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„Drinnen ist wie draußen nur drinnen", Barbara Buchmaier über die Ausstellung „In the Middle of Affairs, Aesthetics of Distribution“ im Künstlerhaus Stuttgart

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Modefotografie aufgenommen in der Wohnung des Sammlers Ghislain Mollet-Vieville

Schon die Einladungskarte zu „In the Middle of Affairs, Aesthetics of distribution“ führt in medias res, denn sie zeigt eine Werbeaufnahme aus den 1980er Jahren, in der ein zeittypisch gestyltes Model an einer minimalistischen Skulptur von Sol LeWitt posiert. Dieses Kunst und Mode zusammenführende Motiv wurde in der Wohnung eines französischen Sammlers und Kunstagenten fotografiert, um anschließend in einem Fashionmagazin abgedruckt zu werden. Dadurch stellt es ein signifikantes Exponat der Ausstellung dar, die von Axel J. Wieder mit der Kuratorin Egija Inzule    (* 1986) und dem Künstler Tobias Kaspar (* 1984) kuratiert wurde.

Gezeigt werden 14 künstlerische und kunstbetriebliche Positionen, die sich „inmitten der Dinge“ verorten, die sich in an die Kunst angrenzenden Feldern involvieren und ihre Beteiligung an (außer)künstlerischen Projekten offen zur Schau stellen. Und „diese Dinge“ stehen hier nicht nur für die Bildende Kunst mit ihren diversen Medien und Stilen, für (Kommunikations)Design und Mode, sondern auch für Strategien der (Selbst)Vermarktung und des Productplacement sowie für Mainstream-Phänomene der Lifestyle-, Freizeit- und Celebrity-Kultur. Im Zeitalter des Postfordismus lässt sich beobachten, dass diese Bereiche immer stärker ineinander übergehen und, wie es die ambitionierte Ausstellung an Beispielen aus den letzten 30 Jahren exemplifiziert, auch immer mehr Kulturproduzent/innen an ihren, für sie als identitätsstiftend erfahrenen Demarkationslinien aktiv werden, forschen und produzieren.

So ist die Thematik der Stuttgarter Ausstellung keinesfalls neu. Sie lädt aber in ihrer dezidiert aus dem Blickwinkel der bildenden Kunst vermittelnden Perspektive mit einer Mischung aus bereits „klassischen“ Beispielen der Institutionskritik und jüngeren Beiträgen dazu ein, die oben skizzierte Entwicklung Revue passieren zu lassen und auf ihren aktuellen Stand zu befragen. In dem als „fragmentarischem Narrativ“ inszenierten Parcours fällt auf, dass nicht krampfhaft versucht wird, die unübersichtlich gewordene Gemengelage von visuellen Codes, Referenzen und Beziehungsnetzen, die sich immer deutlicher zwischen den einzelnen Feldern verspannen, im Sinne einer Genealogie der „institutional critique“ festzuzurren. Viel eher geht es hier, wie es auch in der Bedeutung von „Affäre“ mitschwingt, um den Reiz, den eine „Grenzüberschreitung“ ausmacht, und die Potenziale, die das alternative Tätigwerden in angrenzenden Bereichen bereithalten kann: Seien es produktive Perspektivverschiebungen auf einen vorher eingenommenen Standpunkt, ein sich Ausprobieren an Feldern, in denen andere Konventionen und Regeln als im etablierten künstlerischen Feld gelten oder auch einfach nur die Möglichkeit, Geld zu verdienen.

Gleich am Eingang wird der Besucher/die Besucherin im ersten, abgedunkelten Stockwerk der Ausstellung von einem Plakat empfangen, das Nairy Baghramian, bekannt für ihre Kooperation mit der Gestalterin und Innenarchitektin Jeanette Laverièrre, 2008 zu ihrer Ausstellung „The Walker’s Day Off“ entworfen hat. Den darauf abgebildeten jungen Mann, einen sogenannten „Walker“ (ein Herr, der Damen zu gesellschaftlichen Anlässen begleitet), darf man als alter ego der Künstlerin, aber auch als Projektionsfläche für den Betrachter auffassen, als Gegenentwurf zum gewöhnlichen, verallgemeinerten Rezipienten und somit als Figur, deren Identität ständig neu verhandelt werden muss. Nach diesem Eingangs-Statement trifft man auf eine von Innen beleuchtete Glasvitrine, die zum Studium von kleinen Treibholzstücken einlädt, die wie Kunst- oder Designpreziosen inszeniert sind. Die einzelnen Objekte sind nummeriert und finden sich gleich daneben in einer Zeitschrift fotografisch reproduziert wieder. Dabei handelt es sich um die vierte Ausgabe des Magazins PROVENCE, das sich der Kultivierung von Hobbys widmet. Das hochwertig aufgemachte Heft, das im Inneren Abbildungen und Preise der offiziell zum Verkauf stehenden Treibhölzer listet, richtet sich an ihre potentiellen Sammler und verweist so auf die individuelle Bedeutung, die jedes, noch so abwegig erscheinende Hobby für seine Betreiber erlangen kann.


