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Dabei und nicht dabei Felicitas Thun über Carola Dertnig im Taxispalais, Innsbruck

Felicitas Thun Über Carola Dertnig Im Taxispalais, Innsbruck

Unter dem Titel "Nachbilder einer ungleichzeitigen Gegenwart" zeigt die österreichische Künstlerin Carola Dertnig in der Innsbrucker Taxisgalerie eine Zwischenbilanz ihrer Arbeit. Die Ausstellung organisiert sich in vier mit Video, Zeichnung, Fotografie und Text bespielten Räumen. Bereits der Titel verweist auf die für ihre künstlerische Produktion grundlegenden mnemotechnischen Verfahren, die sich in der Auseinandersetzung mit Orten persönlicher und kollektiver Erinnerung zeigen.

Dertnigs Blick auf die Topoi von individueller wie kultureller Erinnerungspolitik entwickelt eine Metaphorik, die sich aus dem bereits historischen Fundus der Performancekunst speist und in spezifischen Erzähltechniken eine multimediale Fortsetzung findet. Dabei zeigt sie keine Scheu im ursprünglichen Sinn der aristotelischen Äthetik an einer Legitimierung der Metapher als einer der wirksamsten Sprachmöglichkeiten in der Kunst zu arbeiten.

In der "Seefeld-Triologie", einer dreiteiligen "kartografischen" Demonstration von autobiografischen Erinnerungswerten, untersucht sie ihre eigenen subjektiven Emotionen, die zum Teil auf die starken baulichen Veränderungen der Umgebung des Tiroler Tourismuszentrums Seefeld zurückgehen. Der zentrale Teil der Erzählung vermittelt unter der Überschrift "Love Age" einen Moment höchster Intimität in einem filmischen und fotografischen Porträt ihrer Großmutter. "Ja schön sei der Mann gewesen, den sie im Wald getroffen habe, schlank und groß; sie hätten sich geküsst, und dann sei sie aufgewacht". Sie schließt wieder die Augen, als ließe sich der Traum so fortführen. "Unfortunately only in my dream", hören wir die nüchterne Stimme der Künstlerin aus dem Off. Die Arbeit vergegenwärtigt diesen Augenblick der Lebensgeschichte der Großmutter, aus dem ebenso persönliches Erleben spricht wie Momente der Entbehrung. "Haus Jenewein", der zweite Teil der Installation, bestehend aus einem an der Wand montierten kleinen Architekturmodell und alten Dokumentarfotos der Bauphase des Hauses, erinnert an ein für die ländliche Tiroler Gegend ungewöhnliches modernistisches Gebäude des Architekten Siegfried Mazagg. Dieses Haus, mit dem die Künstlerin - wie ein der Installation beigefügter Text erklärt - persönliche Erinnerungen verbindet, fiel einem Apartmenthaus zum Opfer. In Kombination mit der Videodokumentation eines gescheiterten Großprojekts, dem mittlerweile als Bauruine zur skurrilen Non-Site einer wuchernden Tourismuskultur gewordenen Ereignispark "Play Castle", vermitteln diese beiden Teile der Gesamtinstallation den melancholischen Blick der Künstlerin in ihre eigene Vergangenheit. Jenseits dieser emotiven, durchaus auch strategisch eingesetzten Ebene übt Dertnig Kritik an den wirtschafts- und kulturpolitischen Bedingungen der Tourismusindustrie.

