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Karin Gludovatz

Grauwerte - ein Projekt von Klub Zwei zum Gebrauch historischer Dokumentarfotografie

Klub Zwei,"Schwarz auf Weiss. Die Rückseite der Bilder", 2003 Klub Zwei,"Schwarz auf Weiss. Die Rückseite der Bilder", 2003

Bilddokumente haben in historischen und künstlerischen Verwendungen jeweils einen eigenen Stellenwert und eine eigene rhetorische Dynamik. Und das besonders bei Bildern, bei denen dem einem Dokumentationsanspruch das Verdikt des eigentlich Undarstellbaren gleich stark gegenübersteht - auch deshalb, weil es sich schon auf das Schriftsprachliche auswirkt. Vielleicht am stärksten hat sich der nicht nur sprachkritische Zweifel auf Diskussionen um die Bilder der Shoah ausgewirkt. Mit ihrer Videoarbeit "Schwarz auf Weiss - Die Rückseite der Bilder", die nur wenige Minuten dauert und vordergründig "nur" aus bewegten Texttafeln und Offstimmen besteht, haben die Künstlerinnen von Klub Zwei dem Widerstreit um die Abbildbarkeit eine konzise, fast plastische Form gegeben.

Dinge, Orte, Jahre gehen durch Emigration verloren. Dinge, Orte, Jahre sind aber auch Bezugspunkte, anhand derer sich über Emigrationserfahrungen sprechen lässt. "Things. Places. Years" nennt das Künstlerinnenduo Klub Zwei (Simone Bader und Jo Schmeiser) ihr aktuelles Projekt eines Dokumentarfilms, der sich mit den Auswirkungen von Vertreibung und Shoah auch auf nachfolgende Generationen befasst. Darin kommen Frauen zu Wort, die als Kinder oder Jugendliche aus Wien flüchten mussten und heute in London leben, sowie deren Töchter und Enkeltöchter, die das "Erbe" dieses traumatischen Prozesses zu bewältigen haben.

Bilder sind Dinge des Erinnerns, und perfiderweise dienen sie ebenso der Evokation schöner Ereignisse, wie sie die Wiederholung schrecklicher Geschehnisse durch ihre mnemotechnische Funktion verhindern sollen. Dem dokumentarischen Bild wird darüber hinaus - ungeachtet dieser Dialektik - in der privaten wie öffentlichen Geschichtsschreibung besondere Evidenz zugesprochen. Bilder als Zeitzeugen?

Im Zuge des Filmprojekts realisierte Klub Zwei eine dvd mit dem Titel "Schwarz auf Weiss. Die Rückseite der Bilder" (a/gb 2003, 5 Min.), welche die Legende von der fotografischen Verlässlichkeit anhand des wohl schwierigsten Kapitels zeithistorischer Repräsentationskritik einmal mehr zur Diskussion stellt: Was zeigen Bilder der Shoah und (wie) lässt sich mit diesen adäquat verfahren?

Die Arbeit selbst kommt formal gänzlich ohne Bilder aus - das heißt zumindest ohne solche, die man primär einem Vokabular der Visualität zurechnen würde. Sie wurde zunächst für den Monitor konzipiert, aber auch als Projektion gezeigt (Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien, März 2003). Zu sehen sind statische Texttafeln oder laufende Schriftzeilen - weiße Buchstaben auf schwarzem Grund - alternierend mit weißen Feldern, die nichts weiter abbilden als ihre eigene digitale Produktion und die stillgestellt wirken, obwohl sie in Bewegung sind.

Schwarz auf weiß garantiert üblicherweise deutliche Lesbarkeit - solches verspricht zumindest die metonymische Struktur dieser Redewendung. Sie birgt in sich das sprachliche Abbild geschriebener oder gedruckter Worte und steht sprichwörtlich für die Wahrhaftigkeit von Aussagen. Klub Zwei setzt an der in diesem Spruch verbürgten Augenscheinlichkeit der Schrift (und des Textes) an, um sie zugleich poietisch zu hinterfragen.