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PROVENCE Issue V (Driftwood Collection), 2010

Zentrales Element in der zweiten Austellungsetage ist ein Laufsteg mit Stühlen, Boxen- und Mikrofonständern. Genau wie diese sind auch die herum stehenden Mineralwasserflaschen nur noch Verweise auf die Performances der Künstlergruppe Udio und von Bonny Poon, die am Eröffnungswochenende stattfanden. Doch ihr indexikalischer Charakter reicht schon aus, treffen sich die bloßen Objekte doch auch auf inhaltlicher Ebene mit vielen der sich am Nexus von Kunst, Mode, Design und Lifestyle bewegenden Exponate im Raum. Nicht zu übersehen sind die um den Catwalk gruppierten terrakottafarbenen Liegestühle, John Knights Installation „Il diritto all’ozio“ (1987, dt.: „Das Recht zur Faulheit“), deren Titel und Entstehungsjahr in eine schwarze Marmorplatte eingemeißelt sind. Obwohl dieses designorientierte Ensemble für eine Gruppenausstellung im Park der American Academy in Rom entstand, mit deren Logo ihr Stoff bedruckt ist, funktioniert es auch im aktuellen Zusammenhang. Denn es transportiert mehrere Aspekte gleichzeitig, funktioniert es doch nicht nur als marktgängiges Kunstwerk, sondern auch als bereits geschichtsträchtiges, von einem bildenden Künstler produziertes, repräsentativ-korporatives Designobjekt oder als vom Betrachter zu benutzendes Möbel, das hier, mitten im Kunstambiente, zum Ausruhen lädt.


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John Knight, "Il diritto all`ozio", 1987

Weiter hinten im Raum haben die Kunsthistorikerin und Kuratorin Maja Wismer in einer Glasvitrine und Tobias Kaspar und Egija Inzule in zwei weiteren Vitrinen Ausstellungskataloge, Künstlerbücher, Anzeigen und Texte aus Zeitschriften der 1980er und 90er Jahre zusammengestellt. Hier findet sich auch die eingangs erwähnte Modeaufnahme im Minimal- und Conceptual-Art-Ambiente der Wohnung des Sammlers Ghislain Mollet-Vieville wieder, der als schillernde Figur auf vielen Bühnen aktiv war. Des Weiteren kann man neben Publikationen von John Knight auch Verweise auf einzelne Projekte von Philippe Thomas (1951-1995) entdecken, der 1987, zur Hochzeit des damaligen Kunstmarktbooms, in New York die fiktive Agentur „readymades belong to everyone®“ gründete, wobei er bereits seit 1981 ganz spezifische Strategien einsetzte, um seine persönliche Autorschaft von Kunstwerken, Texten und Publikationen zu verwischen. So etwa, indem er die Urheberschaft seiner Arbeiten auf ihre Auftraggeber oder Käufer übertrug. Dies macht es heute besonders schwierig, sich ein konkretes Bild seines diskreten Wirkens „im Hintergrund“ zu machen, in dem er sich ansiedelte, um gezielt im Inneren des Kunstbetriebs tätig zu werden, ohne dabei in einen sichtbaren Gestus der Negation seiner Konditionen verfallen zu müssen. Umso interessanter dürfte es sein, dass „readymades belong to everyone®“ im Jahr 1992 eine Ausstellung im Künstlerhaus Stuttgart realisiert hat. Das zu einer 12-teiligen Serie gehörende Foto „Mesure pour Mesure“ (1991) in der aktuellen Schau, das eine Installationsansicht von „Feux Pâles“ von „readymades belong to everyone®“ im Musee d’Art Contemporain in Bordeaux dokumentiert (1990/91), in der Thomas eine Auswahl von Werken anderer Künstler (u.a. Duchamp) in Kombination mit den Produkten seiner Firma präsentierte, war auch damals Teil der Ausstellung und wird jetzt in Dialog gesetzt zu „Paris. New York. Rome. Tokyo“ (1985), einer typischen Kunstsammlungs-Interieuraufnahme von Louise Lawler. Besonders auffällig ist hier, dass es sich bei einigen der abgelichteten Objekte im Raum nur schwer beurteilen lässt, ob es sich um minimalistische Kunstwerke oder um zum Gebrauch bereitgestellte Designermöbel handelt.