"In einer großen Stadt leben siamesische Zwillinge mit den Namen Eins und Zwei ...". So beginnt "... buildings can't talk ...", eine anhand von Zeichnungen, Fotos und Texten entwickelte Bildgeschichte, deren Hauptdarsteller die Zwillingstürme des New Yorker World Trade Centers sind. Diese Arbeit geht auf einen New-York-Aufenthalt der Künstlerin zurück, bei dem sie im Rahmen eines Artist-in-Residence-Programms Räume in einem der beiden Türme als Atelier nutzen konnte. In einer Serie von Zeichnungen personifiziert sie die beiden Türme, lässt sie die Plätze tauschen oder ein Gespräch über ihre Gefühle nach dem Bombenattentat von 1993 führen. Ähnlich wie bei "Love Age" wird der/die Betrachter/in durch diesen auf subjektive Empfindungen abzielenden Ansatz involviert, damit in der Folge die Brüchigkeiten, Widersprüche und Problematiken des vermeintlich homogenen Symbols "World Trade Center" aufgezeigt werden können. Thematisiert werden Fragen der Immigration, Liebe, Trennung oder phallischen Architektur. Zusätzlich zu den Zeichnungen zeigt Dertnig in einer Fotoserie und dem Video "A room with a view in the financial district" Aufnahmen von aufgerissenen Böden, herumstehenden Einrichtungsresten und verfallenen Relikten von verkabelten Büroumgebungen. Sie bilden den visuellen Hintergrund für den mit zurückgenommener Stimme vorgetragenen Kommentar der Künstlerin zu allgemeinen ökonomischen Strukturen, deren Kontrollmechanismen, individuellen Lebensbedingungen und künstlerischen Produktionsmöglichkeiten. Heute, nachdem die beiden Türme nach 9/11 zum traumatisierten Teil des kollektiven Bewusstseins des Westens wurden und politische Positionierung einzufordern scheinen, kommt dieser Arbeit eine seltsam verschobene, fast surreale Qualität zu.

Die Installation "Lora Sana" ist ein Ergebnis aus der von Dertnig unternommenen kuratorischen Forschung zu den Bedingungen und Folgen der in den letzten Jahren verstärkt vorgenommenen Historisierung der Performancekunst. Durchaus autobiografisch - ihre Mutter war Teil der Wiener Künstlerszene der 1970er Jahre - knüpft Dertnig an die Geschichtsschreibung des Wiener Aktionismus an und versucht den aus ihrer Sicht männlich dominierten Blick zu hinterfragen. In drei Ansätzen stellt sie die Frage nach der Rolle, Funktion und dem Selbstverständnis der weiblichen "Modelle" bei den Aktionen von Otto Muehl und Rudolf Schwarzkogler. Aus einem im Katalog veröffentlichten Interview der Kunsthistorikerin Johanna Schwanberg mit Anni Brus, die in mehreren Aktionen von Muehl und der ersten Aktion Schwarzkoglers eine wichtige Rolle spielte und Gesprächen der Künstlerin mit anderen Aktionsteilnehmerinnen, destilliert sie das Statement eines fiktiven weiblichen Aktionsmodells. Dieser Text und zwei aneignend vorgehende Arbeiten, bei denen sie Fotografien der Aktionen von Muehl und Schwarzkogler fotokopiert, rahmt und die Bildsprache der Aktionisten konterkarierend überarbeitet, sind nicht als weiterer kunsthistorischer Interpretationsversuch, sondern als kritischer feministischer Kommentar zu lesen. Damit unterläuft sie strategisch die Tendenz, in den laufenden kanonisierten kunsthistorischen Diskurs integriert zu werden und kann umso wirkungsvoller von einer außen liegenden Position kritisch ansetzen.

Einen Kontrapunkt zu den multimedialen White Cubes der vorangehenden drei installativen Arbeiten bildet schließlich der verdunkelte Projektionsraum der "True Stories". Diese Serie kurzer Videosketches, ein Work in Progress seit 1997, erzählt in Form metaphorischer Gesten vom Scheitern und von Momenten der Irritation in einem öffentlichen oder halböffentlichen Lebensraum, der von den Zeitregimes ökonomischer Optimierungsstrategien geprägt ist. Die einer sichtlich unbeeindruckt bleibenden Darstellerin, Carola Dertnig selbst, unbemerkt aus dem Hosenbein entgleitende und sich quer durch eine belebte Bahnhofshalle spannende Strumpfhose oder der Versuch, ein Fahrrad in einem zu engen Fahrstuhl zu befördern, werden innerhalb einer verlangsamten Inszenierung zur verzweifelt-humoristischen Vergegenwärtigung urbaner Überlebensstrategien. "True Stories" führt uns Baudrillards Sicht, "dass dann, wenn die Illusion der Dinge verloren ist, Ironie in die Dinge kommt", exemplarisch vor. [1] Selbstironie befreit.

Carola Dertnig, "Nachbilder einer ungleichzeitigen Gegenwart", Galerie im Taxispalais, Innsbruck, 4. Februar bis 19. März 2006

Anmerkung

[1]Jean Baudrillard, Le crime parfait, Paris 1995, S. 34.