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Tom Holert

Vom P-Wort Der Positionsbegriff im Jargon der Kunstkritik

Sigmar Polke, "Schimpftuch", 1976 Sigmar Polke, "Schimpftuch", 1976

Der Begriff der "Position" scheint eine Art Generalaufhänger für jedwede Art von Kunst geworden zu sein. Es gibt wohl kaum einen Künstler/eine Künstlerin, die/der sich nicht mit diesem Begriff konfrontiert sehen würde oder ihn für sich in Anspruch nähme. Schnellere Subsumtion, kuratorische Wendigkeit und journalistische Handhabung spielen bei diesem Platzhalterwort Hand in Hand. Eine kleine Begriffsanalyse rät dazu, endlich Abstand von ihm zu nehmen.

"Sooner or later the artist is implicated or devoured by politics even without trying. My ‚position' is one of sinking into an awareness of global squalor and futility."

Robert Smithson, 1970 [1]

Seit vielen Jahren ist das Wort eine Lieblingsvokabel der deutschsprachigen Kunstkritik und der Prosa hiesiger Kunstinstitutionen: ‚Position'. Mal werden "dekonstruktivistische Positionen in Architektur und Kunst" verhandelt, dann wieder "klassische Positionen wie Hans Arp, André Derain ..." Man "versammelt Positionen", zum Beispiel: "Positionen zeitgenössischer Kunst aus Berlin" oder "Positionen des Informel". Am Ende geht es oft um "vermisste Positionen", wenn nicht gar um "Positionen zum Ich". [2]

‚Position' ist nicht der einzige Begriff, der sich im Kunstjargon festgesetzt hat und über den nachzudenken sich vielleicht lohnen würde. Vieles könnte man etwa über ‚Strategien', ‚Ansätze', ‚Situationen', ‚Projekte', ‚Inszenierungen', ‚die Arbeiten von ...' oder durch Künstler/innen oder Kurator/innen ‚bespielte' Räume sagen. Im mehr oder weniger gepflegten Kunstdiskurs aber hat sich besonders die ‚künstlerische Position' zu einer Universalfloskel entwickelt, die wohl ihresgleichen sucht. Nicht nur die Hartnäckigkeit, mit der die rhetorische Flucht in die ‚Position' angetreten wird, auch die Tatsache, dass es sich offensichtlich um eine Spezialität deutschsprachiger Texte und Gespräche zur Kunst handelt, ist aufschlussreich. Das fällt besonders auf, wenn in entsprechenden englischsprachigen Verlautbarungen von "artistic positions" geredet wird: Entweder handelt es sich um verzweifelte Übersetzungen einer eigentlich unübersetzbaren Vokabel, oder der englische Text versucht sich auf diesem Weg die Allüre deutscher Kunstprosa-Tiefsinnigkeit (mit einem Schuss Derrida [3]) zuzulegen. [4]

Was eine solche ‚Position' alles sein kann, entscheidet sich im Zusammenhang und im Gebrauch. Mit "Unterstützung der Deutschen Städte-Reklame GmbH" ist es möglich, ‚künstlerische Position', Medium und Sponsoreninteresse zu verbinden - einfach, indem man versucht, "auch dem für die künstlerische Position und das gewählte Medium so bedeutsamen Aspekt der Distribution gerecht zu werden".

Bisweilen ist die ‚künstlerische Position' mit der Künstlerin identisch ("Wie keine andere künstlerische Position thematisiert Sophie Calle [1953*] in ihrem umfangreichen und vielschichtigen Œuvre die Auflösung traditioneller Vorstellungen von Identität", findet eine Kunstpreisjury); dann wieder setzt sich die wandelbare ‚Position' aus verschiedenen Faktoren zusammen, wie z.B. bei Piero Manzoni, der in "vielen Ansätzen und Formen gearbeitet und seine künstlerische Position immer wieder verändert" hat. Und Beuys?, will man da fragen: "Beuys stellt durch seine radikale Erweiterung des Kunstbegriffs eine künstlerische Position der Gegenwart dar." Zudem lässt sich sagen: "Elvira Bachs künstlerische Position gleicht mittlerweile der einer Institution."