Die Textsequenzen von "Schwarz auf Weiss" zitieren bzw. paraphrasieren Fragmente aus Clément Chéroux' Artikel "Du bon usage des images", der die Produktionsbedingungen und die Verwendung jener Fotos untersucht, die zwischen 1933 und 1945 - trotz strengen Fotografierverbots - zu Hunderttausenden in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern und unmittelbar nach deren Befreiung aufgenommen wurden. [1] Fotos, die unter völlig unterschiedlichen Gegebenheiten entstanden, die aber allzu oft in Veröffentlichungen nicht ausreichend ausgewiesen oder unkenntlich vertauscht wurden und werden, mit der Folge, dass etwa Abbildungen der Befreiung symbolisch für die Grausamkeiten des Regimes instrumentalisiert wurden. [2] Chéroux konstatiert eine unbedingte Gegensätzlichkeit von symbolischem und dokumentarischem Bildgebrauch (T: "Das Bild als Symbol und nicht als Dokument / zu verwenden ist bis heute die Praxis") [3]. Diese Polarität ist hier jedoch insofern irritierend, als sich der symbolische Gehalt der Lagerfotos ja gerade einer vermeintlichen Authentizität verdankt, die diese durch ihren dokumentarischen Status zu garantieren scheinen. Für Chéroux bildet diese Gegensätzlichkeit aber die Grundlage seiner Forderung nach dem "richtigen Umgang" mit dem vorhandenen Material, der sich auf dessen historische Kontextualisierung gründet. Der Autor konzentriert seinen Begriff des "Dokumentarischen" vor allem auf die diesem innewohnende Historizität und Nachträglichkeit. Insofern insistiert er auf einer archivarischen Praxis, die nicht nur von der Anschaulichkeit eines fotografischen Dokuments ausgeht, sondern mit dieser akribische Recherche verbindet. Spurensuche, die vor allem auf das Nicht-Sichtbare oder Verborgene, nicht zuletzt auch auf die Rückseiten der Bilder abzielt, denen sich in Form von Vermerken häufig deren Geschichte eingeschrieben hat - eine Geschichte, die sich auf den Darstellungsgegenstand beziehen kann, die aber vor allem den Weg des Fotos kommentiert und darüber vermittelt vielleicht auch etwas über dessen Evidenz auszusagen vermag (T: "Die Rückseite enthält Spuren der Geschichte / Spuren der Geschichte des Bildes. / FotografIn / Sichtvermerk der Zensur / Stempel einer Behörde / Papiermarke / Stempel eines Presseorgans").

Der auf Französisch erschienene Text dient als Ausgangspunkt für die Formulierung der schriftlichen Statements in "Schwarz auf Weiss" (z.B. T: "Fahrlässigkeit im Umgang / mit dem fotografischen Gedächtnis / erleichtert die Geschichtsfälschung."), die dvd wurde in bulgarischer, deutscher, englischer, französischer und polnischer Fassung produziert. [4] Ganz reduziert und dennoch bildfüllend erscheinen die serifenlosen weißen Buchstaben (Schrifttyp: Arial) vor schwarzem Grund, sie stehen still, schieben sich seitlich in das Bildfeld, fallen von oben, gleiten nach unten, weichen dann gänzlich, wenn die weißen Lichtfelder zu sehen sind, parallel zu diesen ertönt aus dem Off die Stimme einer Archivarin.

