Das Symposium "Die Visualität der Theorie Vs. die Theorie Des Visuellen" im Künstlerhaus Bremen
Auf einem der beiden Symposien zum zehnjährigen Jubiläum des KünstlerHauses Bremen trafen sich vor kurzem Theoretiker/innen unter dem selbstreferentiellen Motto "Die Visualität der Theorie vs. Die Theorie des Visuellen".
Schon ein solcher Titel vermochte anzudeuten, dass hier das theoretische Sprechen über Bilder nicht zur Geläufigkeitsübung - etwa im noch immer zu bestimmenden Rahmen von "Visual Studies" - werden sollte. Dagegen sollte hier vor allem die nicht nur für naturwissenschaftliche Diskurse entscheidende "Bildhaftigkeit" theoretischer Konstrukte mitgedacht werden.
Auseinandersetzungen über Kunst in den neunziger Jahren hinterfragen in letzter Zeit die auch in Texte zur Kunst diskutierte historische Schablone, nach der politische, kritische Kunst zu Beginn der neunziger Jahre die bildliche Ebene der Auseinandersetzung hatte verlassen müssen. Es galt, sich von den bildgewaltigen, affirmativen Achtzigern abzusetzen, das Visuelle stand unter dem Generalverdacht des Falschen, der Manipulation, wohingegen Schrift und Sprache als Mittel auch eines künstlerischen kritischen Diskurses verstärkt zur Anwendung kamen. In den letzten Jahren jedoch entdeckten auch die Vertreter/innen dieser Praxis das kritische Potenzial der Bilder neu und suchen seitdem nach dem rechten Verhältnis. Eine solche Darstellung der jüngsten Kunstgeschichte und die Macht, mit der auf der Documenta11 die Geste der kritischen, theoriebewussten und aufklärerischen Kunst über die Evidenz der dokumentarischen Ästhetik inszeniert wurde, gab den Initiatorinnen des Bremer Symposiums Anlass, nach dem aktuellen Stand der Dinge zu fragen: Wie vertragen sich ein kritischer theoretischer Diskurs über das Visuelle, der mit dem von W.J.T. Mitchell attestierten "Pictorial Turn" in engem Zusammenhang steht, und der Anspruch visueller Strategien in der Kunst, kritische Diskursivität auf der Ebene der Bilder selbst herzustellen? Besteht, so die von Nina Möntmann und Dorothee Richter vorab gestellte Frage, nicht die Gefahr, dass die Wirkungsmacht des (bewegten) Bildes die Betrachter/in zum/zur passiven Zuschauer/in der Inszenierung von Kritik macht, ohne Raum für Distanz und Reflexion?
Bezeichnenderweise vermittelten die Sprecher/innen der Tagung in oft bildhafter Sprache ihre Thesen über das Feld des Visuellen - ohne dabei mit nur einem Wort die strukturelle Problematik ihres eigenen Mediums, der Sprache, zu erwähnen. Die Aufteilung der Redner folgte streng der im Veranstaltungstitel polemisch gesetzten Lagerbildung. Am ersten Tag beschrieb Martin Conrads' Diskursanalyse der Begriffe "Kontext" und "content" den Imagetransfer von Kunst und Ökonomie. Tom Holert stellte in seiner "Diagrammatik der Visualität" eine an Foucault angelehnte theoretische Perspektive zur Beschreibung von Visualität vor. Renata Salecl reflektierte aus lacanistischer Perspektive über den Stellenwert von Images, nach dem sich das Subjekt als Bild von sich selbst konstituiere und so seine pathologischen Ängste banne. Diedrich Diederichsen schließlich komplettierte den Reigen wichtiger, aber weitgehend bekannter Positionen zur Theorie des Visuellen mit einem Versuch über die Bildproduktion der Popmusik.