"Institution" ist ein gutes Stichwort im Kontext einer Kritik dieses Jargons der ‚Position'. Wie sich zeigen wird, kündet die Rede von der ‚künstlerischen Position' zum einen von einem besonderen Kriteriendruck, der auf denen lastet, die für sich beanspruchen, in angemessenen Phrasen über die Phänomene und Akteure der Kunst zu berichten; zum anderen ist die Rede von der ‚künstlerischen Position' das Produkt einer doppelten Bewegung von theoretisch begründeter Kritik an bestimmten Denk- und Herrschaftsmustern und einem gegen ebendiese Kritik gerichteten ideologischen Kalkül.

Dabei spielen die Institutionen des Kunstbetriebs für die begrifflichen Bewegungen und Gebrauchsweisen eine entscheidende Rolle. In ihrem Interesse liegt es, Kategorien wie ‚Position', ‚Werk', ‚Thema' und ‚Künstler' kontinuierlich gegeneinander zu verschieben und zueinander in Beziehung zu setzen. Akteure innerhalb der Institutionen (oder diesen angegliedert) sind im Wesentlichen Kurator/innen, Kunsthändler/innen, Sammler/innen, Kritiker/innen und Meta-Künstler/innen [5]. Sie entwerfen und verwalten Strukturen von ‚Positionen', die hierarchisch in Hinsicht auf den Erhalt (oder den Gewinn) einer hegemonialen Kunstordnung aufgebaut sind. Um als Künstler-Individuum in diesem Kampf bestehen zu können, muss man sich zur ‚künstlerischen Position' vorarbeiten oder sich einer solchen, von anderen definierten ‚Position' anschließen. Kunsthochschulen und sonstige Ausbildungsstätten werben mit dem pädagogischen Anspruch, "dass jeder eine eigene künstlerische Position entwickelt und in seiner (...) Arbeit umsetzt." In Selbstaussagen angehender Künstler/innen finden sich Formulierungen wie: "In der Möglichkeit, herrschende Auffassungen für mich abzulehnen, habe ich die Fähigkeit gewonnen, mich und meine künstlerische Position zu begreifen und immer wieder neu zu finden. Beides ist nicht voneinander zu trennen."

Ohne ‚Position' wird's schwer.

Jörg Immendorff, "Wo stehst Du mit Deiner Kunst, Kollege?", 1973 Jörg Immendorff, "Wo stehst Du mit Deiner Kunst, Kollege?", 1973

1. SEMANTISCHE ERNEUERUNG

Die Verwendung des Ausdrucks ‚künstlerische Position' richtet eine kunstterminologische Zone ein, die für Außenstehende nicht ohne weiteres zugänglich ist - so sehr scheint er eine esoterische Spezialität des Sprachspiels deutscher Kunstbetriebsamkeit zu sein. Auf Einverständnis setzend wird ein Kreis von Eingeweihten angesprochen. Aber in der eigentümlichen Weise, wie es im Jargon zirkuliert, findet dieses Formulierungsereignis außerhalb der Zeitschriften, Kataloge und Vortragsveranstaltungen kaum (oder überhaupt nicht?) statt. So zeigte eine Kurzumfrage unter Bekannten, die eher selten mit Kunsttexten in Berührung kommen, wie resonanzarm die Rede von der ‚künstlerischen Position' außerhalb des künstlerischen Feldes ist.

Dass die Wahl von Künstler/innen, Kritiker/innen, Kurator/innen, Kunsthistoriker/innen auf das P-Wort fiel, ist nicht allein mit einem Interesse an Aus- oder Abgrenzung zu begründen. Zum einen handelt es sich um die Folge theoretischer Notwendigkeiten. Jeder Text, in dem ‚Positionen' auftauchen, verwirft implizit verbrauchte oder falsche Begriffe - oder drückt sich um sie herum. Besonders der Bezug auf das individuelle, auktoriale Künstler/innen-Subjekt wird mit dieser Sprachregelung umgangen. Aber auch benachbarte Begriffe wie ‚Stil', ‚Stellung' oder ‚Haltung' werden zur Disposition gestellt, wobei man mitunter versucht, das Überleben dieser älteren Termini im Umfeld des P-Worts zu sichern, etwa in Titelwort-Kombinationen wie "Positionen - Haltungen - Aktionen".