Diese Tonsequenzen stammen aus einem Interview mit Rosemarie Nief, der Leiterin des Fotoarchivs des Institute of Contemporary History and Wiener Library [5] in London, die im Originalton zu hören ist, wenn auch übersprochen von den jeweiligen Übersetzungen. Sie äußert sich zu Fotos aus dem Archiv und wie auch Chéroux zu deren ursprünglichem und gegenwärtigem Kontext sowie zu deren Verwendung: "Wir haben Fotos im Archiv, die von den Nazis aufgenommen wurden und Fotos, die die Alliierten aufgenommen haben. / Die Fotos wohnen zusammen in einem Album. Sie hatten grundverschiedene Absichten, und das geht verloren." (I)

Die für die Arbeit ausgewählten Textfragmente sprechen in einer Weise für einen sorgsamen Umgang mit den Bildern, die in ihrer Programmatik zunächst irritiert: "Diese Bilder müssen gezeigt werden. / Oft wird nur ihre Vorderseite gezeigt. / Die Rückseite der Bilder wird vergessen." (T) Der dogmatische Ton mag nerven, ebenso wie der instruktive Charakter provozieren, der Inhalt scheint selbstverständlich - und pointiert doch die Rezeptionsdefizite der Betrachter/innen.

Geschriebene und gesprochene Sprache folgen aufeinander, immer wieder wird das jeweils andere für die Dauer des einen ausgeschaltet, abwechselnd und unhierarchisch, denn was dem Text das eindringliche und signifikante Schriftbild, ist der Stimme die blendend weiße Fläche, die das parallel beschriebene Bild negieren soll, nicht ohne die Projektionsfläche für imaginative Bilder zu bieten, wenn Nief etwa bestimmte Fotos benennt: "Das ist der Warschauer Ghettoaufstand, das Foto ist wie ein Symbol für den Holocaust. Manche Bilder wurden oft verwendet. Vielleicht zu oft und das ist eines von ihnen."

Welche Bilder sind es nun, die "Schwarz auf Weiss" nicht zeigt, die sogar dezidiert nicht sichtbar gemacht werden und die doch omnipräsent sind - buchstäblich in der Schrift und in den Aussagen der Archivarin, ephemer in der Vorstellung?

Bilder, die es gar nicht hätte geben sollen - zunächst freilich, weil dies noch viel mehr für die Ereignisse gilt, die sie abbilden, faktisch auch, weil die Nationalsozialisten im Glauben an die Beweiskraft von Bildern die fotografische Dokumentation in den Lagern bei Strafe untersagten und nur eine kontrollierte, im Rahmen der Propaganda verwertbare bzw. für die Administration benötigte Bildproduktion zuließen. Sie setzten auf das menschliche Unvermögen, sich die Geschehnisse hinter den Zäunen vorzustellen, überzeugt davon - so Hannah Arendt -, dass niemand etwaige aus den Lagern nach außen dringende mündliche Schilderungen geglaubt haben könnte. [6] Die ss-Angehörigen hinterließen dennoch - trotz intensiver Zerstörungsmaßnahmen in den letzten Kriegstagen - eine derart umfassende Menge an Fotos, die vermuten lässt, da die meisten Fotos davon nicht öffentlich werden durften, dass diese Bilder zu einem großen Teil für deren privaten Gebrauch entstanden, sorgsam archiviert ein Nach(er)leben der eigenen Taten garantieren sollten. [7] Die Misshandlung und systematische Ermordung der Gefangenen fand so nicht nur tatsächlich statt, sondern konnte auch "in effigies" nachvollzogen werden.