Abschließend sei noch die eigens für die Ausstellung erstellte Powerpoint-Dokumentation zur Arbeit „An example of recent work may be seen in the windows of Harry Winston Inc., from approximately 5:17 pm to 5:34 pm“ (1990) von Silvia Kolbowski erwähnt, in der die Künstlerin einen von Jeff Koons ausgehenden amerikanischen Trend der späten 1980er Jahre, Kunstprodukte als Luxusgegenstand aufzufassen und als solche zu fetischisieren, zu kontextualisieren suchte. In der aktuell zu verfolgenden Dokumentation „Talk to me, Harry Winston!“ (2010)  berichtet Kolbowski in der Rückschau, wie sie ihr repräsentationskritisch angelegtes Projekt realisiert hat, das nur aus einer Anzeige im Magazin Artforum International und aus Einladungskarten bestand. Über diese rief sie das Kunstpublikum dazu auf, sich im genannten Zeitabschnitt an die Schaufenster des in der New Yorker High Society hoch geschätzten Juweliers Harry Winston zu begeben, wo man dann letztlich aber „nur“ Zeuge des allabendlichen Austauschs der exklusiven Schmuckstücke gegen von hinten beleuchtete, fotografische Reproduktionen der Waren wurde. Gegenwärtig könnte sie ein solches Projekt, das in einer Zeit extremer Veränderungen von Schaufensterstilen stattfand, die künstlerische Techniken einbeziehen, nicht mehr durchführen, reflektiert Kolbowski im Katalog ihrer Ausstellung in der Wiener Secession (2004), denn „in einer heutigen Stadt ist der Dichteanstieg so groß und das Produktmarketing so aggressiv, dass man es nicht mehr lesen könnte.“ (Silvia Kolbowski im Interview mit Hal Foster, in: „inadequate...Like...Power“, Köln 2004, S. 144)

Das Begehren danach, sichtbar(er) und damit auch kommunizierbar(er) zu werden, ist heute wie damals natürlich ungebrochen. Dabei ist es, wie auch in Kolbowskis Äußerung anklingt, gleichsam immer schwieriger und prekärer geworden, dieses rein von der künstlerischen Seite her effektiv in die Realität umzusetzen. Denn der Standpunkt „in the middle of affairs“ ist inzwischen ein vielfach umkämpftes gesellschaftliches Feld ohne ein festes Außen, auf dem man als Künstler/in auch in Zukunft etwa bei der Mehrzahl der Kurator/innen und Kunstvermittler/innen, die sich ja auch selbst in diesem Szenario bewegen, nicht ohne Referenzen, Differenz generierende Ideen und zahlreiche Identitätsaufspaltungen punkten wird. Vielmehr werden Kompetenzen wie Anschlussfähigkeit und Selbstvermarktung oder auch medienübergreifende, gleichzeitig selbstreflexive Ansätze heute bereits als selbstverständlich vorausgesetzt und zum Teil auch schon an Kunsthochschulen gelehrt. So könnte man fast meinen, dass auch und gerade im Feld der Kunst „irgendwie alles“ geht. Und dieses Gefühl vermittelt ansatzweise auch die in ihrer, was die äußerst subjektive Auswahl der künstlerischen Beiträge und die ganz unterschiedlich weit reichende politische Dimension der vorgestellten Projekte angeht, doch recht breit gefächerte und damit in ihrer Aussage ambivalent gehaltene Ausstellung, die somit selbst wie eine Allegorie ihres Titels erscheint. 


In the Middle of Affairs
Ausstellung, 1. Oktober 2010 - 31. Oktober 2010

Nairy Baghramian, Ulises Carrión, Nicolas Ceccaldi, IFP, Nina Könnemann, John Knight, Silvia Kolbowski, Louise Lawler, Hans-Christian Lotz, Ghislain Mollet-Viéville, Bonny Poon, PROVENCE, Readymades Belong to Everyone/Philippe Thomas, Udio