Stilbezeichnungen sind in Misskredit geraten, weil man ihnen dogmatische Vereinfachung und Reduktionismus unterstellt. ‚Positionen' scheinen ‚präziser' (auch so ein Wort ...) zu adressieren, was in großräumigen Stilkategorien ansonsten verloren ginge: individuelle Interpretationen eines Stil-Paradigmas, den subjektiven Faktor, das inkommensurable künstlerische Ereignis.

Auch das Wort ‚Haltung' wirkt wie ein semantisches Fossil oder zumindest wie eine Idiosynkrasie des deutschen Künstlerdiskurses. In einem Interview mit Georg Baselitz fiel dem US-amerikanischen Kritiker und Kurator Henry Geldzahler auf, der Maler verwende "the word ‚position' in a way that I'm not used to." Darauf Baselitz: "I mean ‚position' in the sense of attitude. An attitude that one assumes on a demonstrative act ..." [6] Noch in den achtziger Jahren rangierte auch unter jüngeren deutschen Künstlern die ‚Haltung' noch vor den jeweiligen ‚Arbeiten'.

Als Person und Werk noch im idealen, existenziellen Einklang gedacht wurden, mag es nahe gelegen haben, eine moralische und ästhetische ‚Position' im Künstler/innen-Subjekt zu behaupten. Diese Strategie aber gilt inzwischen als überholt. Die Kritik der Mythen von Autorschaft und Authentizität haben dem Geraune von der individuellen ‚Haltung' seine weltanschauliche Grundlage entzogen. Manchmal hallt in ‚Haltung' das semantische Geschützfeuer von ‚Engagement' und ‚Courage' nach, die Vorstellung von jemandem, der kerzengerade einsteht - für eine Sache, für eine Überzeugung, für die Freiheit der Kunst. Aber eigentlich will davon, abseits alkoholisierter Künstlerkneipengespräche, gegen die im Prinzip nichts einzuwenden ist, niemand mehr etwas hören. Zu sehr erinnert der Mythos der ‚Haltung' an die Selbstgefälligkeiten, die mit ihrer demonstrativen Zurschaustellung (zu) oft verbunden waren.

‚Position' scheint da den Vorzug größerer Neutralität zu besitzen. Das Wort hat einen seiner vielen historischen Ursprünge im Diskurs der Veranstalter von Konkrete-Poesie-Festivals oder gemäßigten Neue-Musik-Avantgardismen der sechziger Jahre. Es klingt ein bisschen wie aus der mathematisch-naturwissenschaftlichen Sprache entlehnt - nüchtern, unsentimental, kybernetisch. Andererseits zeugt eine ‚Position' - und hier macht sich eine andere semantische Quelle bemerkbar, nämlich die Sprache von Militärstrategen oder rechten Staatstheoretikern wie Carl Schmitt - auch von kunstevolutionärer Stabilität und Entschiedenheit. Anders gesagt: Dem Gebrauch der Vokabel ist ein gewisser Dezisionismus nicht fremd. Erst wenn ein einzelnes ‚Werk' zur ‚Position', eine Künstlerin oder ein Künstler zur ‚künstlerischen Position' gereift sind, können sie Geltung beanspruchen, haben sie sich auf dem historischen und sozialen Feld der Kunst bewährt.

Künstlerporträts aus: "Deutsche Kunst: eine neue Generation" von Rolf-Gunter Dienst, 1970 Künstlerporträts aus: "Deutsche Kunst: eine neue Generation" von Rolf-Gunter Dienst, 1970