Die Entscheidung von Klub Zwei, diese Fotos nicht sehen zu lassen, schließt an eine künstlerisch-dokumentarische Praxis an, für die Claude Lanzmann mit seinem Film "Shoah" (1985) wegweisend war: Lanzmann hat darin unter Verweigerung historischer Lagerbilder und durch "sachliche ‚Fachgespräche'" [8] mit Überlebenden, Zeitgenossen und (ehemaligen) Nazis mehr über die nationalsozialistische Vernichtungspolitik gezeigt und an Reflexion in Gang gesetzt als sämtliche "Aufklärungsfilme", die auf den visuellen Schock durch die Fotos der Toten, Misshandelten und der Tötungsmaschinerie abzielten. In "Schwarz auf Weiss" sind nun genau diese Fotos Thema, ohne dass ein einziges davon sichtbar würde. Die Arbeit ist keinesfalls eine ikonoklastische Konsequenz aus dokumentarischem Bildgebrauch bzw. -missbrauch. Was an didaktischem Gestus angesichts solch einer Konzeption zu befürchten stünde, wird durch ihre strukturelle Dichte in der spezifischen "Verwebungstechnik" der Text- und Sprachfragmente und dabei vor allem gerade durch Risse und Nahtstellen in diesem "Gewebe" außen vor gelassen. Der Anspruch von "Schwarz auf Weiss" liegt zweifellos darin, leise zwar, aber konsequent Übersetzungsmodi zu reflektieren, die für den Umgang mit Bildern, mit dokumentarischen Bildern im Speziellen sensibilisieren sollen. "Die" Bilder der Shoah gibt es nicht, davon geht die Arbeit von Klub Zwei aus und legt von Anfang an offen, dass es stets zu bedenken gelte, wer welche Fotos unter welchen Bedingungen und zu welchem Zweck hervorbrachte. Eine Homogenität des Materials kann nicht bestehen, selbst wenn die ikonografische Konstante von Misshandelten und Ermordeten solches zu suggerieren scheint und so eine Gleichmachung in der Rezeption fördert. Die Bilder verschiedener Entstehungskontexte wurden nach 1945 häufig gemeinsam als zentrales Moment einer "Erinnerungsarbeit" installiert, was in vielerlei Hinsicht problematisch ist. Denn die Alliierten setzten im Gegensatz zu den Nazis gerade auf die Bannung der Verbrechen in der Fotografie, um die Wirklichkeit des "Unvorstellbaren" zu behaupten: Die Fotos wurden zur Beweisführung im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess 1945/46 verwendet, als Medium der visuellen Entnazifizierungsbemühungen in Deutschland eingesetzt und schließlich als historisches "Aufklärungsmaterial" in der ganzen Welt verbreitet. [9] Dieses sollte sichtbar machen, was nicht zu denken war, und ein Bild des Grauens verbreiten, was zweifellos gelang (T: "Das schockierende Bild wurde 1945 / dem dokumentarischen vorgezogen"). Den Bestrebungen der Nationalsozialisten, bei ihrem Rückzug Orte und Beweise ihrer Taten auszulöschen und derart die Vernichtung der Menschen durch die Vernichtung der Spuren endgültig zu machen, wurde so entgegengewirkt und damit der Versuch unternommen, die Verbrechen der Öffentlichkeit in aller Deutlichkeit vor Augen zu führen. 10 Dabei war jedoch auch eine bestimmte Blickweise vorgegeben, welche die Betrachter/innen bisweilen in einen zwischen zweifelhafter Empathie und distanzierter Überforderung schwankenden Zustand versetzt, jedenfalls vor allem auf eine affektische Rezeptionshaltung abzielt. Diese zieht den Schock der Reflexion vor und hält an Bildern fest, die den Überlebenden die Lösung von einer durch "Täter" und "Befreier" festgelegten "Opferrolle" erschwert, weil die Reproduktion dieses spezifischen Blicks in immer neuen Abzügen auch bestimmte Machtstrukturen (re)produziert. (T: "Was hat sich ereignet / zwischen dem Zeitpunkt / der Entstehung der Bilder / und dem ihrer Rezeption.")

"Schwarz auf Weiss" ist auch eine Arbeit über die Macht des Bildgebrauchs, des historischen, aber mehr noch des gegenwärtigen. Sie legt es formal selbst darauf an, den Betrachterblick streng zu strukturieren, legt diesen bestimmenden Gestus aber stets offen (nicht zuletzt dadurch, dass man die Worte der laufenden Schriftzeilen in deren Fragmentierung "verliert") und verweist damit auf autoritäre Rezeptionsvorgaben. Wer zeigt welche Bilder, unter welchen Bedingungen und zu welchem Zweck? Wie verändert sich der Blick unter verschiedenen Voraussetzungen? Fragen, die in der Anschauung dieser Fotos stets mitzudenken sind. (I: "Woran erinnern wir uns, welche Bedeutungen produzieren wir?")

