lauschen (also eine inhärent hierarchische und überzogen männliche Subjektposition). Doch wenn sich Künstler/innen mit der Welt und nicht bloß mit sich selbst und ihrer begehrlastigen Suche eines Bezugs zur Vergangenheit beschäftigen sollen - so Norman Brysons Definition des Akademismus in der klassischen Kunstauffassung -, dann müssen wir die Relevanz dieses Modells in Zweifel ziehen und uns vielleicht etwas mehr dem Universitätsmodell mit mehreren Lehrenden und bestimmten Curricula zuwenden, wie es gerade durch den Bologna-Prozess vorgegeben wird. Wenn wir die Akademie mit Gayatri Spivak als "teaching machine" verstehen, dann müssen wir fragen, welche Art Subjekt (welche Studierenden) und welche Art Wissen (welche Lehren) diese Maschine da produziert. Das zu erfahren hat zurzeit schon deshalb gesteigerte Dringlichkeit, da wir im Begriff sind, das angloamerikanische Universitätssystem auf das europäische Akademiemodell herüberzukopieren. Vom modularen System allein sind kaum Komplettlösungen für die Probleme und Unannehmlichkeiten mit der historischen Meisterklasse zu gewärtigen. Ein Disziplinarsystem wird durch ein Kontrollsystem abgelöst: Sind die traditionellen Bildungssysteme der Disziplinargesellschaft zuzurechnen, so können neue Prüfungsmethoden, Module und Internalisierungen als Teil einer Kontrollgesellschaft begriffen werden. Die Macht wird nicht länger disziplinarisch ausgeübt, so wie das ganz konkret bei der traditionellen Akademie mit ihren nach disziplinarischen Themen verfassten Abteilungen der Fall ist, stattdessen findet eine simultane Verteilung dieser Macht statt, wodurch sie weniger sichtbar, weniger mit Personen identifizierbar wird, doch durch verschiedene Kontrollmechanismen und Selbstüberwachung doppelt so leicht durchzusetzen ist, wenn man seine Kursarbeit selbst auswählen muss, allerdings im Einklang mit einem vorgefertigten modularen System und zu den Bedingungen verstärkter Prüfung und Auswertung. Dieses "Erziehungssystem" der Kontrolle geht natürlich nach dem Abschluss weiter - je nachdem, wie man sein Werk in der Kunstwelt oder einem allgemeineren Feld kultureller Produktion voranbringen kann. [6]
In diesem Sinne kann man den Begriff des Kulturproduzenten, eine zeitgenössische Künstler/innenfigur, als zusammengehend mit neueren Entwicklungen in Verwaltung, Politik und Kapital ansehen. Die Künstler/innen werden zu einer Art gesellschaftlicher Avantgarde, an der vordersten Front der Risikogesellschaft und der Begrifflichkeiten immaterieller Arbeit. Als "Wissensproduzentinnen" sind die Universitäten in Wirklichkeit oft nur "teaching machines", Reproduzentinnen von Wissen und Denken, und deswegen sollten wir auch nicht unkritisch ihre Strukturen übernehmen wollen. Weit eher sollte man von diesen Strukturen als Erfahrungsräumen, als diskursiven Räumen lernen und zugleich mit der Durchsetzung ihrer produktiven Eigenschaften die Vorstellung unproduktiver Zeiten und Räume beibehalten, die sich als Potenzialität im Akademiemodell verbarg: Wo die traditionelle professorale Herrschaft bedeutete, dass der Professor oder die Professorin über Methoden und Lehrpläne (sofern vorhanden) zu entscheiden hatte, konnte er oder sie die Studierenden natürlich auch tun lassen, was sie wollten, unter Umständen eben auch gar nichts. Die Machtvollkommenheit des Souveräns: ein guter König sein oder ein böser König… Umgekehrt konnten auch die Studierenden selbst die Kontrolle übernehmen und die Professor/innen (nach dem Vorbild der Studentenunruhen von 1968) in Palastrevolten vom Sockel stürzen, wie das in den neunziger Jahren an vielen Kunsthochschulen zu beobachten war, wo die Studierenden so genannte "freie Klassen" ins Leben riefen, professorenfreie, selbst verwaltete Abteilungen. Man sollte solche Vorstellungen des Freiraums, des Labors lebendig erhalten, von etwas, das nicht in strenger Kursarbeit und in Auswertungsschemata aufgeht. In diesem Sinne gilt es die Wissensproduktion abzulösen - durch Räume für das Denken.