2. DER IDEOLOGISCHE KNIFF

Dann wieder scheint der ‚Positionen'-Rhetorik, wenn sie sich nicht der Begriffe von ‚Haltung' oder ‚Reife' bedient, alles Energische abzugehen. Von ‚künstlerischen Positionen' zu sprechen, verrät in solchen Fällen ein eher tastendes Temperament, Gewissenhaftigkeit im Umgang mit den Komplexitäten des Kunstsystems. In diesen Fällen tritt der Begriff als Ausbund an Behutsamkeit und Genauigkeitsbemühung auf, verbreitet das Preziös-Nebulöse der ‚Position' und der ‚Positionen' in Katalogtexten, Ausstellungseröffnungsansprachen, Kunstmessegesprächen und Feuilletonartikeln das para-philosophische Parfüm des zugleich Distinguierten und Exakten. Aber könnte es sein, dass gerade dieser Eindruck eines vorsichtig-gequälten Bemühens um Genauigkeit auch ein raffinierter ideologischer Kniff ist? Und wenn dem so sein sollte: was verbirgt dieser Kniff?

Die Rede von der ‚künstlerischen Position' ist nicht zuletzt ein ideologischer Reflex auf veränderte diskursive und ökonomische Verhältnisse in der Gegenwartskunst.

Als Symptom eines Restrukturierungsprozesses, der das Konzept der Autorschaft aus unterschiedlichen Beweggründen abwertet, hat das positioning system des Verbundes aus Kunsttheorie, Kunstgeschichte und Kunstkritik besonders im Bereich kuratorialer Entscheidungs- und Planungsprozesse wichtige Navigationsdienste übernommen.

Beispielsweise funktioniert es hervorragend im Interesse einer globalen Ausstellungspraxis, die auf die eine oder andere Weise mit dem Problem der individuellen Künstler/innen-Subjekte zurande kommen muss. Denn diese erweisen sich in der Empirie immer wieder als kompliziert, inkohärent und unkalkulierbar. ‚Künstlerische Positionen' hingegen lassen es leichter erscheinen, von realen Personen zu abstrahieren. Nachdem man sich deren empirischer Widerständigkeit entledigt hat, kann man sie umso flexibler miteinander ‚kombinieren'. Allerdings verschwindet in diesem Prozess die Person mit ihrem Eigennamen nicht restlos hinter der ‚künstlerischen Position'. Das kann für die institutionellen Akteure auch von Vorteil sein: Im Zweifelsfall, etwa wenn sich die ‚künstlerische Position' beim Publikum, bei den Medien oder am Markt nicht verfängt, lässt sich der Mensch in seiner auratischen Einzigartigkeit wieder aktivieren.

Die Steigerung der Verfügbarkeit von individuellen (mitunter auch kollektiven) Produktionen und Produzent/innen im Sinne einer Topografie der ‚Positionen' entspricht einem strategischen Denken, das auf den Abbau von Reibungsverlusten und ‚ineffizienten' Mustern von Subjektivität setzt. Dieses modulare Verfahren, das sich auf die Passförmigkeit und Anpassungsfähigkeit der reinen Konstruktionen - die ‚künstlerische Positionen' ja darstellen - verlässt, ähnelt wirtschaftlichen Konzepten des Outsourcing, der Just-in-time-Produktion, des ‚Humankapitals' und der Umwandlung von Angestellten in Sub-Unternehmer. Die Produktion von Kunstereignissen bedient sich im Pool der ‚Positionen', und dessen Pegelstände sind um einiges leichter zu kontrollieren als die Psychologien der einzelnen Kulturproduzent/innen. Der zur ‚künstlerischen Position' geronnene ‚Autor' ist reiner Text. Er lässt sich beliebig um- und fortschreiben.

Künstlerporträts aus: "Deutsche Kunst: eine neue Generation" von Rolf-Gunter Dienst, 1970 Künstlerporträts aus: "Deutsche Kunst: eine neue Generation" von Rolf-Gunter Dienst, 1970

3. DIE STRUKTURELLE INDIVIDUALITÄT DER ‚KÜNSTLERISCHEN POSITION'

Natürlich ist das nicht die ganze Geschichte (was die Angelegenheit erst richtig interessant macht). Die diskursive Erfindung der ‚Position', insbesondere der ‚Subjekt-Position' und, in weiterführender Präzisierungsanstrengung, der ‚Positionalität' (sozusagen das transzendentale Prinzip jeder ‚Positionierung') war und ist eine kritische theoretische Maßnahme. Mit ihrer Hilfe sollte die Festlegung von Subjekten auf eine personale oder kulturelle ‚Identität' unterlaufen werden. Indem das Konzept der ‚Identität' infrage gestellt und an seine Stelle ein anti-objektivistisches Differenzierungsprinzip gesetzt wurde, konnte man auch aufhören, das Subjekt als ein sprechendes Bewusstsein, als den "Autor der Formulierung" zu behandeln.