Die Kritik von Klub Zwei am Umgang mit Dokumenten kommt schlicht und eindringlich daher. Sie potenziert sich in der Anhäufung der Statements, die letztlich in ihrer Gesamtheit zahlreiche Ansätze zu einer Kritik an Bildgebrauch und Sichtbarkeitspolitik liefern. Sowohl das Interview als auch die Zusammenstellung der Textfragmente würden durchgängig gehört/gelesen eine logische Argumentationsfolge aufweisen. Diese entzieht sich nun durch die wechselseitigen Einschübe den Betrachter/innen. Miteinander bzw. gegeneinander gelesen sind die sprachlichen Beiträge isoliert und gewinnen dadurch ihren programmatischen Charakter, auf visueller Ebene wird jedoch eine argumentative Struktur entwickelt, die gerade über ihre Lücken, welche die Texte ex negativo nochmals umreißen, Konsistenz aufweist. Die Plakativität der einzelnen Aussagen, die so nie auf einen Blick erfasst werden können, ist in selbstreflexiver Weise gebrochen.

Denn die Statements weisen vor allem als - anschauliche - Textgestalt über sich hinaus. Die Aufspaltung der Textstellen in singuläre Bildschirmfelder, die erschwerte Lesbarkeit zusammenhängender Passagen durch einzelne Zeilen, die von oben, unten oder der Seite ins Bildfeld eingeschoben werden, sich der korrekten Leserichtung entziehen, wodurch sie ihren Inhalt erst langsam erschließen, und nicht zuletzt die blendenden weißen Felder transponieren die zahlreichen Übersetzungsprozesse, die sich im Bildgebrauch im Wechsel von Produktion - Rezeption - Reproduktion ergeben ins Bildliche. Während man liest und hört, was es im Umgang mit den Fotos zu beachten gilt, sieht man die Schwierigkeiten immer mit: mal sieht man zuviel, dann wieder gar nichts, und schlecht zu lesen ist es auch noch (so man sich nicht Zeit nimmt). Das subtilere kritische Potenzial der Arbeit liegt also in der visuellen Artikulation von Übersetzungsschwierigkeiten, womit sie buchstäblich die "Allegorisierung" eines kritischen Dokumentarismus, der die Transformationen mitdenkt, vollzieht.

Ein wesentlicher Punkt ist, dass "Schwarz auf Weiss" die Verlässlichkeit der Schrift als Dokument ebenso hinterfragt wie die des Bildes: Eben auch die Worte sind einem Auswahlprozess unterworfen. Chéroux geht in seiner Kritik am sorglosen Einsatz von Bildunterschriften und anderen Paratexten darauf ein.

Bei aller Insistenz auf Nicht-Sichtbarkeit und gerade durch die kritische Hinterfragung von dem, was an bildlicher und schriftlicher Überlieferung zur Shoah heute vorhanden ist, wie dieses gezeigt und rezipiert wird, distanziert sich "Schwarz auf Weiss" vom Postulat der Unvorstellbarkeit/Unsagbarkeit. [11] Mit der Analyse von vier Fotos, aufgenommen in Auschwitz von Mitgliedern des Sonderkommandos, [12] hat der Kunsthistoriker und Philosoph Georges Didi-Huberman in Frankreich erneut die alte Diskussion um die (Un-)Vorstellbarkeit und Darstellbarkeit der Shoah entfacht. [13] Didi-Huberman hat diese "Bilder trotz allem" genannt und damit sowohl auf die Schwierigkeiten und Risiken, unter denen sie entstanden sind, als auch auf unsere Unfähigkeit einer "adäquaten" Betrachtungsweise Bezug genommen. [14] Diese "(Bild-)Fetzen" ("lambeaux"), wie er sie nennt, seien einer Realität entrissen worden, die außerhalb ihrer hermetisch abgeschirmten Produktionsgrenzen als unvorstellbar galt. Sie waren von jemandem, der dieser Realität angehören musste, in der Absicht erzeugt worden, etwas davon nach außen sichtbar zu machen (die Bilder wurden aus dem Lager geschmuggelt und an den polnischen Widerstand weitergegeben). Zwei der Aufnahmen lassen in weiter Entfernung die Verbrennung von Ermordeten sehen, während ein drittes Frauen auf dem Weg zur Exekution und ein viertes Baumwipfel und Himmel zeigen. Didi-Huberman sieht die schwierigen Umstände, die Heimlichkeit ihrer Produktion diesen Bildern eingeschrieben, evident an Unschärfe und Bildausschnitt - sie seien primär Relikte, wenige, aber eben sichtbare Überreste des Geschehenen.