Denken ist nun keinesfalls dasselbe wie Wissen. Während Wissen durch eine Reihe normativer Praktiken - Disziplinen - in Umlauf gebracht und gehalten wird, soll hier mit Denken auf Netzwerke der Nichtdisziplinarität verwiesen sein, auf Fluchtlinien und utopische Infragestellungen. Natürlich birgt Wissen bedeutende emanzipatorische Potenziale, wie wir aus Marxismus und Psychoanalyse wissen, aber Wissen als "das sein, was man weiß, was man gelernt hat", bedeutet auch eine Beschränkung: Es ist etwas, das einen zurückhält, in eine Tradition einschreibt, in bestimmte Parameter des Möglichen - und was dementsprechend gewisse Ausschlüsse in Bezug auf Denk- oder Vorstellungsmöglichkeiten mit sich bringt - künstlerische, politische, sexuelle und gesellschaftliche. Zum Zweiten impliziert der Begriff der Wissensproduktion eine gewisse Platzierung des Denkens, der Ideen, innerhalb gegenwärtiger Wissensökonomien, das heißt der entmaterialisierten Produktionsweise im derzeitigen post-fordistischen Kapitalismus. An dieser Stelle kann das Interesse des Kapitals an der Druckerzeugung hin zur Standardisierung von (Kunst-)Ausbildung und ihrer Nachprüfbarkeit und an der Einpassung künstlerischer Arbeitsweisen in bestehende Formate des Lernens und Forschens sichtbar werden. Es gibt eine direkte logische Folgebeziehung zwischen der Entmaterialisierung des Kunstobjekts und damit seinem möglichen (wenn auch nur teilweisen) Exodus aus der Warenform, seinem Verschwinden aus dem Marktsystem - und der institutionellen Wiedereinschreibung und Aufwertung von Praxisformen wie "artistic research" und wissensökonomischer Warenförmigkeit. Selbstverständlich können auch und gerade entmaterialisierte künstlerische Arbeitsweisen als Waren auf dem Kunstmarkt gehandelt werden, wenn nur das Marketing der betreffenden Künstler/innenfigur - als Hipster, Schöpfer, Innovatorin - mit dem entsprechenden Einsatz der richtigen Agenten, das heißt bestimmter Oberliga-Galerien, betrieben wird.
In institutioneller Hinsicht haben wir Gleiches beim Zusammengehen von Kunst, Ökonomie, Mode und Akademien in Großbritannien beobachten können, beispielhaft sichtbar wurde das in der Thatcher’schen Umwandlung des Kunstausbildungssystems in einen kulturindustriellen Komplex, die mit der Hegemonialposition des Goldsmiths College und der Young-British-Artists-Generation im England der neunziger Jahre ihren Höhepunkt erreichte. [7] Eine ähnliche Tendenz kann man an anderen Orten und Institutionen erkennen (in den Vereinigten Staaten zum Beispiel in Yale und an der Columbia University), und das zeigt, wie das angloamerikanische System von Erziehung, Kapital und Kultur neben allgemeineren politischen Umsetzungen von Deregulierung und staatlicher Kontrolle aus den usa über Großbritannien nach Europa exportiert wird. Die Internationalisierung und Homogenisierung der Ausbildung bedeutet auch eine Normalisierung - und birgt die Möglichkeit, den Erziehungssektor in einen Wettbewerbsmarkt zu verwandeln. In diesen Fällen - hier könnte man leicht auch europäische Hochschulen nennen - ist es ganz offensichtlich, für welches und in welchem System Künstler/innen ausgebildet werden: in ein und demselben. Doch wie ich schon angedeutet habe, ist es auch möglich, Ausbildung als einen Prozess des Denkens, des Verlernens bestimmter Formen von Wissen, Produktion und Subjektivität, des Infragestellens und nicht des Bewillkommnens eben jener Strukturen zu fassen. Man sollte Räume der Ausbildung denken können, die von Subjektivitäten geschaffen werden und nicht nur diese schaffen. Oder, anders ausgedrückt: nicht nur Kunstweltkünstler/innen produzieren, sondern auch Positionen innerhalb wie außerhalb der Kunstwelt und ihrer sich wiederholenden Ökonomien von Galerien, Sammlern, Märkten, Karrierefahrplänen, Verdinglichungen, Trends und Kreisläufen.