Stattdessen war es nun möglich, sich auf eine ‚Position' zu konzentrieren, "die unter bestimmten Bedingungen mit indifferenten Individuen gefüllt werden kann" [7]. ‚Positionen' sind damit sowohl Potenziale in einem Möglichkeitsraum als auch bezogen auf die Kartografie dieses Möglichkeitsraums (oder Kräftefelds). Der Name des Autors wird dem Platz zugeteilt, von dem aus das Subjekt spricht. "‚Egal, wer spricht', doch was er sagt, sagt er nicht von irgendwo aus. Er ist notwendig in das Spiel einer Äußerlichkeit eingefangen." [8]

Dieses "Spiel einer Äußerlichkeit" ist nicht zuletzt eine gesellschaftliche Auseinandersetzung um ‚Positionen' innerhalb des künstlerischen Feldes. "Alle Positionen hängen in ihrer Existenz selbst und in dem, was sie über ihre Inhaber verhängen, von ihrer aktuellen und potentiellen Situation innerhalb der Struktur (...) der Verteilung der Kapital- (oder Macht-)sorten ab." [9] Anders gesagt, "hängt die Positionalität in einem Feld mit Entscheidungs- und Zuschreibungswahrscheinlichkeiten zusammen, ohne sich je absolut aufzudrängen." [10] Es ist deshalb zu Recht darauf hingewiesen worden, dass in einem vergleichsweise schwach institutionalisierten gesellschaftlichen Feld wie dem künstlerischen die Eigenschaften der ‚Positions-Inhaber' ganz entscheidend für das Profil und die Ausgestaltung der jeweiligen ‚Position' verantwortlich sind. [11]

In Reaktion auf dieses relative Gewicht der Individuen, denen eine ‚Position' unterstellt wird (oder die eine ‚Position' für sich reklamieren), konstruieren die Institutionen des Kunstbetriebs die ‚künstlerische Position' gern als eine ihnen zunächst äußerliche Referenz, um sie sodann in ihre eigenen Narrative integrieren zu können. Identifiziert mit einem individuellen ‚Werk', einer Gruppe von ‚Arbeiten' oder einer kunsthistorischen ‚Situation', ist die ‚künstlerische Position' in jedem Fall problemlos adressierbar und letztlich auch von ihren individuellen Inhaber/innen isolierbar.

Aber wenn individuelle Merkmale und gesellschaftliche Position in eins fallen, kann es keine ‚Positionalität' geben, die das Prinzip der Individualität aufkündigt und stattdessen beispielsweise Formen der Kooperation und Solidarität anstrebt (und gegebenenfalls realisiert). Die ‚künstlerische Positionalität' kann dabei sowohl eine gesteigerte Individualität anzeigen, die Herausbildung einer Künstler/innen-Persona etwa, als auch eine lediglich vorgetäuschte Individualität, wenn ‚künstlerische Position' lediglich eine von aller Materialität bereinigte Individualität meint.

In beiden Fällen der Behauptung einer ‚künstlerischen Position' ist Kollektivität nur in bestimmten Grenzen vorgesehen. Eine Ansammlung individueller ‚Positionen' kann zwar eine ‚künstlerische Position' ergeben, die von mehreren Individuen geteilt wird. Aber dieses zur ‚Position' geronnene Kollektiv ist weniger ein soziales Gefüge als eine Menge von Ambitionen. Diese Menge bewegt sich nur dann oberhalb der Wahrnehmungsschwelle der Kulturökonomie, wenn sie von den Institutionen und ihren Repräsentanten als operationalisierbare Größe anerkannt wird. Nur in der Verwertungslogik kann die ‚künstlerische Position' - sei's des Einzelnen, sei's der Gruppe - überleben.