Es blieb Beatrice von Bismarck und Hito Steyerl vorbehalten, in exemplarischen Analysen konkreter filmisch-künstlerischer Aussagen den Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis zu schlagen und damit ein mögliches Zusammengehen der vom Symposium ins Verhältnis gesetzten Diskursformen zu veranschaulichen. Erstere demonstrierte in einer exakten Analyse von Paul McCarthys und Mike Kelleys "Fresh Acconci" (1995), wie die beiden jüngeren Künstler Vito Acconcis historische Position in Hinblick auf Gender-, Medien- und postkoloniale Diskursentwicklungen auffrischen. Zwar hatte Acconci in seinen der jüngeren Arbeit zugrunde liegenden Video-Performances sich an einer Problematisierung des Subjekts in Bezug auf den physischen und soziokulturellen Raum der Kunst versucht, seine Kritik, so Bismarck, fällt letztlich doch auf die Authentizität des männlichen Künstlersubjekts zurück. Das Remake entkommt seinem Vorbild auf drei Ebenen: 1. Ersetzen des Künstlers durch Schauspieler/innen, 2. Ersetzen binärer durch multiple Geschlechterkonstellationen und Aufbrechen der Dominanz des weißen Körpers durch afroamerikanische Schauspieler/innen, 3. Verlagerung der Handlung vom Kunstfeld auf das Gebiet der Glamour-, Werbewelt und der Massenmedien (vom Atelier zur Luxusvilla mit den für die Soap Opera typischen establishing shots). Als glatte Oberflächen präsentieren sich dort die nackten Schönheiten, ohne aber konkret das Objekt ihrer Werbung preiszugeben. Genau in dieser Leerstelle sieht von Bismarck das kritische Potential der Arbeit und ihrer Hinterfragung des Mediums: "Die sich um sich selbst drehenden Gesten des Werbens um Aufmerksamkeit lassen sich als eine Kritik an der Begehrensproduktion der Massenmedien verstehen".
Die Filmemacherin und Filmtheoretikerin Hito Steyerl schließlich untersuchte an drei Beispielen Wahrheitsprozesse in der dokumentarischen Artikulation von Protest. Die vom Independent Media Center Seattle produzierte Reportage "Showdown in Seattle" (1999) erhebt den Anspruch, "alternative" Bilder über die Proteste gegen die Verhandlungen der WTO in Seattle 1999 zu zeigen und so den Darstellungen der offiziellen Berichterstattung die wahren Umstände der Veranstaltung entgegen zu stellen. Die Protestbewegung wird in einer Aneinanderreihung von "talking heads" als heterogene Kombination diverser politischer Gruppen dargestellt. In der Formensprache analog zu den kritisierten Corporate Media, gerät so die bloße Addition unterschiedlicher Statements zum Garanten der authentischen "Stimme des Volkes". Steyerl kritisierte die unreflektierte Übernahme formaler Strategien der politischen Gegner, durch die nur eine Wahrheit durch eine andere ersetzt werde. Zudem ließe sie die Frage offen, wie die teilweise stark kontroversen politischen Forderungen vereint und vor allem wie sie vermittelt werden sollen. Dem entgegen stellte sie Jean-Luc Godards und Anne-Marie Miévilles selbstkritischen Film "Içi et ailleurs" (1974). Darin reflektieren sie einen von ihnen produzierten Propagandafilm für die PLO über die Unterdrückung des palästinensischen Volkes, im Film symbolisiert durch ein in Szene gesetztes kleines Mädchen. Vier Jahre später erkennen die beiden vor allem die Gefahr des additiven "Und" der Montage, das Bilder zu Aussagen zusammen zwingt und Widersprüche zugunsten einer einheitlichen Aussage unterdrückt. Indem Godard und Miéville die materiellen Bedingungen filmischer Konstruktion von Wahrheit dekonstruieren, weisen sie zwar auf die ideologischen Gefahren des Filmbilds hin, bieten aber keine Alternative für die Formulierung kritischer Gegenstimmen.
Als dritte Position zu den beiden Extremen, der bloßen Addition und ihrer ständigen Reflexion, zeigte Steyerl "Danish Elections, (2001) von spacecampaign.org. Zu sehen ist eine (Protest?-)Aktion im dänischen Wahlkampf: Eine stereotyp zur Perserin stilisierte Frau singt die dänische Nationalhymne, als fremdenfeindliche Politiker/innen an ihr vorbei ein Gebäude betreten, wird dabei von der Presse gefilmt. Das Fernsehen berichtet, der Moderator zeigt sich aufgrund der uneindeutigen Absicht aber ratlos. Das "Opfer der Unterdrückung" handelt selbst, die Inszenierung der "Stimme" bleibt aber offensichtlich, und gerade durch die Ambivalenz gelangt ein Bruch in die vermeintliche Wahrhaftigkeit der Fernsehnachrichten. Mit dieser Position kommentierte Steyerl auch ihre Verwunderung und Besorgnis über das gegenwärtige Interesse der Kunst am Dokumentarfilm: Anders als in der filmtheoretischen Debatte stehe er hier zu häufig für das Echte, Authentische, letztendlich vielleicht für die Sehnsucht nach Wahrheit.
Tagung "Die Visualität der Theorie vs. Die Theorie des Visuellen", KünstlerHaus Bremen, Konzept: Nina Möntmann, Dorothee Richter, 12. und 13. Oktober 2002.