(Übersetzung: Clemens Krümmel)
Anmerkungen:
[1] | Ich verwende den Begriff "Kulturproduzent/innen" aus zwei Gründen: Zum einen, um einer Beschränkung von Kunst als etwas Objektbezogenem und Marktabhängigem zu entgehen, zum anderen, um auch auf den weiteren Rahmen der Unterhaltungs- oder Kulturindustrie einzugehen, in den die Kunstproduktion nun dauerhaft eingegangen ist. Einerseits also geht es mir dabei um eine Loslösung aus historischen Kategorien und Begrenzungen, andererseits um eine neue Umschreibung und Bestimmung. |
[2] | Die Bezeichnung "Bologna-Prozess" bezieht sich auf den eu-Beschluss zur Ausbildung aus dem Jahr 1999, der bislang von 29 europäischen Staaten unterzeichnet wurde. Beabsichtigt wird die Schaffung eines europaweiten Universitätsstandards der Ausbildung, der Bewegungen zwischen Ländern und Fakultäten erleichtert, die das gleiche ects-Punktsystem und die Standardisierung des angloamerikanischen Bachelor- und Master-Systems verfolgen, nach dem auch ein Ph.D.-Abschluss in dem so genannten Drei-plus-zwei-plus-drei-System ermöglicht wird. Innerhalb der Kunstausbildung gibt es zurzeit eine paneuropäische Diskussion, ob diesem Modell, wie es in Großbritannien bereits verwirklicht ist, Folge geleistet werden soll, oder ob es bei dem traditionellen frankodeutschen Modell der Kunstakademie bleiben soll, in dem es keine Module gibt, wo aber jede/r Studierende die Klasse eines/einer Professors/Professorin besucht, dessen/deren Abteilung sich im Sinne einer bestimmten künstlerischen Disziplin definiert (üblicherweise gibt es eine Abteilung für Malerei und eine für Bildhauerei, heutzutage aber auch meist Abteilungen für neue Medien, Video, Kunst im öffentlichen Raum usw.). |
[3] | Vgl. Peter Weibel (Hg.), Kontext Kunst", Köln 1994; Nicolas Bourriaud, Relational Aesthetics, Dijon 1998. |
[4] | Die Bewegung vom Objekt zu öffentlichen Dingen, Ereignissen, Installationen, Äußerungen und Situationen usw. ist ausführlich von Jean-François Chevrier in seinem Buch "The Year 1967. From Art Objects to Public Things, Or Variations on the Conquest of Space" geschildert worden (Fundacio Antoni Tapiès, Barcelona). |
[5] | Mit Repräsentation ist hier die doppelte Bewegung aus Abwesenheit und Anwesenheit gemeint, was politisch bedeutet, dass jemand irgendwo anwesend ist und andere Abwesende repräsentiert. Künstlerisch bedeutet es die Übertragung und Umwandlung im Sinne des Entstehens einer Idee oder eines Gefühls in einem Gegenstand, der irgendwo (anders) platziert wird. Mit Depräsentation ist die gegenläufige Bewegung gemeint, ein Anwesendsein oder Entstehen, das weggenommen oder sogar ausgelöscht wird. Etwas, das nicht mehr repräsentiert werden kann. Es geht dabei nicht um Diskurse oder Subjektpositionen, die sich in einer gegebenen Hegemonie herausbilden können (die Arten, wie die Subalterne nicht sprechen kann), sondern vielmehr um eine aktive und wirkungsvolle Entfernung bestimmter Ideen und Sprechakte aus dem Bereich des Sichtbaren oder des Möglichen, aus den Systemen der Repräsentation und Signifikation als solchen. |
[6] | Bewegt man sich außerhalb der Kunstwelt und sogar der weiter gefassten Kultursphäre, dann wird man feststellen, dass eines der wichtigsten politischen Schlagwörter der post-fordistischen, sogar der post-wohlfahrtlichen Gesellschaften Kerneuropas tatsächlich das vom "lebenslangen Lernen" ist. In ihm ist Lernen als ununterbrochener Prozess des "deskilling" und "reskilling" von Arbeit sowie Lernen als Modus der Produktion und der Produktivität selbst gemeint. |
[7] | Interessanterweise ist eine Generation von akademisch ausgebildeten und sozialisierten Künstler/innen, die tatsächlich durch die Akademie in Verbindung mit dem Markt, den Medien und dem Galeriesystem gekommen sind, in der Öffentlichkeit als anti-akademisch (im Sinne von anti-theoretisch) aufgetreten. Die Auswirkungen des b.a.- und m.a.-Systems sind demzufolge nicht einem Zuwachs an theoretischen Diskursen in den Akademien zuträglich, sie können auch das reaktionäre antitheoretische Künstler/innensubjekt der traditionellen Akademie stützen und kultivieren helfen. Klarerweise die größte Gemeinsamkeit: Connections - die Art und Weise, wie Künstler/innen in den Markt gelangen, also das Händler-Sammler-Netzwerk und die Wunschökonomie. |