Besonders der Psychoanalytiker Gérard Wajcman, der bereits wiederholt darauf hingewiesen hatte, dass die Shoah ohne Bild war und auch bleiben müsse/werde, sprach sich gegen Didi-Hubermans Betrachtung dieser Fotos aus: Dieser betreibe solcherart gleichsam deren religiöse Fetischisierung. [15] Seine Skepsis ist nicht unbegründet: Jedes Foto bildet mehr oder weniger seine Entstehungsumstände mit ab, in der Wahl des Motivs, des Blickwinkels, des Bildausschnitts, der Entfernung, des Schärfegrads etc., trägt also auch die "Handschrift" seines Erzeugers, übersetzt durch die sich abzeichnende Apparatur. Den indexikalischen Aspekt gerade bei diesen Fotos zu forcieren ist ebenso einleuchtend wie gewagt: Ersteres, weil sich der Akt des Produzierens besonders nachdrücklich eingeschrieben hat und so nicht nur das Gesehene ins Bild übersetzt, sondern auch die erschwerte Bildproduktion selbst dokumentiert. Letzteres, weil eine Fixierung auf diese Spur des Mannes (der die Fotos machte) und der Umstände (unter denen sie entstanden) eine Mythisierung der Gegebenheiten installieren kann - sie als exzeptionell in ihrer Zeitgenossenschaft hervorhebt, was zwar für die Existenz der Fotos gelten mag, keinesfalls jedoch für das, was darauf zu sehen ist, denn die dokumentierten Vorgänge waren entsetzlicher Bestandteil des täglichen Lebens in den Lagern, genau um das zu vermitteln, entstanden diese vier Fotos. [16] Ein Beharren auf der Unvorstellbarkeit der Shoah (das nicht zuletzt auch die Realität des Durchlittenen aller Überlebenden implizit in Zweifel zieht) bedingt logischerweise auch eine Unmöglichkeit ihrer Abbildungen. Diese scheint letztlich in einem Glauben an die "Wahrheit" von Bildern begründet, die viel eher eine Unvermitteltheit von Ereignis und Abbild meint - von einer "Wahrheit" in diesem Sinn hat sich Didi-Huberman in seinen Analysen der vier Sonderkommando-Fotos jedoch explizit distanziert, vielmehr zu Recht auf deren Darstellungspotenzial verwiesen.