Dauerhaft kann man als Künstler/in bestenfalls auf die informellen Gemeinschaften der Boheme zurückgreifen, um die individuelle ‚künstlerische Position' zumindest vorübergehend in einer von mehreren geteilten ‚Position' aufgehen zu lassen. Und der Vergleich mit der ‚Subjektposition', die in Abgrenzung zu (oder Verwerfung von) konkurrierenden Identifizierungen eingenommen oder verfügbar gemacht wird, macht zudem deutlich, dass die ‚künstlerische Position' zwar leicht zu einem Objekt der Spekulation und des strategischen Ausschlusses werden kann, aber auch - zumindest theoretisch - Handlungsspielräume eröffnet. Die Spannung besteht zwischen (a) dem Pol, an dem die ‚künstlerische Position' im Sinne der Herstellung einer falschen Einheitlichkeit eingesetzt wird, die dabei regulative Funktionen in einer auf Trennung und Entsolidarisierung basierenden Konkurrenzsituation übernimmt, und (b) dem Pol eines ‚politischen' Sprachgebrauchs, an dem man sich bewusst ist, dass eine ‚künstlerische Position' das (Zwischen-)Ergebnis eines dynamischen Prozesses darstellt und dem von ihr Ausgeschlossenen ebenso verpflichtet sein sollte wie ihrer eigenen vermeintlichen Kohärenz.

So, wie der strukturelle Ort der ‚Subjektposition' nicht "vor der von ihr veranlassten Aussage" existiert, wird auch die ‚künstlerische Position' diskursiv erzeugt. Mit anderen Worten: "Zwischen der ‚Position' und der ‚Aussage' besteht kein Verhältnis radikaler Äußerlichkeit." [12] Was aber ist eine "Aussage", die eine ‚künstlerische Position' hervorbringt (und zugleich bestreiten, ja verunmöglichen kann)? Mit welchen diskursiven Mitteln und von welchen gesellschaftlichen und kulturellen Orten aus werden ‚künstlerische Positionen' produziert? Diese Fragen werden interessant, wenn man sich bewusst macht, dass ‚künstlerische Positionen' nicht allein das Ergebnis von Fremdzuschreibungen, sondern ebenso Gegenstand von Identifizierungen durch die kunstproduzierenden Individuen selbst sind.

4. PLURALE POSITIONEN UND / ODER ZUKÜNFTIGE GEMEINWESEN

Indem die ‚Position' theoretisch als Effekt und Funktion einer Feldsituation angesehen werden kann, eröffnen sich vielfältige Gelegenheiten, das Konzept zugunsten einer Redefinition künstlerischer Subjektivität einzusetzen. Aus einer subjektkritischen, feministischen oder postkolonialistischen Perspektive argumentierend, war in den einschlägigen kunsttheoretischen Kontexten von einer "diversity of positionalities" die Rede, die auch das "spectatorship" mit einschließt. [13] Die Unmöglichkeit einer einheitlichen, spezialisierten ‚Position' ermöglichte es Künstler/innen, das Spektrum der Möglichkeiten der ‚Positionalität' auszuschöpfen: "Ich selbst versuche daran zu denken, wie ich zugleich verschiedene Arten von Positionen besetze; als visuelle Produzentin, als Theoretikerin, als Kritikerin, als Betrachterin, als Leserin." [14]

Aber so berechtigt und konsequent diese Vervielfältigung professioneller, kultureller, subjektiver, sozialer und anderer Positionen sein mag - sie schaltet die Marktlogik der Nachfrage nach ‚künstlerischen Positionen' nicht aus. Diese zielt weniger auf eine angemessene Repräsentation künstlerischer Produktion als darauf, möglichst viel Kapital (in jedem Sinne) aus der Dekonstruktion des Subjekts der Transzendentalphilosophie und der Revision des Autorbegriffs zu schlagen.