Auch "Schwarz auf Weiss" setzt ganz dezidiert gerade beim Wissen um die Bilder an, Wissen um ihre Existenz, um ihre Problematik, um ihre Bildlichkeit - die nicht über Repräsentation hinausgehen kann. In der Struktur der Arbeit findet die Frage nach dem Vermögen des "Bildlichen" eine Entsprechung in der ihr eigenen Bildproduktion. Das im Titel artikulierte Verhältnis von schwarz auf weiß wird in weiß auf schwarz gewendet - weiße Buchstaben vor schwarzer Fläche. Nimmt man den Titel nun wörtlich, ist das Schwarz wie eine Folie zu sehen, die auf die weiße Fläche gelegt, aus dieser Buchstaben hervorhebt, Inhalte konturiert. Dieses Verfahren den unbedeckt gebliebenen weißen Flächen assoziiert, weist jene als (Ab-)Gründe aus, denen mit gleichen Mitteln potenziell ebenfalls noch einiges zu entlocken wäre. Das Bild entsteht - im Abdruckverfahren als Negativ, wie es die Umkehr von Titel und Schriftfläche nochmals betont. Darin liegt nicht nur eine Referenz auf die Fotografie, sondern auch eine grundsätzliche Offenlegung der Machbarkeit und Vermitteltheit jeder visuellen (und textlichen) Produktion. Jedoch keine Absage an das Bild, und schon gar nicht eine Marginalisierung dessen, was die der Arbeit zugrunde liegenden Fotos zeigen. Aber es steht außer Frage, dass die Fotos der Shoah nicht einmal annähernd einen Eindruck des von den Betroffenen Erlebten vermitteln können. (I: "Denn das Bild ist nicht der oder die Überlebende, die von ihren Erfahrungen sprechen. Sie sind nicht auf dem Bild. Also ist die Bedeutung, die entsteht, manchmal fiktiv.") Die letzte Gruppe der hier besprochenen Fotografien sind nicht nur Bilder "trotz allem", sondern zugleich trotz allem Bilder - und Letzteres lässt sich auch von den anderen sagen. Inwiefern kann es also überhaupt um die Vorstellbarkeit der Shoah gehen? - Sie ist geschehen, also muss sie für uns auch vorstellbar sein. Die Darstellbarkeit ist eine andere Frage und in Hinblick auf das, was Repräsentationen eben leisten können, zu differenzieren. Denn die Bilder existieren, sie entstanden unter verschiedenen Bedingungen und mit divergierenden Intentionen, Tausende Geschehnisse, abgebildet von einer Unzahl an Fotografierenden - wie also mit ihnen verfahren? (I: "Im Gedenken an den Holocaust haben Bilder eine sehr heikle Rolle. Wenn wir ein bestimmtes Bild heranziehen, was sehen wir dann wirklich? Und woran erinnern wir uns?")

Als Beitrag zur Dokumentarismusdebatte ist die Frage nach Sichtbarkeit bzw. Sichtbarmachung von Bildern Inhalt von "Schwarz auf Weiss", gerade aber als visueller Diskussionsbeitrag ist diese Frage auch bestimmend für dessen Form. Klub Zwei sucht eine Antwort in einem dokumentarischen Ansatz, der die Rolle der "Dokumente" gerade durch ihre offensichtliche Nicht-Sichtbarmachung problematisiert, und stellt sich damit gegen eine Unsichtbarmachung, wie sie ein fahrlässiger oder auch nur nachlässiger Umgang mit Fotos der Shoah nach sich zieht, der den historischen Kontext nicht berücksichtigt, "Ikonen der Vernichtung " [17] in der Erinnerungskultur etabliert und inflationär bis zur Verfälschung reproduzierte Abzüge verbreitet: "Jede Generation von Kopien / erhöht den Kontrast / Grautöne und Details verschwinden. / In der x-ten Generation / dominieren schwarz und weiss." (T) Die Arbeit von Klub Zwei macht die Grauwerte schwarz auf weiß wieder deutlich.