Das dazugehörige ideologische Projekt besteht darin, die künstlerische Produktion in höherem Maß verfügbar zu machen. Freilich ohne vollends auf das Prinzip der individuellen Autorschaft zu verzichten, das für die Wertbildungsprozesse der Kultur unverzichtbar ist. Die Kategorie der ‚künstlerischen Position' kann - entsprechend definiert und zum Einsatz gebracht - zur Legitimation des besagten Projekts entscheidend beitragen. Ihre ideologisch-diskursive Durchsetzung lockert die Beziehung zwischen Kunstproduzent/in und Kunstproduktion, und sie stattet diejenigen, die von ‚Position' statt von ‚Werk' reden, überdies mit der Aura theoretischer Beschlagenheit aus. Die kritische Konsequenz dieses Vorgangs ist nicht ohne Perfidie: Sie scheint dazu zu zwingen, das Autorsubjekt zu restaurieren.

Ganz so weit muss man nicht gehen. Aber angesichts der diskursiven Funktionen der ‚künstlerischen Position' könnte man dazu aufrufen, die ‚Positionen' nicht sich selbst und ihren Nutznießern zu überlassen. Aus der offensichtlichen Unhaltbarkeit der Behauptung einer einzelnen kohärenten ‚Position' sollte man eigentlich den Schluss ziehen, fortan sowohl den diskursiven wie ökonomischen Handel mit ‚Positionen' zu unterbinden. Denn zum Tauschgegenstand können die ‚Positionen' nur werden, weil die pseudoprogressive Verabschiedung der Autorschaft eine Objektivität vorgaukelt, die am Ende einem marktgerechten Relativismus Vorschub leistet.

In Anlehnung an eine andere Diskussion sei deshalb empfohlen, noch einmal die Chancen der Verknüpfung und Verschränkung der ‚Positionen' zu prüfen. Nicht im Sinne freier Kombinierbarkeit auf den Reißbrettern des Kuratorentums, sondern als Suche nach Formen, "in denen die Identifizierung in das verwickelt ist, was sie ausschließt" [15]. Zu zeichnen wäre die "Landkarte eines zukünftigen Gemeinwesens" [16], in dem ‚künstlerische Positionen' weder Autor-Ersatz noch Handelsware sind.

Vielen Dank für Hinweise an Merlin Carpenter, Isabelle Graw und Clemens Krümmel.

Anmerkungen

[1]Robert Smithson, The Collected Writings, hg. von Jack Flam, Berkeley/Los Angeles/ London 1996, S. 134.
[2]Alle vorstehenden und nachfolgenden nicht weiter ausgewiesenen Zitate sind kunstkritischen Texten, Anzeigen für Ausstellungen, Jurybegründungen oder Presseaussendungen der letzten Jahre entnommen.
[3]Vgl. Jacques Derrida, Positions, Paris 1972.
[4]Und Missverständnisse sind nicht ausgeschlossen: Denn eine "artistic position" bezeichnet normalerweise eine Stellung in der Kreativabteilung eines Unternehmens. Mit der ‚künstlerischen Position' des deutschsprachigen Kunstjargons hat das wenig zu schaffen.
[5]Als Meta-Künstler/innen sollen Künstler/innen bezeichnet werden, die in para-kuratorialer Stellung und unter Ausübung einer gewissen Definitionsmacht dazu beitragen, dass Konstellationen einzelner ‚künstlerischer Positionen' sich zu einer übergreifenden ‚Position' im Kunstgeschehen einer Epoche formieren.
[6]Jeanne Siegel (Hg.), Art Talk. The Early 80s, New York 1988, S. 102.
[7]Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt/M. 1973, S. 167.
[8]Ebd., S. 178.
[9]Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt/M. 1999, S. 365.
[10]Hans Ulrich Gumbrecht, 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit, Frankfurt/M. 2001, S. 532 f.
[11]Vgl. Bourdieu, S. 365 f.
[12]Judith Butler, Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt/M. 1993, S. 164.
[13]Vgl. Mary Kelly, Imaging Desire, Cambridge, Mass./London 1996, S. 178.
[14]Renée Green, in: A. Read, The Fact of Blackness. Frantz Fanon and Visual Representation, London / Seattle 1996, hier zit. nach: Gen Doy, Materializing Art History, Oxford/New York 1998, S. 243.
[15]Butler, S. 169.
[16]Ebd.