Anmerkungen

[1]Clément Chéroux, "Du bon usage des images", in: Ders. (Hrsg.), Mémoire des camps. Photographies des camps de concentration et d'extermination nazis (1933-1999), Paris 2001, S. 11-21.
[2]Vgl. ebd., S. 15-16.
[3]Die einzelnen Statements durchziehen als reproduzierbare Fragmente der Arbeit den vorliegenden Artikel, es wird zwischen Text- (T) und Interviewpassagen (I) unterschieden.
[4]Die mehrfache Auflage ist durch verschiedene Aufführungsorte bedingt bzw. durch die Originalsprache der Beiträge vorgegeben.
[5]Diese Einrichtung führt ihre Bestände auf die Materialsammlungen von Alfred Wiener zurück, der bereits 1933 in der Amsterdamer Emigration Informationen zum Naziregime und speziell zur Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung zusammentrug. Das älteste Archiv zur Shoah verfügt über einen umfangreichen Bestand an Fotos aus den Konzentrationslagern, die sowohl im Auftrag der Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945, von Fotografen der Alliierten im Zuge der Befreiung 1945, als auch - verständlicherweise zu sehr geringem Teil - von Gefangenen stammen. http://www.wienerlibrary.co.uk
[6]Hannah Arendt, "Social Science Techniques and the Study of the Concentration Camps", in: Jewish Social Studies, Band 12, Nr. 1, 1950, S. 49-64.
[7]Zeugnis für einen solchen privaten Gebrauch der Bilder gibt z.B. ein Album, das die Deportierung jüdischer Ungar/innen nach Auschwitz vom Transport bis zur Verteilung im Lager zeigt. Bildunterschriften wie etwa "nicht mehr einsatzfähige Frauen und Kinder" sind feinsäuberlich kalligrafiert. Das Album war offensichtlich als Liebesgabe gedacht, denn es trägt die Widmung "Andenken von Deinem Lieben und Unvergesslicher und Treuliebender Heinz". Dazu: Yasmin Doosry, "Vom Dokument zur Ikone: Zur Rezeption des Auschwitz-Albums", in: Dies. (Hrsg.), Representations of Auschwitz. 50 Years of Photographs, Paintings, and Graphics, O´swi?ecim 1995; Chéroux, a.a.O.
[8]Claude Lanzmann, Shoah, Düsseldorf 1986, S. 273.
[9]Vgl. Cornelia Brink, Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945, Berlin 1995; Bibliografie von Ute Wrocklage, Fotografie und Holocaust. Annotierte Bibliografie, Frankfurt/M. 1998.
[10]Zum Teil wurden Szenen aus den Lagern während des Nazi-Regimes nach der Befreiung für die Publikation in Zeitungen der Alliierten offenbar nachgestellt (Picture Post, 5. Mai und 16. Juni 1945), ohne dass der begleitende Artikel darauf hinwies. Vgl. dazu Ludger Derenthal, Bilder der Trümmer- und Aufbaujahre. Fotografie im sich teilenden Deutschland, Marburg 1999, S. 20.
[11]Vgl. zur Geschichte dieser Diskussion: Georges Didi-Huberman, "Images malgré tout", in: Chéroux, a.a.O., S. 219-241, bes. S. 227-233.
[12]Eine Einheit von Gefangenen, die zur Durchführung der Exekutionen gezwungen wurde.
[13]Vgl. etwa die Rezeption von Filmen, wie besonders natürlich Claude Lanzmanns "Shoah". Dazu: Ilan Avisa, Screening the Holocaust. Cinema's Images of the Unimaginable, Bloomington, Indianapolis 1988.
[14]Didi-Huberman, a.a.O.
[15]Zu früheren Äußerungen Wajcmans: Gérard Wajcman, L'objet du siècle, Paris 1998. Didi-Huberman, a.a.O., S. 231. Vgl. Peter Geimer, "Bilder trotz allem. Didi-Huberman über Fotografien aus Auschwitz", in: Süddeutsche Zeitung, 16. Juni 2003.
[16]Dies wird über eine formale Lösung, wie Lanzmann sie gefunden hat, besonders eindringlich: In seinen Gesprächen mit Überlebenden wiederholen und gleichen sich viele der Schilderungen. Wie muss man sich also angesichts dieser - im Verhältnis zur Gesamtzahl der Ermordeten und Misshandelten - so geringen Zahl an Sprecher/innen erst die Multiplikationen von deren Erzählungen vorstellen?
[17]Brink, a.a.O.